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Historische Beratung für Filmproduktionen

Kreativität schlägt Korrektheit

Historische Beratung für Filmproduktionen hat nur wenig mit verstaubter Spaßbremserei zu tun, aber kann Produktionen einen bedeutenden Mehrwert bringen – wenn sie mit Maß daherkommt, wie Andreas Brauner im Gespräch mit dem Historiker Adam Nawrot erfuhr.

Filmstill aus "Barbarians"
Foto: Foto: Netflix / Krzysztof Wiktor

Wenn Filmemacher an historische Berater denken, taucht im Geiste schnell der pingelige alte Geschichtsprofessor auf, der einem all die schönen Dinge, die in dem geplanten Historienfilm auftauchen sollen, verbieten will. Doch unter den Geschichtsnerds dieser Welt gibt es auch Vertreter wie den Historiker Adam Nawrot und den Archäologen Philipp Roskoschinski, die über den Rand ihrer Geschichtsbücher hinausschauen können und wissen, wie Filme funktionieren. Ihr pragmatischer Ansatz, den sie in ihrer eigens gegründeten Beraterfirma „Kaptorga“ verfolgen, lautet: „Wenn die historische Korrektheit gegen irgendetwas verliert, dann soll es die Kreativität sein!“

Seit fast sechs Jahren beraten die beiden professionell Filmproduktionen für fiktive und dokumentarische Stoffe. Aber auch Buchautoren und Musiker zählen zu ihrem Kundenkreis. Die erste Staffel der Netflix-Serie „Barbaren“ profitierte von ihrem Wissen um römisches Alltagsleben und Waffen, wie Adam Nawrot im Gespräch verriet.

Wie bist du als Historiker zum Film gekommen?
Mein Ziel war eigentlich schon immer, in die Filmbranche einzusteigen. Schon als Kind war ich begeistert von Historienschinken und hatte dabei immer das Gefühl, dass sie in diesen Filmen nicht alles zeigen. Das, was einen kleinen Jungen interessiert, die großen Schlachten, wurden ausgespart. Heute weiß ich natürlich, dass die damaligen Produktionen kein Geld für solche Massenszenen hatten. Aber es hat meinen Hunger auf Historie und historisches Kino geweckt. Ohne meinen heutigen Geschäftspartner Philipp wäre ich allerdings nie auf die Idee gekommen, daraus ein Geschäftsmodell zu stricken. Es war auch seine Idee, diese Firma „Kaptorga“ zu nennen.

Adam Nawrot
Adam Nawrot (Foto: Kaptorga)

Welche Bedeutung hat „Kaptorga“?
Eine Kaptorga hat man lange Zeit in Frauengräbern gefunden. Es ist ein verziertes Kästchen, das Mann und Frau um den Hals trugen. Untersuchungen zufolge wurden in diesen Kästchen, manchmal auch Beutel, wohlriechende Kräuter getragen – quasi eine frühe Art des Auto-Duftbaums. Es gibt aber auch Theorien, dass darin Zettel mit Zaubersprüchen oder andere kleine Kostbarkeiten aufbewahrt wurden. Philipp fand dies ein cool klingendes Wort, das bei Google einfach ausschließlich uns beschreibt.

Wie habt ihr euch damals euer Geschäftsmodell vorgestellt?
Unsere Grundidee war, sehr viel aus einer Hand für den historischen fiktiven Film oder Dokumentarfilm anzubieten. Damit meine ich neben der historischen Beratung auch Dinge wie Ausstattung und fähige Statisten, die sich fehlerfrei in den jeweiligen historischen Szenarien bewegen können. Wir haben allerdings sehr schnell herausgefunden, dass dieser Ansatz nicht kompatibel ist mit der Art, wie Filme produziert werden. Denn dafür gibt es keine Exceltabellen. Es fehlte am Anfang eine richtige Struktur.

Wir hatten zwar ein „Use Case“ erkannt, aber nicht gesehen, dass der nicht in die Art passt, wie in Deutschland Filme gedreht werden. Inzwischen bin ich selbst ein großer Freund von Excel-Tabellen und kann sehr gut Budgets berechnen. Ich dachte am Anfang, ich sei der künstlerisch-kreative Wissenschaftler und Historiker. Doch mittlerweile habe ich erkannt, dass in der Budgetierung die Filme gemacht werden. Inzwischen kann ich auch dort meine eigene Erfahrung einfließen lassen. Wenn ich ein Drehbuch lese, erkenne ich schon, dass die jeweilige Szene eine Stuntversion einer Waffe benötigt und in der nächsten eine VFX-Version gebraucht wird. Zusätzlich müssen noch mögliche Spezialwünsche des Regisseurs oder der Regisseure einkalkuliert werden. Mittlerweile sind wir auch davon abgekommen, uns einen Fundus an Kostümen und Requisiten aufzubauen. Jeder Film ist zu verschieden und hat andere Ansprüche.

Wie seid ihr an eure ersten Jobs gekommen?
Das Erste, was wir damals gedreht haben, war ein Buchtrailer, bei dem der Autor noch selbst mit nacktem Oberkörper mitwirkte. Das waren unsere „Wir waren jung und brauchten das Geld“-Projekte. Dann lernten wir Tommy Krappweis kennen, der damals mit seiner eigenen Produktionsfirma dabei war, sein Herzensprojekt „Mara und der Feuerbringer“ ins Kino zu bringen. Leider war das Marketing des Verleihers komplett falsch und nicht auf die eigentliche Zielgruppe des Filmes ausgerichtet. Da wir das Potenzial in diesem Film sahen, boten wir Tommy an, ihn in seinen eigenen Promotion-Aktionen, wie Live-Acts mit Wikingern und Schwertkampf, zu unterstützen. Auch wenn dieser Aufwand am Ende nichts brachte, honorierte Tommy unseren Einsatz und wollte weiterhin mit uns zusammenarbeiten. Über Tommy Krappweis lernten wir den Literaturwissenschaftler Rudy Simek kennen, der bei „Mara und der Feuerbringer“ als Experte für Nordische Mythologie beratend zur Seite stand. Er wiederum vermittelte uns den Job für die Netflix-Serie „Barbaren“.

Ab welcher Stelle einer Produktion sollte ein Produzent auf euer Wissen zurückgreifen?
Im Idealfall wäre es ratsam, uns schon bei der Stoffentwicklung hinzuzuziehen. Ich möchte es an einem Beispiel verdeutlichen. Angenommen, es soll ein Film über Hexenverbrennungen im Paris des 15. Jahrhunderts gedreht werden. An diesem Punkt würden wir schon einschreiten, denn zu dieser Zeit wurden keine Hexen in Paris verbrannt. Wenn das Hexenverbrennungsthema unbedingt in Paris spielen muss, dann ist die Mitte des 16 Jahrhundert besser geeignet. Das nächste Klischee, das bedient werden möchte, ist das von der bösen Inquisition, die all die Hexen verbrannte. In der Realität wurden Hexen eher von städtischen oder provinzialen Gerichten verurteilt und hingerichtet. Vor ein Inquisitionstribunal zu kommen, war eher ein Glücksfall. Denn dort ab es eine ganz klare Prozessordnung. Hier durfte keiner ohne zwei unabhängige Zeugen verurteilt werden. Es war ihnen auch egal, ob du an Gott glaubtest oder nicht. Wenn wir jetzt die Geschichte im Paris des 16. Jahrhunderts spielen lassen, kommen Fragen auf wie: Wie schmutzig waren die Leute, waren die Menschen eher arm oder reich? Wie war das Verhältnis zwischen den Schichten? Was wurde auf dem Markt gehandelt? So kann man eine unglaubliche erzählerische Tiefe schaffen, ohne dabei auf alte Klischees wie „böse Kirche“ und „gute Universität“ zurückzugreifen. Zu dieser Zeit waren das die gleichen Menschen, Gelehrte gab es fast ausschließlich im Klerus.

Nach der Entwicklung des Drehbuches würden wir die Produktion zu Ausstattung und Kostüm beraten. Dabei verzichten wir darauf, auf einen eigenen Fundus zurückzugreifen, denn das würde uns nur dazu verleiten, zum Beispiel ein Schwert, das wir auf Lager haben, auch dann zu verwenden, wenn es zeitlich komplett neben der Spur liegt, so wie es etwa sehr oft bei „Vikings“ zu sehen ist. Hier liegt der Rekord an zeitlicher Unschärfe ungefähr bei 1.000 Jahren. Da diese Serie an sich selber den Anspruch der historischen Korrektheit besitzt, erlaube ich mir diesen Seitenhieb. [15279]


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