Jost Vacano ist eine Instanz unter den deutschsprachigen Kameraleuten. Daran besteht kein Zweifel, ebensowenig daran, dass er selbst stets einen Bogen um große Worte gemacht hat und der Branche wie den Menschen stets auf Augenhöhe begegnet ist. Trotzdem: Ehre, wem Ehre gebührt, und deshalb blicken wir anlässlich seines neunzigsten Geburtstag am 15. März auf seine bemerkenswerte Karriere zurück.
Früher war eben nicht alles besser. So ist für Jost Vacano in den 1950er Jahren der Versuch, am Beginn seiner Laufbahn über eine Assistenz den Beruf des Kameramanns erlernen zu können, durchaus von vielen Rückschlägen geprägt. Es hagelt Absagen für den jungen TU-Studenten, der aus Osnabrück ins westdeutsche Filmzentrum nach München gekommen ist. Denn die „Filmclique“ bedient sich hinsichtlich ihres Nachwuchses aus den eigenen Reihen und hält Außenstehende auf Abstand.
Was als Bildungsmöglichkeit neben dem Studium an der technischen Universität bleibt, sind einige wenige Vorlesungen des Deutschen Instituts für Film und Fernsehen (DIFF), einer frühen Vorgängerinstitution der später startenden Filmhochschule – und natürlich das Kino, als Basis für ein Selbststudium, wie Filme gemacht werden. Auch eine Anzeige in der wichtigen Branchenfachzeitschrift „Der Deutsche Kameramann“ bringt nicht den ersehnten Anruf: „Wir brauchen Sie.“
Was schließlich hilft, ist Selbermachen. Bei einem Kurs der Schauspielschule „Zerboni“ lernt Jost Vacano mit Peter Schamoni einen anderen Filmsüchtigen kennen. Gemeinsam brechen sie 1957 mit einer Bolex-Kamera in einem Pulk von Jugendlichen zu den Weltjugendfestspielen nach Moskau auf. Dieser Film mit bis dahin ungesehenen Bildern aus der schwer zugänglichen Hauptstadt des Ostblocks läuft ein Jahr später auf der Photokina. Er bringt den beiden Jungfilmern einen ersten Preis und damit die Aufmerksamkeit der Branche. Für Jost Vacano bedeutet das erste Kamerajobs in einer wachsenden Filmwirtschaft und bei dem jungen Medium Fernsehen. Mit Schamoni dreht Jost Vacano weitere Kurzfilme und dann 1965 „Schonzeit für Füchse“, den ersten Spielfilm des Regisseurs, der auf der Berlinale 1966 den silbernen Bären erhält und den Werken des Jungen Deutschen Films zuzurechnen ist.
Gut beschäftigt
Für den ebenfalls jungen Kameramann, der da 32 Jahre alt ist, beginnt in der Folge eine intensive Zusammenarbeit mit Fernsehregisseuren wie Peter Zadek, Hansgünther Heyme, Wilm ten Haaf, Eberhard Itzenplitz, Rainer Wolffhardt, Rolf Hädrich und Peter Beauvais, die neunzigminütige Fernsehspiele drehen und den Autodidakten Vacano zu einem Routinier heranreifen lassen, der bald auf lange Zeit hin ausgebucht ist.
1974 entscheidet er sich, keine Fernsehjobs mehr anzunehmen und sich aufs Kino zu konzentrieren, was ihm zunächst die Arbeitslosigkeit beschert, dann aber mit Roland Kicks „Supermarkt“ einen echten Kultfilm. Thriller und gleichzeitig Sozialdrama über einen Looser, der in die Kriminalität abrutscht, spielt der Film in der Hafengegend von Hamburg St. Pauli. Es gibt viele Nachtszenen und das verfügbare Filmmaterial ist nicht empfindlich genug, um mit Available Light zu drehen. Den berühmten ZEISS Highspeed-Objektivsatz gibt es auch noch nicht. Jost Vacano findet ein 40 mm Olym- pus Fotoobjektiv fürs Halbformat mit F1.4 Blendenöffnung, das er sich für die 35mm-Arriflex-Objektivfasssung selbst umbaut und das genau die Blende mehr bringt, die es braucht, um in der Nacht bei Straßenbeleuchtung drehen zu können. „Supermarkt“ ist auch der Film, bei dem er zum ersten Mal Kenyon-Kreiselstabilisatoren an der Handkamera verwendet, wenn er den auf der Flucht befindlichen Hauptdarsteller in dynamischen Bildern begleitet. Diese Arbeitsweise wird für seinen weiteren Werdegang wichtig werden.
Ein Jahr drauf folgt der Kinofilm „Die verlorene Ehre der Katarina Blum“ von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta nach einem Roman von Heinrich Böll, der sich im Zusammenhang der Terrorismusdebatte mit den fragwürdigen Methoden der Boulevardpresse beschäftigt. „Der deutsche Kameramann“ widmet dem Film eine Titelgeschichte. Jost Vacano erhält beim Deutschen Filmpreis für seine Arbeit das Filmband in Gold.
„Das Boot“
bv1973 erscheint der Roman „Das Boot“ von Lothar-Günter Buchheim. Die Bavaria Filmproduktion in Geiselgasteig sichert sich die Rechte am Buch und will den Film zusammen mit einem amerikanischen Partner realisieren. In der Phase der Vorproduktion hatte man für die Modelle und den Kulissenbau schon 6 Millionen DM investiert, als die Amerikaner ausstiegen. So wurde es letztendlich eine rein deutsche Produktion, mit der man den anderen auch zeigen wollte, dass man so etwas auf die Beine stellen kann. Allen Beteiligten war von Beginn klar, dass dieses Projekt der damals teuerste deutsche Filme werden würde.
U-Boot-Filme sind zu dieser Zeit ein fest etabliertes Genre der Filmgeschichte, alle mit einem ähnlichen Look: schön ausgeleuchtete, geräumige Sets, die es so in der Realität unter Wasser nirgends gibt. Produzent Günter Rohrbach holt Regisseur Wolfgang Petersen und Jost Vacano als Kameramann an Bord. Der entwickelt ein eigenes Konzept für die Bildgestaltung: Alle Szenen im Boot werden im Boot gefilmt und nie steht die Kamera außerhalb, wie es in Kulissen durch mobile Außenwände möglich wäre. Der Zuschauer sollte mit im selben Boot sitzen wie die Mannschaft, das Licht sollte von den realen Lampen im Boot kommen.
So einfach wie das Konzept klingt, so schwierig ist es für Vacano dann, es bei Regie und Produktion durchzusetzen. Wer seine beharrliche Art kennt, wundert sich aber nicht, dass ihm das gelungen ist und er damit den außerordentlichen Erfolg des Projektes wesentlich mit zu verantworten hat. Diese bewegten Aufnahmen aus der klaustrophobischen Enge des Bootes vergisst man so schnell nicht und sie haben ohne Zweifel alle nachfolgenden Filmemachergenerationen beeindruckt.
Karriere in den USA
1981, im Erscheinungsjahr des Films erhalten der Regisseur Wolfgang Petersen und der DoP Jost Vacano den Bayerischen Filmpreis. Beide werden in ihrer Sparte zwei Jahre später für den Oscar nominiert. „Das Boot“ geht trotz fünf Nominierungen leer aus, aber da drehten Petersen und Vacano schon gemeinsam am nächsten Großprojekt: „Die unendliche Geschichte“. Diesmal ist Bernd Eichinger mit seiner Constantin Film der Produzent, das Budget gegenüber dem „Boot“ nochmals gestiegen. Mit 60 Millionen DM wird dieser Film der teuerste Nachkriegsfilm bis zu Jahrtausend- wende und bescheinigt Jost Vacano, solch hohen Budgets gewachsen zu sein. Danach dreht er nur noch in den USA, hauptsächlich mit dem niederländischen Regisseur Paul Verhoeven, unter anderem 1987 „Robocop“, 1990 „Total Recall“ und 1995 „Showgirls“.
„Hollow Man“ war im Jahr 2000 Jost Vacanos letzter Film in Hollywood und eine besondere Herausforderung für den Bildgestalter, denn die Hauptperson kann sich unsichtbar machen. Wie aber zeigt man die Unsichtbarkeit? Dafür musste sich der 66-jährige Vacano intensiv mit den neuen digitalen Trickmöglichkeiten beschäftigen und Szenen erdenken, in denen das Nichtsehbare sichtbar ist.
Jost Vacano gehört neben Michael Ballhaus, Karl Walter Lin- denlaub und Anette Haellmigk zu den wenigen deutschen Kameraleuten, die es dauerhaft nach Hollywood geschafft haben, und als er im Jahr 2000 seine aktive Laufbahn beendet, hat er schon einen festen Platz in der deutschen Filmgeschichte.
Politisch aktiv
Aber Jost Vacano ist auch ein politischer Mensch, der viel erreicht hat. 1981 formiert sich der Berufsverband deutscher Kameraleute neu unter dem Kürzel BVK, Jost Vacano ist von Anfang an mit dabei und bis 1986 im Vorstand aktiv, später noch einmal in den Jahren 1994 bis 2000. Einmal bin ich als Autor für den – seinerzeit noch – „Film TV Kameramann“ unterwegs dem großen Ballhaus begegnet, als er mit seiner Entourage über eine Messe zog. Auch er war Mitglied im Berufsverband, aber eigentlich nie da. Jost habe ich oft auf den Veranstaltungen des Verbandes erlebt und auch zu seinen aktiven Zeiten, er drehte da schon in den USA, machte aber kein Aufhebens von diesem Umstand.
Es ist die Zeit, nach der Vacanos Bildgestaltung für „Das Boot“ ihre Wirkung entfaltet, und in der er sich fragt: Wieso werden bei den Verwertungsgesellschaften nur die Regisseure als Urheber von Filmwerken geführt und bei den Ausschüttungen bedacht, wenn der Film ursächlich eigentlich in dem Apparat entsteht, der vom DoP aufgestellt, bewegt und geführt wird? Ab 1985 setzt durch ihn eine Diskussion über die Verteilung in den Verwertungsgesellschaften ein und letztendlich sind nach einer Neuordnung heute auch die Kameraleute, die Szenenbildner und Editoren als Urheber an den Filmwerken anerkannt und an der Verteilung beteiligt. Als Ende der 1990er Jahre eine Novellierung des Urheberrechts ansteht, mischt sich Jost Vacano in die Diskussion ein und kann die damalige Justizministerin Herta Däubler Gmelin davon überzeugen, dass im neuen Gesetz auch Kameraleute als Miturheber von Filmwerken gelten können und entsprechend an den Verwertungserlösen beteiligt werden müssen.
Weltweit stehen damit die Kameraleute in Deutschland als Miturheber von Filmwerken besonders gut da, während etwa in den USA der DoP als nichtkreativer Techniker gilt und als reiner Erfüllungsgehilfe von Regie und Produktion ohne Beteiligung an den Verwertungserlösen bleibt. Dieses neue deutsche Urhebergesetz von 2002 sieht für die Urheber eine „angemessene“ Vergütung
vor. Was angemessen ist, das müssen die Verbände der Urheber mit den Verwertern vereinbaren. Infolgedessen sind inzwischen eine Reihe von gemeinsamen Vergütungsregelungen vom Berufsverband der Kameraleute mit einzelnen Verwertern abgeschlossen worden, sogenannte GVOs. Die Urheber haben davon profitiert, alles undenkbar ohne die engagierte Pionierarbeit von Jost Vacano.
Aber damit nicht genug: Im Gesetz gibt es noch den sogenannten Bestseller-Paragrafen. Der bestimmt, dass das Honorar eines Miturhebers von Verwerterseite nachgebessert werden muss, wenn ein Werk besonders erfolgreich ist und der Erlös aus den Nutzungsrechten in einem Missverhältnis zum Honorar des ursprünglichen Vertrags steht. So weit, so gut. Aber praktisch ist dieses Recht kaum einklagbar, denn kein aktiver Filmschaffender wird sich vor Gericht gegen einen Produzenten wenden – es sei denn, er will aus dem Beruf aussteigen.
Mit dem „Boot“ hatte der „Rentner“ Jost Vacano aber genau den Muster-Fall, an dem sich der Bestsellerparagraf erproben ließ. Zwar gilt das Gesetz erst ab 2002 und bis dahin war der Film schon einundzwanzig Jahre ausgewertet worden. Aber durch neue Verwertungskanäle hatten sich auch nach 2002 Gewinne angehäuft, die außergewöhnlich waren. So beschritt Vacano mit Unterstützung durch den Berufsverband den Klageweg. Was zunächst überschaubar schien, wuchs sich zu einer 14 Jahre währenden Odyssee vor Land- und Oberlandesgerichten und schließlich dem Bun- desgerichtshof aus, die dann in einem Vergleich zwischen der Produktionsgesellschaft und dem Kameramann endete, mit Signalwirkung für die Branche.
Was zunächst überschaubar schien, wuchs sich zu einer 14 Jahre währenden Odyssee vor Land- und Oberlandesgerichten, drei Verhandlungen vor dem Bundesgerichtshof sowie einer abgelehnten Verfassungsbeschwerde aus. Das Verfahren wurde dann mit der Zahlung der gesamten Streitsumme nebst hohen Zinsen durch die Beklagten unerwartet beendet. Ein zweites Verfahren gegen die ARD-Anstalten endete per gerichtlichem Vergleich, ebenfalls mit hohen Beträgen und einer hohen Signalwirkung in die gesamte Branche.
Mit seiner sachlichen und beharrlichen Art hat Jost Vacano für die deutschen Urheber im Allgemeinen und die Kamera- leute im Besonderen eine sehr gute Position erreicht, die jetzt auf das EU-Recht ausstrahlt und zukunftsweisend ist. Jost Vacano hat durch sein politisches Engagement ein ge- sellschaftspolitisches Vermächtnis geschaffen, an dem die nachfolgende Generation weiterarbeiten muss. Dafür und für seine grandiosen Filmbilder gebühren ihm Dank und An- erkennung. Wir verneigen uns vor einem großen Kollegen, der nie etwas Besonderes sein wollte und uns immer auf Augenhöhe begegnet. [15417]
Als niederländischer Kameramann kenne ich Jost Vacanos Arbeit natürlich aus seiner Arbeit mit Paul Verhoeven und Das Boot. Ein schöner Artikel!