Berichte über die Entstehung von Filmen sind das tägliche Brot dieser Zeitschrift. Hier geht es jedoch ausnahmsweise um das Making-of eines Buches, das unser Autor Hans Albrecht Lusznat über die Geschichte der Kamera-Berufsverbände in Deutschland geschrieben hat.

Am Anfang stand die Jahreszahl 1925, an der sich vor 100 Jahren zum ersten Mal die Kameraleute zu einem Berufsverband zusammengeschlossen haben sollten. Diese Zahl wurde schon seit längerer Zeit immer wieder kolportiert, obwohl sich dafür in einer Internetrecherche keine Belege finden ließen. Diejenigen, die das Jahr 1925 ins Spiel gebracht hatten, sind inzwischen alle verstorben. Die ältesten heute noch lebenden Kameraleute sind erst in der Nachkriegszeit gegen Ende der 1950er Jahre in den Beruf gestartet und können daher das damals schon gut 30 Jahre zurückliegende Gründungsereignis nur aus den Erzählungen der Altvorderen kennen.
Als 2022 erstmals die Frage aufkam, was genau sich in den 1920er Jahren abgespielt hat, sah es hinsichtlich konkret belegbarer Fakten sehr mager aus. Ein Berufsverband ist ja nichts Konkretes, ist keine Hardware, die sich dinglich manifestiert und deshalb vielleicht noch erhalten ist, so wie die erste verkäufliche Leica-Kamera aus dem Jahr 1925. Ein Berufsverband ist eine Beziehungs-Idee, die in der Kommunikation mehrerer Menschen entsteht, ihr Handeln beeinflusst und bestenfalls auf die Gesellschaft wirkt, um – und das ist der Sinn der Sache – die Situation der Mitglieder, im konkreten Fall der Kameraleute, zu verbessern.
Wo kann man etwas über diese Idee finden, wenn die agierenden Protagonisten alle schon verstorben sind? Nur wenn diese Ideen medial fixiert worden sind, also aufgeschrieben wurden, können wir noch Spuren der Verbandsarbeit feststellen.
Spurensuche
Die ersten Belege für die Existenz eines Verbandes der Kameraleute fanden sich dann in den Berliner Adressbüchern der späten 1920er Jahre. Im Adressbuch von 1927 ist der Klub der Kameraleute Deutschlands mit Adresse geführt. Es hat ihn zu diesem Zeitpunkt also bereits gegeben.
Fast alle Verbände sind als eingetragene Vereine registriert. Satzung und wichtige Unterlagen zu Beschlüssen sowie Vorstandspersonen sind beim zuständigen Gericht hinterlegt, und für alle Finanzunterlagen sowie relevante Kommunikation gilt eine Aufbewahrungspflicht von zehn Jahren. Das Berliner Registergericht verfügt über sehr viel ältere Unterlagen, doch durch den Krieg ist vieles zerstört worden.
Ergiebig war dann die Suche in den Nachlässen der Kameraleute der 1920er Jahre. Die Deutsche Kinemathek hat die Nachlässe vieler wichtiger Personen des Filmgeschäfts gesammelt, darunter auch die einiger Kameraleute. Als Beifang ihrer Arbeitsunterlagen sind dort ein Brief, eine Postkarte, ein Foto, eine Mitgliederliste aus dem Jahr 1927 und eine Satzung erhalten geblieben – eindeutige Hinweise darauf, dass sich die Kameraleute in den 1920er Jahren organisiert haben.
Diese Schriftstücke stammten vom „Klub der Kameraleute Deutschlands“, vom „Verband der Kameraleute Deutschlands“ und vom „Klub für Kameratechnik“, also gleich drei unterschiedlichen Zusammenschlüssen. Immerhin gab die Mitgliederliste Auskunft darüber, wer 1927 zum Klub der Kameraleute gehörte und wer im Vorstand war.
Guido Seeber, der bekannteste Kameramann dieser Jahre, kam wider Erwarten in dieser Liste gar nicht vor. Seeber, 1879 in Chemnitz geboren, zählt zu den Pionieren der Kameraarbeit und erlernte im väterlichen Fotoatelier das Handwerk. Schon 1897 kauften die Seebers eine Filmkamera und drehten eigene Filmstreifen, um sie in verschiedenen Lokalitäten vorzuführen.
Seeber hat in verschiedenen Zeitschriften publiziert und Bücher geschrieben, 1920 die Deutsche Kinotechnische Gesellschaft mitgegründet, die Babelsberger Ateliers mit aufgebaut, über 150 Filme gedreht und einen umfangreichen Nachlass hinterlassen, der heute mit über 1.800 Positionen bei der Kinemathek liegt. Aber über den Klub oder den Verband der Kameraleute finden sich in seinem Nachlass keine Hinweise.
Wie so viele Kollegen hat Seeber die Einladungen und sonstigen Unterlagen einfach nicht aufgehoben, obwohl er an der Vereinsgründung des „Klubs der Kameraleute Deutschlands“ beteiligt war. Er war auch Vorstand des „Klub für Kameratechnik“. Schon früh zeichnete sich hier eine Schwierigkeit ab: Man findet leichter die Gebrauchsanweisung einer Kamera als das Protokoll einer Vereinssitzung.
Auf Anfang
Zum Glück waren viele Vereine bestrebt, für die Kommunikation mit ihren Mitgliedern ein Vereinsorgan zu suchen oder einzurichten. Dazu boten sich bestehende Fachzeitschriften an, die für die Vereinsanliegen eine eigene Rubrik einrichteten und so ihren Leserkreis erweitern konnten.
Auch „Film & TV Kamera“ wurde 1951 zunächst als Vereinsorgan des „Club deutscher Kameramänner“ gegründet. Zeitschriften aber sind von verschiedenen Bibliotheken systematisch gesammelt worden, und nur deshalb kann man heute die Gründung des ersten Berufsverbands der Kameraleute relativ genau nachvollziehen.
Es waren die Vertreter der technischen Fachpresse, denen verschiedene Kameraleute ihr Leid geklagt hatten und die dann die Angelegenheit in die Hand nahmen. Ernst Erwin Haberkorn, Hauptschriftleiter der Filmtechnik, Dipl.-Ing. Alexander Kossowsky, Schriftleiter der Kinotechnischen Rundschau und des Film-Kuriers, sowie Dr. Georg Viktor Mendel, Redakteur der Lichtbildbühne, suchten sich aus dem Kino-Adressbuch alle Berliner Kameraleute heraus und schickten ihnen Einladungen zur Gründungsversammlung, die dann am 28. November 1925 stattfand.
Alte Fragen in neuen Zeiten
Nach einer umfangreichen Recherche in verschiedenen Archiven lagen schließlich rund 4.500 digitalisierte Dokumente vor, die die Geschichte der Verbandsarbeit der Kameraleute in den vergangenen hundert Jahren aus verschiedenen Perspektiven widerspiegeln.
Was hat die Kameraleute beschäftigt? Wie war ihre Stellung im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gefüge? Wie wurde man Kameramann oder Kamerafrau? Wer hatte die Rechte an den Bildern? Welche Konflikte gab es in der Berufsgruppe? Welche neuen Techniken beschäftigten die Kameraleute? Wie haben der Tonfilm und das Fernsehen die Arbeit verändert? Welche Rolle spielten die Kameraleute im Dritten Reich? Was haben die Berufsverbände erreicht?
Auf all diese Fragen versucht das Buch unter Berücksichtigung der zeitgeschichtlichen Aspekte eine Antwort zu geben – soweit es die Quellenlage zulässt. Erstaunlich ist, dass viele Problematiken des Berufslebens schon seit der ersten Verbandsgründung diskutiert wurden und heute noch genauso aktuell sind wie damals. [15542]