33. Deutscher Kamerapreis: die Ehrenpreisträgerin Bella Halben im Gespräch
Sich immer wieder neu entdecken
von Dieter Weiss,
Beim 33. Deutschen Kamerapreis wurde die Kamerafrau Bella Halben mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Dieter Weiss hat für unsere Ausgabe 9.2023 mit der Preisträgerin gesprochen und blickt mit ihr auf über 40 Jahre Filmschaffen zurück.
Bella Halben, geboren 1957 in Hamburg, hat ihre Laufbahn zunächst als Werbefotografin begonnen. Nach der Ausbildung tauschte sie den Fotoapparat gegen die Fernsehkamera, assistierte für die aktuelle Berichterstattung und für Dokumentationen. Im Laufe der Jahre kamen zahlreiche Spielfilme, Werbe- und Dokumentarfilme hinzu. Seit 1994 arbeitet sie als selbstständige Kamerafrau. 2006 erhielt sie für „Hierankl“ den Adolf-Grimme-Preis in Gold für die „Beste Kamera“, 2006 den Deutschen Fernsehpreis und Fernseh-krimipreis für „Bella Block – Das Glück der Anderen“.
Frau Halben, wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
Meine Mutter war vor ihrer Heirat Modefotografin. Bei uns wurde zu Hause immer fotografiert und gefilmt. Als ich elf Jahre alt war, habe ich bei einem Preisausschreiben eine Kamera gewonnen. Von da an habe ich mit dieser Agfa Klick fotografiert. Das hat mir immer Spaß gemacht.
Und dann haben Sie eine Ausbildung begonnen?
Ja, ich habe eine Fotografenlehre gemacht und in diesem Fotostudio einen Kameramann kennengelernt. Mit dem habe ich an meinem ersten Film gearbeitet.
Welche Stärken haben Sie bei der Filmarbeit?
Meine Stärke ist, dass ich mit der Kamera sehr beweglich bin. Ich arbeite gern mit der Handkamera, ich reagiere auf das, was die Schauspieler mir zeigen. Ich glaube, das einzufangen, ist meine Stärke. Mir ist wichtig, mit dem Regisseur beim Drehen auf eine Mission zu gehen, dabei eine Vision zu entwickeln und dann die Emotionen der Schauspieler einzufangen. Die zeigen einem so viel von sich, wenn man gute Schauspieler hat. Und ich habe immer das Glück, mit wunderbaren Leuten zu drehen, die einem viel schenken.
Sind das Ihre Glücksmomente hinter der Kamera?
An meiner Arbeit fasziniert mich, dass ich Menschen nahekommen darf, dass sie in ihrer Rolle das Innerste nach außen kehren, dass ich dabei sein darf, wenn sie Gefühle wie Trauer oder Freude zeigen. Das finde ich das Spannendste anmeinem Beruf. Ich habe sehr oft Glücksmomente, weil ich oft mit tollen Schauspielern drehe.
Bereiten Sie sich mit den Schauspielern auf die Szenen vor?
Es kommt immer darauf an, mit welchem Regisseur ich arbeite. Es gibt eine Regisseurin, Francis Meletzky, mit der ich sehr viele Filme gedreht habe. Sie macht immer eine Leseprobe, danach kommen die Schauspieler und wir drehen gleich. Ich mag dieses Überraschungsmoment, weil ich noch nicht genau weiß, was passieren wird. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Ich finde es spannend, wenn man mir etwas präsentiert und ich das entdecken darf. Dagegen ist Caroline Link eine Regisseurin, die jede Szene sehr präzise vorbereitet. Bei ihr weiß ich immer, wo es lang geht.
Aber Sie nehmen nicht Kontakt zu den Schauspielern auf und geben ihnen konkrete Hinweise, wie sie spielen sollen?
Nein, ich würde niemals einem Schauspieler einen Hinweis geben, wie er spielen soll oder wohin er sich stellen soll. Das macht der Regisseur. Da gibt es auch ein großes Vertrauen zwischen der Regie und der Kamera. Das ist eine Partnerschaft. Auch die Schauspieler müssen mir vertrauen, dass ich sie nicht komisch abbilde. Ich finde, ein Schauspieler muss am Set immer machen können, was er will. Ich versuche, ihm das zu ermöglichen, denn dann bekomme ich am meisten.
Sie sehen sich also nicht als „verlängerter Arm“ der Regie?
Es ist ja so, dass ein Regisseur sich aussucht, wer die Kamera machen soll. Das ist wohl auch der Grund, warum ich nur mit einer Handvoll Regisseuren drehe. Ich habe mit Francis Meletzky 15 Filme gedreht, mit Hans Steinbichler 13 Filme, mit Caroline Link vier Filme und eine Serie. Man kennt sich und entdeckt sich trotzdem immer wieder neu. Die Kameraleute werden genommen, weil sie eine bestimmte Handschrift haben. Man müsste aber die Regisseure fragen: Warum wollt Ihr eigentlich immer mit der Bella Halben drehen? Das ist wie eine Beziehung. Man arbeitet intensiv zusammen. Ich muss übersetzen, was der Regisseur im Kopf hat. Das muss stimmen. Das findet man schnell heraus. Zu den Regisseuren und Regisseurinnen, mit denen ich oft arbeite, habe ich eine enge Beziehung, fast wie unter Geschwistern oder wie in einer Ehe.
Unter welchen Umständen sagen Sie für ein Projekt zu? Und wie bereiten Sie sich vor?
Wichtig ist mir ein gutes Buch. Wenn mich die Geschichte interessiert, sage ich zu. Und der Regisseur muss natürlich stimmen. Dann gehe ich mit dem Regisseur auf die Suche: Was ist die Mission in dem Film? Was wollen wir erzählen? Ich bin auch sehr involviert ins Casting und in die Änderungen am Drehbuch. Ich mache gern beim Casting mit, dann weiß ich schon, wie die Schauspieler ticken. Und die Schauspieler wissen, wie ich ticke, weil ich mit der beweglichen Kamera immer sehr nah rangehe. Dann bereiten wir uns vor, indem wir gemeinsam die Auflösung machen, Motive suchen und immer wieder hinterfragen, ob wir den richtigen Ansatz haben.
Entwerfen Sie im Vorfeld Farbkonzepte?
Ja. Auf jeden Fall überlege ich mir Farbkonzepte mit der Regie, mit dem Szenenbild, mit dem Kostümbild. Das ist immer eine enge Zusammenarbeit. Das bringt auch sehr viel Spaß, vorher genau zu überlegen, welche Farben zusammenkommen sollen. Man überlegt sich ganz genau, welches Gefühl erzeugt werden soll. Das wird manchmal hinterher noch geändert, weil die Leute dann erschrocken sind, dass alles zu bunt oder zu krass wird. Wir machen auf jeden Fall Mood-Boards und ein Farbkonzept.
Drehen Sie lieber drinnen oder draußen? Jeder Film ist eine neue Herausforderung. Wenn ich in den Bergen oder in Afrika drehe, wie bei „Hierankl“ oder „Exit Marrakech“, dann ist die Natur unerschöpflich. Die Landschaft ist für mich wie ein Schauspieler. Sie erzählt auch etwas: Sonne, Regen, Sturm, Landschaft, Weite, Enge. Das kann ich alles nutzen. Ein Film wie „Das Tagebuch der Anne Frank“ ist etwas völlig anderes. Der spielt in vier oder fünf Räumen, und ich muss immer andere Standpunkte und Perspektiven finden, damit es nicht langweilig wird. Auch die Serie „Safe“, die ich zuletzt mit Caroline Link gedreht habe, spielt nur in drei Räumen. Das war eine große Herausforderung, nicht drei oder vier Monate lang immer in die gleiche Richtung zu schauen. Aber ich finde beides spannend, drinnen und draußen. Ich kann nicht sagen, dass ich eines von beiden bevorzuge.
Sie sagten, Sie arbeiten sehr intuitiv. Wie äußert sich das? Ich habe die Kamera in der Hand oder auf der Schulter, um reagieren zu können. Ich gehe auf die Schauspieler zu oder entferne mich von ihnen. Das kann ich nur, wenn ich beweglich bin und nicht auf dem Dolly sitze oder die Kamera auf dem Stativ ist. Das wäre mir zu behäbig, denn ich ändere gern meinen Standpunkt. Ich kläre vorher mit den Schauspielern, ob das für sie in Ordnung ist, wenn ich mit diesem großen Apparat auf sie zukomme. Die meisten finden das okay.
Wie arbeiten Sie mit Licht? Ich arbeite sehr gern mit Licht, aber am liebsten von außen, so dass man im eigentlichen Motiv keine Stative hat. Die würden die Schauspieler und auch meine Mobilität einschränken. Ich mag es, Licht zu setzen, aber es sollte einfach sein. Einfach finde ich am besten. [15364]