Um die visuelle Qualität bei nonfiktionalen Formaten ging es bei einem Panel auf dem CineCongress 2024, der am 28. und 29. Februar auf der LEaT X CiNEC stattfand. Wir geben das 45-minütige Gespräch gekürzt wieder. Den zweiten Teil des Gesprächs können Sie hier lesen!
Zu Gast beim Panel „Muss Reportage hässlich sein? – Visuelle Qualität bei nonfiktionalen Formaten“ waren Walter Demonte, Abteilungsleiter und Chefkameramann beim Westdeutschen Rundfunk sowie Geschäftsführer des Deutscher Kamerapreises und Jan Mammey, Teamleiter EB-Kamera und Kameramann beim Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig. Jan Mammey ist außerdem zweifacher Preisträger in Folge in der Kategorie „Journalistische Kurzformate“ beim Deutschen Kamerapreis. Moderiert wurde das 45-minütige Gespräch von „Film & TV Kamera“-Chefredakteur Uwe Agnes.
Vielen, die als Kamerafrau oder Kameramann im EB-Bereich unterwegs sind, wird schon einmal die Ansage begegnet sein: „Dreh mir das doch bitte reportagig!“ Das meint in den meisten Fällen schmutzige Bilder, die vielleicht sogar noch wackeln. Aber muss das Reportagebild hässlich sein? Darüber will ich mich in der kommenden Dreiviertelstunde mit meinen beiden Gästen Jan Mammey und Walter Demonte unterhalten. Beginnen wir damit, den Ist-Zustand festzustellen. Wie entstehen denn eigentlich die Bilder bei der Fernseh-Reportage? Jan Mammey: Die Bilder entstehen auf sehr unterschiedliche Weise, weil die Gegebenheiten natürlich immer sehr unterschiedlich sind. Aber alle Situationen eint miteinander, dass es oft ein Kampf ist, diese Bilder entstehen zu lassen, so wie ich sie haben möchte. Ich bin viel im Reportagebereich unterwegs und es ist mir in meiner mittlerweile 25-jährigen Karriere immer wieder begegnet, dass meine Ansprüche an die Bilder mit verschiedenen Faktoren kollidieren. Das ist natürlich oft das Budget und dann entsprechend auch die Drehzeit. Man spricht aber auch nicht darüber, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Da fehlt meiner Meinung nach ein gemeinsames Vokabular, eine gemeinsame Absicht und man kann das vielleicht auf die Forderung herunterbrechen: Wir müssen mehr miteinander reden.
Ist es bei der Kommunikation beim Dreh ein Hindernis, dass die Teams oft wechseln? Wie werden zum Beispiel beim WDR die Drehteams zusammengestellt? Walter Demonte: Das hängt von den einzelnen Projekten ab. Im Tagesgeschäft sind das natürlich ständig wechselnde Teams. Wir versuchen aber, Produktionen möglichst kontinuierlich zu besetzen, was sich in den letzten Jahren ziemlich verändert hat. Aber dann ist es deswegen eine Herausforderung, in eine gute Kommunikation zu kommen, weil die Projekte auf der Zeitachse so fragmentiert sind. Wir folgen gerade bei Reportagen den Protagonisten, und die haben dann etwa diese Woche und dann wieder in zwei Monaten Zeit. Das mit anderen Projekten zu synchronisieren, ist dann in der Tat eine Herausforderung. Aber wir haben in den letzten Jahren gelernt: Wenn wir kein kontinuierliches Team erzeugen, dann ist es fast nicht mehr möglich, eine Kommunikation und ein visuelles Konzept für eine Geschichte zu entwickeln. Gerade versuchen wir, Produktionsteams auf die Beine zu stellen. Wir haben eine Crew von drei Kameramenschen, die für eine ganze Reihe von Projekten verantwortlich sind, und so ist sichergestellt, dass man in eine gute Kommunikation kommen kann. Aber wir haben in all den Jahren gemerkt, dass wir uns von der Bilderfabrik, die öffentlich-rechtliche Sender ja häufig sind, ein Stück weiterentwickeln müssen, hin zu einzelnen Projekten und diese Projekte ganz konsequent voranzutreiben – speziell wenn digitale Produkte für Mediatheken produziert wer- den. Da geht es meines Erachtens gar nicht mehr anders, als wirklich mit konkreten Produktionsteams zu arbeiten.
Welche Ansprüche werden denn an dich als Kameramann und als Bildgestalter gestellt? Jan Mammey: Das ist total unterschiedlich – manchmal gar keine! Das hängt natürlich ganz stark von der Produktion ab. Wir sprechen jetzt mal nicht über das Tagesgeschäft. Das ist naturgemäß etwas, das schnell passieren muss und darüber kann man nicht lange sprechen. Das ist auch völlig in Ordnung. Wir reden über längere Produktionen, zum Beispiel eine 30-minütige Reportage. Es ist schon erstaunlich, wie häufig man in komplett neuen Konstellationen zusammentrifft und losgeschickt wird. Das kann ganz belebend sein, ist aber eigentlich nicht das, was ich mir wünsche, weil ich gemerkt habe: Wenn man viele Jahre zusammenarbeitet, kann man auf eine gewisse nonverbale Kommunikation zurückgreifen. Man weiß einfach, was der andere, die andere möchte und wo wir zusammen hinwollen. Man hat sich schon eingegroovt.
Man muss nicht jede Diskussion noch einmal führen. Jan Mammey: Das kostet Zeit, Kraft und Energie, die man lieber in die Bilder und in die Geschichte investieren möchte. Ein ganz großes Missverständnis, das mir immer wieder begegnet und das ich gerne ansprechen möchte, ist diese scheinbare, mir aber nicht verständliche Diskrepanz zwischen Inhalt und Bildern. Immer wieder kommt in den Diskussionen, wenn ich für meine Bilder kämpfe, das Argument: „Nein, der Inhalt ist jetzt wichtig. Wir müssen uns auf den Inhalt konzentrieren. Stell mal deine Bilder zurück!“ – wo ich mich dann frage, sind denn meine Bilder kein Inhalt? Bilder sind doch Inhalt!
Ich glaube, wir kommen viel weiter, wenn wir das als Einheit begreifen. Inhalt und Form, also Inhalt und Bilder, müssen gemeinsam an einer Erzählung arbeiten, dann wird es gut. Es ist ja immer so, dass sich die Bilder aus dem Inhalt ergeben müssen. Aber wenn der Inhalt nicht klar definiert ist und auch nicht kommuniziert wurde, dann stehe ich auch ziemlich verloren da und weiß auch nicht, wie ich meine Bilder machen soll.
Ich habe ja meinen Besteckkasten und kann verschiedene Looks anbieten. Aber dazu muss ich erst einmal wissen, wie der Inhalt aussehen soll. Und da wird interessant, was Walter sagte, nämlich, dass wir früher ins Gespräch kommen. Kameramenschen, Techniker, Editoren und alle, die an so einer Produktion beteiligt sind, früher an eine Redaktion anzubinden und ein mehr oder weniger festes Team zu bilden, wo man vielleicht sogar schon in der Formatentwicklung und in der Recherchephase zusammenarbeitet, wo man das alles begleitet und dann informiert und eingegroovt zusammen auf Dreh fährt, wäre ein Zustand, den ich mir wünschen würde.
Das klingt wie eine Konstellation, die vielleicht in der guten alten Zeit stattgefunden hat, bevor die Bild-Erstellung unter Kostendruck industrialisiert worden ist. Walter Demonte: Das hört sich erst mal so an, aber das heißt ja nicht, dass man es nicht machen kann! Ich behaupte ganz frech: Wenn ich gut vorbereitet bin und gecheckt habe, ob der Inhalt denn für alle klar ist, die an dem Projekt beteiligt sind, dann ist der Dreh danach ziemlich effektiv. Was machen wir aber ganz häufig in Wirklichkeit? Wir haben den Inhalt nicht richtig verstanden, geschweige denn, dass er vielleicht überhaupt richtig formuliert ist. Wir sitzen im Auto, fahren los und fangen an zu drehen und drehen. Das dauert. Und wir sitzen noch einmal die gleiche Zeit im Sichten und im Schnitt, um daraus einen Film zu machen. Diese Zeit, die ich da investiere, kann ich vorher in die Planung investieren. Das heißt, ich bringe die Menschen schon früh zusammen, lasse sie nicht den Inhalt zur Kenntnis nehmen, sondern gemeinsam den Inhalt entwickeln, zur Autoren-Idee die Bildideen hinzuentwickeln, die Filmideen entwickeln, wie montiert werden kann, wie designt werden kann, wie der Look sein soll. Das alles kann ich vorher besprechen, so dass ich nachher die Chance habe, viel Zeit zu haben, die richtigen und nicht irgendwelche Bilder zu machen.
Das haben wir bei uns gemacht und drei Redaktionen genommen, die immer mit den gleichen Menschen im Sinne eines guten Teams arbeiten wollten, weil das eingegroovt war. Das Problem war nur: Die wollten immer zur gleichen Zeit und das klappte nicht. Also haben wir gesagt: „Ihr bekommt diese drei, vier Leute, aber ihr müsst selbst organisieren, dass ihr zueinander kommt. Aber unser wichtigste Anforderung ist: Ihr müsst früh miteinander sprechen. Nehmt die von der Minute eins in dem Projekt mit!“ Mal hat es geklappt, mal nicht so gut. Aber wenn es geklappt hat, dann war das für das ganze Projekt unglaublich wertvoll, denn da ist genau das entstanden, was Jan beschreibt: Man hat ganz früh die visuellen Ideen entwickelt und hatte einen gemeinsamen Plan von dem, was man umsetzen möchte. Wenn es ganz gut gelaufen ist, waren sogar die Redaktionsverantwortlichen mit im Boot. Oft ist es nämlich auch eine Herausforderung, dass Autorenschaft und Redaktion auch eine Abhängigkeit haben und häufig die Autorenschaft zurückkommt, geschnitten hat und die Redaktion sagt: „Das haben wir uns aber ganz anders vorgestellt!“ Und dann geht alles wieder von vorne los. [15464]