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Fünf Jahre Cinematographinnen: DoP Birgit Gudjonsdottir und Jana Pape sprechen über Errungenschaften und Ziele

„Wir brauchen einen breit angelegten Kulturwandel“

Die Cinematographinnen feiern in diesem Jahr ihr fünfjähriges Bestehen als Netzwerk. Aus diesem Anlass sprachen Timo Landsiedel vom „Hinter der Kamera“-Podcast und Susanne Braun für den „Indiefilmtalk“ mit Birgit Gudjonsdottir und Jana Pape von den „Cinematographinnen“ über die  Gründung und der Arbeit der Bildgestalterinnen. In unserem Heft 9.2022 brachten wir Highlights aus dem langen Gespräch über den Impuls für die Gründung, welche Ziele das Netzwerk verfolgt und wie die Cinematographinnen arbeiten.

Gruppenfoto der Cinematographinnen
Foto: privat

Diese Zahlen waren ein Weckruf: Die Studie „Gender und Film“ der Filmförderanstalt FFA und des Fraunhofer Instituts fand 2017 heraus, dass weibliche Kameraleute gerade einmal 10 Prozent der Filme am Markt in eigenverantwortlicher Position umsetzen. Die vom Verband der Filmschaffenden e.V. in Auftrag gegebene Studio von Jörg Langer förderte schon ein Jahr zuvor eine Gender-Pay-Gap der weiblichen Filmschaffenden von im Schnitt etwa 25 Prozent zutage. Bei den Kameraleuten wurde Bildgestalterinnen sogar etwa 43 Prozent weniger bezahlt. Vielen war bewusst, es musste sich etwas tun. Aber was?

Timo Landsiedel: Birgit, auf deine Initiative hin gab es ja im April 2017 die ersten Gespräche der heutigen Cinema- tographinnen. Kannst du erzählen, was bei dir damals den Anstoß gegeben hat, dass du gesagt hast: „Wir müssen hier etwas machen?“
Birgit Gudjonsdottir: Ja, es gab mehrere Anstöße dazu. Ich hatte 2014 schon angefangen, bei Pro Quote Regie mitzuhelfen. Ich habe dokumentarisch gedreht bei denen, habe Interviews gedreht, einen Dokumentarfilm und das Gruppen- foto dazu gemacht und war da auch sonst sehr involviert.
Ich war auch im Vorstand von Imago, dem europäischen Kameraverband, und dort auch aktiv tätig im ,Gender and Diversity‘-Komitee – wie kann man mehr Gleichberechtigung in der Filmindustrie oder unter Kameraleuten herstellen und was muss man machen? Da war ich ziemlich aktiv. Bei Pro Quote haben wir eine Regisseurin interviewt und die erzählte, was die Regisseurinnen alles machen. Und dann guckt sie mich an und fragte: „Und was macht ihr Kamerafrauen?“ Und ich dachte: „Ja, wir machen bisher noch gar nichts.“ Und ich habe gedacht, soll ich jetzt damit anfangen? Davon habe ich 2016 bei einer Veranstaltung vom ,Gender and Diversity‘-Komitee der Imago auf der Camerimage erzählt, einer Podiumsdiskussion. Danach stand ich mit einer Kollegin, Stephanie Hardt, zusammen und ich habe ihr erzählt, dass wir eigentlich etwas machen sollten. Und Stephanie meinte: „Ich bin dabei, ich helfe dir, ich unterstütze dich, lass uns was machen!“ Sie erzählte, dass sie schon mit Daniela Knapp überlegt hatte, eine Webseite zu bauen. Das war der Entschluss: „Super, lass uns das zusammen machen!“
Daraufhin haben wir angefangen, im April 2017 ganz viele Kolleginnen anzurufen und haben gesagt: „Lasst uns mal treffen, es gibt viele Themen, die wir zu besprechen haben!“

Die Cinematographinnen diskutierten zu Anfang auch, wie sie in Zukunft arbeiten wollten. Die zwei Bestrebungen waren einerseits auch politische Lobbyarbeit zu machen und Einfluss zu nehmen und andererseits ein reines Netzwerk zum Austausch zu sein und so für Sichtbarkeit zu sorgen.

Susanne Braun: Häufig ist ja gerade der erste Schritt, die Menschen zusammen an einen Tisch zu holen, um etwas Neues zu kreieren, sehr herausfordernd. Birgit, wie war denn der Schritt, die alle zusammenzuführen und zu erreichen, um dann zu sagen, wir brauchen ein Netzwerk, um die Sichtbarkeit zu stärken und gegebenenfalls, wenn wir das wollen, uns auch politisch zu engagieren? Mit wie vielen saßt ihr dort vor Ort?
Birgit Gudjonsdottir: Also unsere Kolleginnen zu finden, war sehr einfach. Wir haben anfangen, uns gegenseitig an- zurufen, wer fällt mir da als Erstes ein? Ich wusste ja schon von ein paar, die aktiv waren und schon bei Pro-Quote-Veranstaltungen dabeigewesen waren.
Das hat sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Jede hat eine andere angerufen und am Ende waren wir beim ersten Treffen 24! Und wir waren im November schon an die 90 auf der Webseite. Die genaue Zahl weiß ich nicht mehr, knapp unter Hundert. Wir haben alle gefragt: Wer kennt wen, wer ruft wen an? Ganz viele haben sich ans Tele- fon gesetzt und so waren wir innerhalb kurzer Zeit an die 100 und jetzt sind wir 120. Wir haben sehr schnell einen Großteil der weiblichen Kameraleute im deutschsprachigen Raum angesprochen.
Jana Pape: Ich weiß gar nicht mehr, wie ich zu diesem ersten Treffen kam. Aber es war eine riesige Energie! Es gab dann in dem Jahr viele kleine Treffen, die einfach auch alle gefreut haben. Die Namen kannte man oft, aber dann hatte man ein Gesicht dazu. Das war eine sehr gute Energie und da- durch ist auch recht schnell ganz viel passiert. Es gab viele verschiedene Generationen von Kamerafrauen, die halt dann relativ schnell auf viele Sachen hingearbeitet haben. Ein Ziel war diese Webseite und dann hatten wir die Camerimage Deadline und hatten das Ziel:, „Wir wollen 100!“

Cinematographinnen-Banner mit vielen Porträtfotos

Ein wichtiger Faktor für die Vernetzung untereinander sind die verschiedenen Angebote für die Cinematographinnen. Dafür werden Kanäle wie Signal oder WhatsApp genutzt, aber auch Kollaborationstools wie Flock. In den Messenger- Kanälen findet vor allem direkter Austausch zu aktuellen Projekten statt, konkrete Fragen werden in die Runde gestellt und Hilfestellungen gegeben. Daneben gibt es Crewsuche, -empfehlungen und Tipps.

In den Flock-Channels organisieren sich die Arbeitsgruppen der Cinematographinnen. Es gibt Arbeitsgruppen zu den Themen Interne Workshops, Webseite und Veranstaltungen. Als Verein haben die Cinematographinnen seit 2020 auch einen Vorstand, bestehend aus fünf Mitgliedern, sowie einen erweiterten Vorstand aus weiteren fünf Bildgestalterinnen und fünf Vertreterinnen, dessen Mitglieder den offiziell laut Satzung gewählten Vorstand bei der Arbeit unterstützen.

Einer der organisierten Workshops, den Gudjonsdottir und Pape auch anderen Filmschaffenden und ihren Verbänden empfehlen würden, ist der Anti-Bias-Workshop. In diesem Workshop setzen sich die Teilnehmenden mit den eigenen Einstellungen auseinander, die jedem von uns innewohnen, die wir uns aber im Alltag nicht bewusst machen. Vor allem so abstrakte Dinge wie Genderrollen oder die Automatismen, die wir in einem patriarchalen System erlernt haben, sind schwer abzulegen. Dabei hilft der Workshop und schafft so ein Bewusstsein dafür.

Jana Pape: Es war so wichtig, diese Webseite am Anfang an den Start zu kriegen, damit man dem Argument „Ich kenne ja keine Kamerafrau!“ entgegenhalten kann: „Doch, guck mal! Es gibt hier 120. Wir sind da. Das ist kein Argument.“ Aber es ist halt trotzdem immer so, wenn die Lebenserfahrung bislang von jemandem war, dass hinter der Kamera immer ein Mann steht, muss derjenige erst mal auf die Idee kommen, eine Frau zu besetzen. Dieses Denken scheint sich zu ändern, aber das ist ja auch nicht überall so. Es ist ein Prozess, der im Gange ist.
Birgit Gudjonsdottir: Ich denke auch, dieser Prozess wird noch eine Weile dauern. Auch wenn es langsam besser wird, aber es ist mir mehrfach berichtet worden von einem Problem, was schon bei den Regisseurinnen in den letzten vier Jahren an die Oberfläche kam. Dort heißt es von den Sendern, dass sie mehr mehr Regisseurinnen wollen. Aber die sollen bitteschön – und das ist Originalton – zwischen 35 und 40 sein, einen erfolgreichen Abschlussfilm haben und wenn es geht, schon irgendwas bei Netflix gemacht haben. Dann dürfen sie im deutschen Fernsehen Vorabendserien machen.
Timo Landsiedel: Es klingt wie Satire.
Birgit Gudjonsdottir: Ja, es klingt wie Satire. Und das Gleiche habe ich jetzt über Kamerafrauen gehört. „Wir hätten gerne eine Kamerafrau, aber eine junge.“ Da stelle ich mir die Frage: Ja, warum denn? Ein großer Grund dafür ist – das gilt für die Regisseurinnen und die Kamerafrauen – natürlich wollen die Sender gerne lieber die Jungen, die sind billiger und die machen alles mit. Die Kamerafrauen mit mehr Erfahrung wissen, was geht und was nicht geht, die pochen mehr auf ihre Rechte und sagen: „Nee, wir wollen das aber so und so und brauchen einen Drehtag mehr.“ Man gibt den Jungen die Chance, weil die billiger sind und einfacher sind und nicht so viel Widerstand leisten, weil sie noch nicht so wissen, wie das System funktioniert.
Susanne Braun: Und noch nicht so ein Standing haben.
Birgit Gudjonsdottir: Und es wird ausgenutzt, dass sie noch nicht so ein Standing haben. Und das regt mich tierisch auf.
Timo Landsiedel: Gibt es etwas, wenn wir auf die nächsten fünf Jahre blicken, was ihr darin gerne erreichen wollt, wo ihr sagt, das wäre ein Punkt, wo wir die Sektflaschen öffnen, wenn wir das erreichen?
Birgit Gudjonsdottir: Ich würde sagen, wir wollen gleiches Geld für gleiche Arbeit, die Gender-Pay-Gap muss abgeschafft werden. Ein ganz wichtiger Punkt ist: Wir wollen eigentlich nicht mehr über Quote reden müssen. Wir wollen, dass das eine Selbstverständlichkeit wird. Wir wollen, dass alle Altersgruppen gleich beschäftigt sind. Es gibt immer einen Satz, der genannt wird: „Es geht ja immer um Qualität, Qualität setzt sich durch.“ Frauen wie Männer haben gleich viel Talent. Man kann nicht sagen, Männer sind qualifizierter oder haben mehr Talent. Wir müssen aufhören, Qualität immer mit Männern gleichzusetzen. Das muss sich in den Köpfen ändern, dass Qualität genauso gut weiblich ist.
Jana Pape: Der Hintergrund dieser Annahme ist ja, dass je höher die Budgets, desto seltener sind die Heads of Department mit einer Frau besetzt, also bei Kamera speziell, aber auch bei anderen Gewerken. So vergleicht man nicht immer die gleichen Ressourcen. Dementsprechend geht es auch darum zu sagen, Chancengleichheit zu schaffen und mit gleichen Mitteln zu arbeiten, um das auch besser vergleichen zu können. Daher kommt auch dieser Trugschluss, wenn man jetzt eine 5 Millionen und eine 1 Million teure Produktion vergleicht, dann sind eben das andere Mittel, mit denen man gearbeitet hat.
Birgit Gudjonsdottir: Im Moment ist es so, dass Frauen vom fairen Wettbewerb eigentlich weitgehend ausgeschlossen sind, weil wir mit ganz unterschiedlichen Budgets arbeiten müssen. Aber wenn wir Quoten haben, dass gleich viel Frauen und Männer beschäftigt werden müssen bei gleicher Qualifikation, dann steht eine viel größere Auswahl und Vielfalt für das Projekt zur Verfügung. Dann entsteht erst mal eine Gerechtigkeit, die im Moment noch nicht da ist. Das System muss sich ändern. Wir brauchen einen ganz breit angelegten Kulturwandel. Dafür müssen wir uns in den nächsten Jahren einsetzen. Mithilfe von Männern, mithilfe von Frauen, mithilfe von allen!  [15245]

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