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Die deutsche Produktionsbranche klagt über massive Auftragseinbrüche

Stilles Sterben

Die deutsche Produktionsbranche kämpft mit massiven Auftragsrückgängen, steigenden Kosten und Sparmaßnahmen. Besonders kleinere Unternehmen stehen vor existenziellen Problemen. Was sind die Ursachen dieser Krise und welche Lösungen könnte es geben?

Marcus Ammon, Uli Aselmann, Björn Böhning, Thomas Schreiber
Von links: Marcus Ammon, Uli Aselmann, Björn Böhning, und Thomas Schreiber (Foto: Stefan G. König, Julia Graf, Hans-Christian Plambeck, Ben Knabe)

Produzenten klagen immer, lästert man in den Sendern gern. Derzeit wären solche Bemerkungen jedoch nicht angebracht: Viele ihrer Mitgliedsunternehmen, teilt die Produktionsallianz mit, „berichten von massiven Auftragsrückgängen.“ Die Ursachen sind vielfältig. Vor zehn Jahren, sagt ein erfahrener ARD-Redakteur, habe ein „Tatort“ noch 1,5 Millionen Euro ge- kostet, mittlerweile nähere man sich der Zwei-Millionen-Marke. Inflation, Tariferhöhungen, „Green Producing“: All das treibe die Kosten in die Höhe. Außerdem habe Qualität ihren Preis: „Einen ausgezeichneten Kameramann kriegen Sie nicht für den Tariflohn.“

Eine weitere Herausforderung sei der digitale Transformationsprozess, also die Verlagerung vom linearen Fernsehen in die Mediathek: „Einzelstücke lösen geringere Impulse aus als Reihen und Serien, also werden mehr Serien produziert. Serien sind aber teurer als Fernsehfilme. Dieses Geld muss irgendwie eingespart werden. Wenn es nicht zu einer Beitragserhöhung kommt, werden wir noch stärker in der Bredouille stecken.“

Auch Marcus Ammon, Geschäftsführer Content, Bavaria Fiction GmbH, beschönigt nichts. „Die Lage ist ernst. Sender und Streamer müssen sparen beziehungsweise achten mehr denn je auf Rendite. Eine benötigte Erhöhung des Rundfunkbeitrags ist nicht in Sicht, bereits zugesagte Beauftragungen werden zurückgenommen. Das sind Entwicklungen, die eine Veränderung der Produktionslandschaft zur Folge haben werden.“ Der Markt, fasst Björn Böhning, Geschäftsführer der Produktionsallianz, die allgemeine Stimmung zusammen, „wird durch große Unsicherheit und Zurückhaltung beherrscht. Viele Produktionen werden auf die lange Bank geschoben. Dazu kommen jährliche Kostensteigerungen von mindestens sechs Prozent, die kaum refinanziert werden können.“

Wirtschaftlich starke und breit aufgestellte Produktionsfirmen können mit dieser Herausforderung besser umgehen als kleine Firmen. Für sie stelle die derzeitige Entwicklung eine existenzielle Bedrohung dar, sagt Uli Aselmann, Geschäftsführer der film GmbH: „Die großen können ihre Umsätze auf andere Aktivitäten verschieben, aber wir sind auf Kino- und Fernsehfilme spezialisiert, wir können nicht plötzlich anfangen, Entertainmentformate zu entwickeln und zu produzieren.“

Streamer im Fokus

Als Sky im Sommer 2023 ankündigte, keine deutschen Filme und Serien mehr in Auftrag zu geben, war das für die gesamte Branche ein Schock. Zu Beginn dieses Jahres folgte Paramount+. Einige Produktionen waren bereits in Auftrag gegeben und wurden kurzfristig abgesagt. Im inoffiziellen Gespräch schieben die Sender den Schwarzen Peter prompt zu den Streamingdiensten. Eine Netflix-Sprecherin versichert jedoch: „Wir investieren seit vielen Jahren massiv in deutschsprachige Filme, Serien sowie Non-Fiction-Programme und werden das auch in Zukunft tun.“ Amazon teilt mit, man habe das Auftragsvolumen für deutsche Prime- Video-Produktionen über die letzten Jahre kontinuierlich gesteigert.

Im Vergleich zur enormen Menge öffentlich-rechtlicher Aufträge wirkt die Anzahl der Streaming-Produktionen allerdings überschaubar. Auch die beiden großen Privatsenderfamilien spielen als Auftraggeber eine große Rolle. Henrik Pabst, bei ProSiebenSat.1 Media SE verantwortlich für alle Inhalte auf der Streaming-Plattform Joyn und den linearen Sendern des Konzerns, lässt mitteilen: „Für die Season 24/25 produzieren wir als Gruppe mehr fiktionale Programme als in den vergangenen fünf Jahren zusammen.“ RTL, sagt ein Sprecher, habe die Zahl der Aufträge ebenfalls nicht verkleinert: „Wir konnten unsere großen Investitionen in Programminhalte in den vergangenen Jahren trotz erheblicher wirtschaftlicher Herausforderungen steigern und verstetigen.“ Man investiere jährlich über eine Milliarde Euro in Inhalte. Auch beim ZDF, heißt es, zeige sich aktuell kein Auftragsrückgang. Das Volumen an Auftragsproduktionen, Koproduktionen und Kofinanzierungen habe in den letzten Jahren vielmehr zugenommen. Thomas Schreiber, Geschäftsführer der ARD-Tochter Degeto, bezeichnet die aktuelle Situation als Spagat zwischen stagnierenden Etats und einer Kostensteigerung, die viele in der Branche überrascht habe, weil man nach der Überhitzung des Marktes in den Jahren 2021/22 offenbar auf „ruhigere Fahrwasser“ gehofft habe. Der Degeto-Etat sei im Großen und Ganzen stabil geblieben, aber angesichts massiver Kostensteigerungen habe man die Zahl der Donnerstags- und Freitagsfilme reduzieren müssen.

Ungewisse Zukunft

Wie es weitergeht, kann niemand vorhersagen. Die Entwicklung hängt an zwei Fragen: Werden die Länder einer Erhöhung des Haushaltsbeitrags zustimmen? Und welchen Effekt wird die Reform der Filmförderung haben? Der Filmstandort Deutschland, betont Böhning, brauche die Reform „als Gesamtstrategie mit Steueranreizmodell und Investitionsverpflichtung, sonst wird er dauerhaft vom internationalen Wettbewerb abgehängt.“ Bislang gebe es für Netflix & Co. keinerlei Verpflichtung zur Beauftragung deutscher Produktionsunternehmen; „fair ist das nicht.“ Unterstützung erhält die Produktionsallianz von Helge Lindh, SPD-Obmann im Ausschuss für Kultur und Medien im Bundestag: „Internationale Streamingdienste machen Milliardenumsätze mit Abos in Deutschland, müssen den Großteil hier aber weder versteuern noch reinvestieren. Das muss sich ändern.“ Frankreich habe vorgemacht, welche Auswirkungen eine Investitionsverpflichtung habe: Das Produktionsvolumen von Netflix & Co. sei anschließend sprunghaft von 21 Millionen Euro auf 345 Millionen Euro gewachsen.

Entscheidender ist jedoch die öffentlich-rechtliche Gebührenfrage. Aselmann hat große Zweifel, ob die empfohlene Beitragserhöhung um 58 Cent pro Monat mit der nötigen Einstimmigkeit durchgewunken werde. Kleine Firmen, sofern sie größtenteils für ARD und ZDF produzieren, hingen daher „erheblich in der Luft“, sagt sein Kollege Benedik Böllhoff von Viafilm. Selbst eine Beitragserhöhung werde für manche zu spät kommen: „Es wird keinen öffentlichen Aufschrei geben, allenfalls eine Notiz in der Fachpresse. Kleine Unternehmen verschwinden eher still.“ [15505]

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