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Corona-Krise als Chance

Was muss sich nach der Krise verändern?

Man hört es von überall, aus der Politik, aus der Wirtschaft, aus dem Gesundheitssystem: Es darf nach der Corona-Krise kein „Weiter so!“ geben, es muss sich etwas ändern. Die Filmbranche ist von prekären Beschäftigungsverhältnissen geprägt, die es in der Krise besonders schwer haben. Wir sprachen mit BVK-Geschäftsführer Dr. Michael Neubauer darüber, wo er Bedarf er für Veränderung sieht.

Wenn dieser Artikel erscheint, sind die ersten Lockerungen der aktuellen Einschränkungen in Kraft. Inwieweit diese der Filmbranche wirklich helfen, ist nicht klar abzusehen. Eine Rückkehr in den Normalzustand wird es jedoch nicht bedeuten. Schon vorher gab es prekäre Beschäftigungsverhältnisse und es ging nicht immer solidarisch zu. Die Krise machte die latenten Probleme offensichtlich. Was kann nach der Krise getan werden, um die Beschäftigten nicht mehr so schnell in finanzielle Notlage geraten zu lassen?
Auch wenn die Situation sich normalisieren wird, sollte man sich nicht zurücklehnen und sagen: „Ist ja wieder schön – Et hätt noch emmer joot jejange.“ Wer aus dieser Krise keine Konsequenzen zieht und auch seine Preisgestaltung oder sein eigenes Sparverhalten mal hinterfragt, der hat nichts gelernt! Es geht bei Unternehmern – und Solo-Selbständige sind Unternehmer – immer auch darum, Geschäftsrisiken abzusichern. Das heißt Rücklagenbildung! Das gilt für Freiberufler, für selbständige Kulturschaffende, für alle Berufsgruppen, die eben nicht über Lohnsteuerkarte beschäftigt sind. Beschäftigte haben gegebenenfalls Anspruch auf Kurzarbeitergeld oder zumindest einen Auflösungsvertrag, wenn das Projekt entfällt. Der Rechnungssteller hat von diesen Sicherheitsnetzen im Prinzip nichts. Und daher braucht er umso mehr Rücklagen, um auch mal durch eine geschäftliche Durststrecke zu kommen.
Wer solche Rücklagen nicht bilden kann und die in seinem Honorar nicht einpreist, um damit Rücklagenbildung und Geschäftsrisikoabsicherung zu realisieren, der muss sich wirklich überlegen, ob das die richtige Branche ist. Wenn keine Rücklagen gebildet werden können, stimmt etwas am Geschäftsmodell nicht.

Rücklagen können nur mit entsprechend hohen Honoraren gebildet werden. In der Krise zeigen sich aber noch mehr Nachteile von Selbständigen gegenüber angestellten Beschäftigten.
Völlig richtig! Angestellte Arbeit auf Lohnsteuerkarte bietet einen deutlich größeren Schutz. Nicht nur, dass ich im Zweifelsfall an mein Geld komme, weil ich einen anderen Anspruch habe als ein Rechnungssteller. Nein, es geht auch um ganz fiese Risiken, etwa um Haftungsrisiken. Es beschäftigt uns auch im BVK immer wieder, dass Rechnungssteller ganz anders haftbar sind – auch für Stillstände, Betriebsausfälle oder Schlechtleistungen, die sie erbringen. Wenn ein Arbeitnehmer eine Schlechtleistung erbringt, ist er in einer ganz anderen Weise geschützt als ein Rechnungssteller. Das muss alles abgebildet sein in den Preisen der Rechnungssteller! Rechnungssteller arbeiten heute manchmal zu Preisen, für die auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tätig werden – das geht gar nicht! Die Rechnungssteller müssten mindestens 30 Prozent teurer sein!
Ich hoffe, dass die Krise unseren eigenen Mitgliedern und auch den Filmschaffenden jenseits des BVK wenigstens diesen Aspekt klarmacht. Wer als Rechnungsteller unterwegs ist und wenig Schutz hat, muss dieses Risiko durch andere Preisgestaltung kompensieren.

Wo siehst du hier die Unternehmen in der Pflicht?
Der Film- und Medienbereich ist etwas sehr Skurriles. Zum einen handelt es sich um die lockere Bussi-Gesellschaft, wo jeder mit jedem bester Freund ist. Unsere Branche ergeht sich in Freundschaft und in der Gemeinschaft – es ist der Wahnsinn, weil der Film, die Medien, wir alle sind so supertoll!

„Ich hoffe, dass die Krise unseren eigenen Mitgliedern und auch den Filmschaffenden jenseits des BVK wenigstens diesen Aspekt klarmacht. Wer als Rechnungsteller unterwegs ist und wenig Schutz hat, muss dieses Risiko durch andere Preisgestaltung kompensieren.“

Dann zeigt sich aber in so einer Krise, dass nicht jeder toll ist und schon gar nicht dein Freund, dass es weniger um Bussis geht, als ganz knallhart um eigene ökonomische Vorteile. Notfalls auf dem Rücken anderer. Die Solidarität zelebriert man nach außen: „Unser geiles gemeinsames Werk!“ – nein, das ist schlichtweg „Mein ökonomisches Projekt“! Die anderen schicke ich aufgrund der unvorhersehbaren höheren Gewalt ganz schnell nach Hause. Da ist oft nichts mit „Solidarität“.
Dass man beim Film Kurzarbeitsregelungen anwenden könnte, haben einige Firmen erst spät oder gar nicht begriffen. Dieses Modell gibt es in Deutschland nicht erst seit Corona. Es ist auch sehr gut, dass es das gibt. Kurzarbeit ist nicht schön, aber ökonomisch ein gewisser Schutz. Nur zu sagen: „Dumm gelaufen und tschüss!“ ist nicht die Art von Solidarität, die Filmschaffende eigentlich erwarten dürfen.
Denn die Filmschaffenden sind im Allgemeinen weitestgehend solidarisch mit den Firmen und reißen sich – Entschuldigung für die Formulierung – die reißen sich den Arsch auf, um die Produktionen auf einem ganz hohen Niveau möglich zu machen! Das geschieht mit Tagespensen, die zum Teil elendig lang sind. Weil ja angeblich alle dauernd Bereitschaft haben, wenn sie drehen. Völlig irre!
Zumal die Leute, die fest in den Produktionen und bei den Sendern arbeiten, in so einer Krise bestens geschützt sind. Die Freien, die draußen im Wind des Marktes stehen und die Produktionen unter zum Teil abenteuerlichen Bedingungen für die Sender herstellen, die lässt man dann als erste fallen. Das ist eine Art von „Solidarität“, die ich als sehr gewöhnungsbedürftig empfinde!

Welche Mittel und Wege gibt es denn, das nach dieser Krise in der Branche zu thematisieren? Wie kann der Diskurs darüber angestoßen werden?

BVK-Geschäftsführer Dr. Michael Neubauer

Das wird sehr schwer werden. Jede Krise mündet am Schluss wieder in eine andere Stimmung, nämlich große Hoffnung und Euphorie: Gott sei Dank! Es wird dann wieder mit dem Produktionsbetrieb losgehen, die Rentals werden wieder Arbeit haben, es werden Dreharbeiten an den Sets laufen. Die Leute werden sich nach einer langen Durststrecke darum reißen, wieder produzieren und drehen zu können. Damit beginnt dann so eine kleine Goldgräberstimmung. Solche Zeiten des Aufbruchs sind denkbar schlechte Zeiten, um Regulierungen zu erreichen oder Absprachen zu treffen. Insofern sehe ich da leider rabenschwarz. Da habe ich keine Hoffnung und keine Illusionen. Es gilt, Auswüchse zu minimieren.
Wir haben jetzt einige Wochen Zeit, um nachzudenken. Ich hoffe, dass unsere Branche das nutzt und dass man vielleicht in dieser Phase des Stillstands reflektiert, was hier eigentlich passiert ist und ob man das im Wiederholungsfalle nicht besser machen kann.
Da sind alle gefordert, die Firmen, aber auch die Sender. Es reicht eben nicht, zu sagen: „Wir kompensieren 50 Prozent des Schadens, den unser Auftragnehmer gehabt hat.“ Das ist schön und gut. Nur auf der anderen Seite ist mir nicht bekannt, dass das öffentlich-rechtliche System jetzt in der Krise weniger Geld bekommt, als vorher. Die Haushaltsabgabe sprudelt, aber Produktionsausgaben sinken.

„Die Freien, die draußen im Wind des Marktes stehen und die Produktionen unter zum Teil abenteuerlichen Bedingungen für die Sender herstellen, die lässt man dann als Erste fallen. Das ist eine Art von ,Solidarität‘, die ich als sehr gewöhnungsbedürftig empfinde!“

Das ist also ein schlechtes Signal. Das sieht nach außen solidarisch aus, hört sich toll an. Wenn ich das aber aus der Vogelperspektive ökonomisch betrachte, sehe ich, dass den Sendern weiterhin das Geld in den Hof getragen wird und sie nicht die Solidarität haben zu sagen: „Unter diesen miserablen Zuständen machen wir eine klare Zusage: Wir übernehmen das komplett.“ Ich habe mich geärgert über diese Aussage, weil ich so eine Haltung nicht fair finde. Wer sich in einen Produzenten hineinversetzt, der fragt sich doch: Ja, was mache ich denn mit den anderen 50 Prozent der nicht gedeckten Ausgaben, die mir keiner erstattet?

Siehst du die Abhängigkeit vieler Produktionsfirmen von den Fernsehsendern als Verstärker dieser Problematik?
Das angelsächsische System mit weitgehender Trennung zwischen den Studios, also der Produktionswirtschaft, und den Sendern sollte hierzulande Vorbild sein. Die Sender sollen senden und die Produktionswirtschaft soll produzieren, das ist eine klare marktliche Sortierung. Dass hierzulande die freien Produzenten in dieser Weise von senderabhängigen Produzenten unterlaufen werden, ist keine gute Sache. Die Vermischung zwischen Sendern und Produktionswirtschaft in dieser Massivität ist eigentlich ein Systembruch. Dass die Sender irgendwo mal eine kleine Firma haben, ja natürlich! Aber dass öffentlich-rechtliche Sender in dieser Weise die Produktionswirtschaft dominieren und im Grunde konstituieren, habe ich immer als schweren Systembruch empfunden. Sie beeinflussen das Marktgeschehen massiv, verweisen aber dann immer auf den „freien Markt“.
Nach dieser Krise wird auch nochmal interessant sein: Was passiert im Markt? Gibt es eine ungleiche Behandlung der eigenen Töchter und der freien Produktionswirtschaft, die nicht senderabhängig ist? Wenn das System hochfährt, ist zu befürchten, dass die Sender erst die eigenen Produktionsfirmen wieder mit Auftragsproduktionen beatmen werden. Wenn überwiegend wirklich freie Produktionsfirmen schließen müssen, wird das im schlimmsten Fall zu noch mehr Konzentration und zu einer noch stärkeren Marktverzerrung führen, weil der unabhängige Produzent in einer viel stärkeren Weise gefährdet ist als die senderabhängigen Produktionsfirmen. Ich habe da große Befürchtungen, daß man diese Gelegenheit „nutzen“ wird.

Du hast von einer Marktbereinigung in der Produktionswirtschaft gesprochen. Es ist zu befürchten, dass auch viele Rechnungsteller und Selbständige dieses Schicksal ereilen wird.
Einige Filmschaffende wurden in den letzten Jahren von dieser Branche sehr enttäuscht, wurden auch nicht gut behandelt und lebten im Prinzip wirklich von der Hand in den Mund – obwohl sie großartige Kameraleute oder Kameraassistentinnen und -assistenten oder eben auch wunderbare anderweitige Mitwirkende an Filmwerken sind.
Ich hoffe, dass diese Kolleginnen und Kollegen sich in den nächsten Wochen, in denen sie viel Zeit haben, überlegen, ob das ein gutes Berufsfeld für sie ist, wenn ich schon unter „normalen“ Umständen von einer Branche so behandelt werde. Wir kriegen das im BVK hautnah mit, wie manche Leute tatsächlich höchst prekär unterwegs sind. Ich hoffe, dass die erzwungene Denkpause für manche ein guter Anstoß ist, sich eine glücklichere berufliche Zukunft zu organisieren.

Wie schätzt du die Auswirkung der aktuellen Situation auf das Jahr gesehen ein?
Es ist ein wochen- beziehungsweise monatelanger Stillstand zu befürchten. Wir rechnen mit drei Monaten auf jeden Fall, April, Mai, Juni, wo im Grunde gar nichts bis wenig stattfinden kann. Das wäre ein Vierteljahr. Wenn es dann anläuft, wird man nicht gleich auf 100 Prozent hochfahren, sondern es geht peu à peu. Dann aber vermutlich relativ schnell. Ob man nach drei Monaten auf altem Niveau sein wird oder nach vier Monaten, das weiß kein Mensch. Insofern ist das Jahr 2020 sowieso vollkommen verhagelt! Für die Filmschaffenden im freien Bereich ist dieses Jahr jetzt schon eine Katastrophe.

Hast du einen Ratschlag, was Filmschaffende konkret tun können, um sich für die Zukunft besser aufzustellen?
Man kann nur hoffen, dass Filmschaffende, die wirklich in diesem Bereich verbleiben wollen, daraus ihre Konsequenzen ziehen und sich andere Formen der Rücklagenbildung sowie der Absicherung zum Ziel setzen. Wir sagen seit Jahren: Vergesst eure Zweit- und Drittfähigkeiten nicht! Stellt euch breiter auf. Macht euch nicht abhängig von dieser zum Teil sehr unzuverlässig und unsolide arbeitenden Branche!
Wir haben in den letzten Jahren häufig erlebt, wie fest zugesagte Projekte den Leuten ganz kurzfristig abgesagt wurden. Das ist ein Umgang miteinander, der ist zum Teil grottenübel! Zum Teil! Das gilt nicht immer! Es gibt Produzenten, die sehr solide sind, es gibt auch viele zuverlässige Produktionsfirmen und wunderbare Produktions- und Herstellungsleiter. Aber es gibt eben auch andere. Und unsere Kolleginnen und Kollegen sind Atomisten wie alle Filmschaffenden da draußen. Und die sind abhängig davon, dass die Branche eine gewisse Minimalkultur pflegt. In unserer Branche kann man sich heute leider auf das, was gesagt wird, oft nicht mehr verlassen. Und deswegen müssen wir viel mehr verschriftlichen! Leider ist das so! Ganz viele können sich morgen partout nicht mehr daran erinnern, was gestern zugesagt war.
Wir müssen einen professionelleren Kommunikationsstil miteinander pflegen. Der ist im Zweifelsfall nun ein härterer Kommunikationsstil. Die knallharten Kommunikationen seitens der Produktionen gibt es schon relativ häufig. Aber die knallharte Kommunikation seitens der Filmschaffenden, die gibt es im Moment noch relativ selten. Das fängt damit an, sich Allgemeine Geschäftsbedingungen zuzulegen. Damit man im Zweifel sagen kann: „Entschuldigung, ich habe hier meine Geschäftsbedingungen, die schicke ich dir mal rüber.“ Das ist dann leider nicht zu vermeiden! Wenn man sich nicht mehr auf das Wort verlassen kann, dann wird es das Schriftliche klären müssen. Das Vertrauen der Filmschaffenden ist leider und nicht erst in dieser Krise weitgehend verspielt. Viele erleben auch jetzt, daß die Branche sie im Zweifel ganz einfach fallen läßt. Die große Chance, die ich sehe: Viele Filmschaffende sind nun vielleicht etwas kritischer! [12616]

Michael, ich danke dir herzlich für das Gespräch!


Hier geht es zu den aktuellen Corona-Informationen des BVK!


 

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