In den Flock-Channels organisieren sich die Arbeitsgruppen der Cinematographinnen. Es gibt Arbeitsgruppen zu den Themen Interne Workshops, Webseite und Veranstaltungen. Als Verein haben die Cinematographinnen seit 2020 auch einen Vorstand, bestehend aus fünf Mitgliedern, sowie einen erweiterten Vorstand aus weiteren fünf Bildgestalterinnen und fünf Vertreterinnen, dessen Mitglieder den offiziell laut Satzung gewählten Vorstand bei der Arbeit unterstützen.
Einer der organisierten Workshops, den Gudjonsdottir und Pape auch anderen Filmschaffenden und ihren Verbänden empfehlen würden, ist der Anti-Bias-Workshop. In diesem Workshop setzen sich die Teilnehmenden mit den eigenen Einstellungen auseinander, die jedem von uns innewohnen, die wir uns aber im Alltag nicht bewusst machen. Vor allem so abstrakte Dinge wie Genderrollen oder die Automatismen, die wir in einem patriarchalen System erlernt haben, sind schwer abzulegen. Dabei hilft der Workshop und schafft so ein Bewusstsein dafür.
Jana Pape: Es war so wichtig, diese Webseite am Anfang an den Start zu kriegen, damit man dem Argument „Ich kenne ja keine Kamerafrau!“ entgegenhalten kann: „Doch, guck mal! Es gibt hier 120. Wir sind da. Das ist kein Argument.“ Aber es ist halt trotzdem immer so, wenn die Lebenserfahrung bislang von jemandem war, dass hinter der Kamera immer ein Mann steht, muss derjenige erst mal auf die Idee kommen, eine Frau zu besetzen. Dieses Denken scheint sich zu ändern, aber das ist ja auch nicht überall so. Es ist ein Prozess, der im Gange ist.
Birgit Gudjonsdottir: Ich denke auch, dieser Prozess wird noch eine Weile dauern. Auch wenn es langsam besser wird, aber es ist mir mehrfach berichtet worden von einem Problem, was schon bei den Regisseurinnen in den letzten vier Jahren an die Oberfläche kam. Dort heißt es von den Sendern, dass sie mehr mehr Regisseurinnen wollen. Aber die sollen bitteschön – und das ist Originalton – zwischen 35 und 40 sein, einen erfolgreichen Abschlussfilm haben und wenn es geht, schon irgendwas bei Netflix gemacht haben. Dann dürfen sie im deutschen Fernsehen Vorabendserien machen.
Timo Landsiedel: Es klingt wie Satire.
Birgit Gudjonsdottir: Ja, es klingt wie Satire. Und das Gleiche habe ich jetzt über Kamerafrauen gehört. „Wir hätten gerne eine Kamerafrau, aber eine junge.“ Da stelle ich mir die Frage: Ja, warum denn? Ein großer Grund dafür ist – das gilt für die Regisseurinnen und die Kamerafrauen – natürlich wollen die Sender gerne lieber die Jungen, die sind billiger und die machen alles mit. Die Kamerafrauen mit mehr Erfahrung wissen, was geht und was nicht geht, die pochen mehr auf ihre Rechte und sagen: „Nee, wir wollen das aber so und so und brauchen einen Drehtag mehr.“ Man gibt den Jungen die Chance, weil die billiger sind und einfacher sind und nicht so viel Widerstand leisten, weil sie noch nicht so wissen, wie das System funktioniert.
Susanne Braun: Und noch nicht so ein Standing haben.
Birgit Gudjonsdottir: Und es wird ausgenutzt, dass sie noch nicht so ein Standing haben. Und das regt mich tierisch auf.
Timo Landsiedel: Gibt es etwas, wenn wir auf die nächsten fünf Jahre blicken, was ihr darin gerne erreichen wollt, wo ihr sagt, das wäre ein Punkt, wo wir die Sektflaschen öffnen, wenn wir das erreichen?
Birgit Gudjonsdottir: Ich würde sagen, wir wollen gleiches Geld für gleiche Arbeit, die Gender-Pay-Gap muss abgeschafft werden. Ein ganz wichtiger Punkt ist: Wir wollen eigentlich nicht mehr über Quote reden müssen. Wir wollen, dass das eine Selbstverständlichkeit wird. Wir wollen, dass alle Altersgruppen gleich beschäftigt sind. Es gibt immer einen Satz, der genannt wird: „Es geht ja immer um Qualität, Qualität setzt sich durch.“ Frauen wie Männer haben gleich viel Talent. Man kann nicht sagen, Männer sind qualifizierter oder haben mehr Talent. Wir müssen aufhören, Qualität immer mit Männern gleichzusetzen. Das muss sich in den Köpfen ändern, dass Qualität genauso gut weiblich ist.
Jana Pape: Der Hintergrund dieser Annahme ist ja, dass je höher die Budgets, desto seltener sind die Heads of Department mit einer Frau besetzt, also bei Kamera speziell, aber auch bei anderen Gewerken. So vergleicht man nicht immer die gleichen Ressourcen. Dementsprechend geht es auch darum zu sagen, Chancengleichheit zu schaffen und mit gleichen Mitteln zu arbeiten, um das auch besser vergleichen zu können. Daher kommt auch dieser Trugschluss, wenn man jetzt eine 5 Millionen und eine 1 Million teure Produktion vergleicht, dann sind eben das andere Mittel, mit denen man gearbeitet hat.
Birgit Gudjonsdottir: Im Moment ist es so, dass Frauen vom fairen Wettbewerb eigentlich weitgehend ausgeschlossen sind, weil wir mit ganz unterschiedlichen Budgets arbeiten müssen. Aber wenn wir Quoten haben, dass gleich viel Frauen und Männer beschäftigt werden müssen bei gleicher Qualifikation, dann steht eine viel größere Auswahl und Vielfalt für das Projekt zur Verfügung. Dann entsteht erst mal eine Gerechtigkeit, die im Moment noch nicht da ist. Das System muss sich ändern. Wir brauchen einen ganz breit angelegten Kulturwandel. Dafür müssen wir uns in den nächsten Jahren einsetzen. Mithilfe von Männern, mithilfe von Frauen, mithilfe von allen! [15245]