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René Schaar kümmert sich beim NDR um Diversität, Gleichstellung und Inklusion

„Wir sind unterwegs“

Vor kurzem stellte der Norddeutsche Rundfunk zum 50. Jubiläum der „Sesamstraße“ einen Neuzugang bei den Puppen vor. Die Figur Elin ist ein technikbegeistertes Mädchen, das im Rollstuhl sitzt. Die Idee dazu kam von René Schaar, dem stellvertretenden Leiter des Bereichs „Gleichstellung und Diversity“ beim NDR. Er erzählte uns für die Ausgabe 5.2023, wie seine Ausbildung bei dem Sender ablief, wie seine alltägliche Arbeit aussieht und wie es zur Entwicklung der neuen „Sesamstraßen“-Figur kam.

Die Figur Elin aus der Sesamstraße
Foto: NDR / Thorsten Jander

„Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden.“ Der Titel des aktuellen Buchs von Aktivist Raul Krauthausen beschreibt treffend den derzeitigen Umgang mit Inklusion in diesem Land. Neben Diversität und Gleichstellung ist Inklusion das dritte große Thema, das jahrzehntelang in vielen gesellschaftlichen Bereichen ignoriert wurde, aber eine signifikante Zahl von Menschen betrifft. Der erste Schritt, das gilt auch für Diversität und Gleichstellung, geht über die Herstellung einer größeren Sichtbarkeit. Nur so kann für die Themen sensibilisiert und so Vorbilder geschaffen werden.

Im Punkt „Vorbilder schaffen“ geht die „Sesamstraße“ seit 50 Jahren voran. Deshalb war es eine konsequente Fortsetzung deren Geschichte, was der Norddeutsche Rundfunk am 19. März 2023 bekannt gab: Ab dem Herbst gibt es einen Neuzugang im Ensemble der Sesamstraßenpuppen. Elin heißt die Figur und neben vielen anderen Eigenschaften fällt auf, dass sie einen Rollstuhl nutzt. Die Idee dazu kam von René Schaar. Der NDR-Editor gehört nicht zum Klischee alter Damen und Herren in öffentlich-rechtlichen Anstalten. Er ist Jahrgang 1992 und erst seit kurzem stellvertretender Leiter des Bereichs „Diversity und Gleichstellung“.

Einsatz für Inklusion

„Parallel zur Arbeit war ich immer ehrenamtlich engagiert“, sagt René Schaar. „Zunächst in der Jugendpresse und danach in einem Selbstvertretungsverein von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung, namens Ahoi e.V.“ René Schaar wurde mit einer Dysmelie, also einer Fehlbildung des rechten Arms und der Hand geboren. Im Verein Ahoi engagierte Schaar sich in der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. „Ich habe gemerkt, ich kann zu dem Thema reden, mir hören die Leute auch zu, das liegt mir“, so Schaar. Mit seiner Expertise aus den Medien brachte der Editor die Themen des Vereins in das Blickfeld einer größeren Öffentlichkeit. Dazu gehörte auch ein Auftritt bei Stern TV im Oktober 2017.

René Schaar, Editor und stellvertretender Leiter des Be- reichs Gleichstellung und Diversity beim NDR
René Schaar, Editor und stellvertretender Leiter des Bereichs Gleichstellung und Diversity beim NDR (Foto: Norbert Scheffler)

„Ich habe mich während meiner Jugend nie über meine Behinderung definieren lassen wollen“, sagt René Schaar. „Aber ich merkte, dass ich hier etwas Gutes bewirken kann und eine progressive und unverkrampfte Sichtweise auf Behinderung und Inklusion habe – und dass das auch beruflich interessant wäre.“ Mit dem Wissen um seine Stärken und als „Experte in eigener Sache“ machte sich Schaar auf die Suche nach Mitstreitern und Plattformen. „Ich hatte viele praktische Erfahrungen mit dem Thema Inklusion gemacht, aber mir war auch bewusst, dass mir der theoretische Hintergrund fehlte.“ So stieß er auf einen Kurs an der Universität Hamburg, an dessen Ende die Zertifizierung als „Diversty Manager“ stehen würde. Der Zufall wollte es so, dass just zu Beginn der Zusatzausbildung im Frühjahr 2022 die Stellvertretung von Nicole Schmutte, Leiterin für Gleichstellung und Diversity beim Norddeutschen Rundfunk, ausgeschrieben wurde. René Schaar bewarb sich und ist seit Frühjahr 2022 stellvertretender Gleichstellungsbeauftragter sowie stellvertretender Leiter des Bereichs Gleichstellung und Diversity. Seitdem kümmert sich Schaar im NDR zusammen mit Schmutte um die DEI-Themen Diversity, Equity und Inclusion. Seine Ausbildung begann da allerdings erst. Er erhielt das Zertifikat zum „Diversity Manager“ Ende März 2023.

Der NDR hat die in der Verfassung verankerte Aufgabe, alle Bevölkerungsschichten abzubilden und anzusprechen. „Wenn wir uns unser Programm angucken, dann sind wir da noch nicht in einer wirklich fairen Repräsentation und haben auch noch einen Weg zu gehen bei der Reproduktion von Stereotypen“, sagt René Schaar. Zu den Aufgaben des Gleichstellungsteams gehört die Beratung der einzelnen Fachbereiche bei der Realisierung der festgelegten Unter- nehmensziele, die Entwicklung von Initiativen und Konzepten zur Verwirklichung der beruflichen Gleichstellung, von Diversität und Inklusion. Sie bieten Sprechstunden und Coaching für Ratsuchende im Sender an und erstellen regelmäßig Ergebnisberichte zur aktuellen Situation im NDR. Zudem nehmen sie an Bewerbungsgesprächen teil und begleiten gegebenenfalls den Bewerbungsprozess.

Elin als Vorbild

Immer wieder landen auch Drehbücher und Konzepte auf seinem Schreibtisch, sagt René Schaar. Das Sensitivity-Rea- ding, also das Abklopfen eines Stoffes auf Reproduktion von Stereotypen und Vorurteilen, gehört zwar nicht zu seinen offiziellen Aufgaben, wird aber gerne – soweit es die Zeit zulässt – übernommen. Zur Idee des Mädchens Elin für die „Sesamstraße“ kam René Schaar aber aus ganz eigenem Antrieb. „Ich hätte mir als Kind nichts Schöneres vorstellen können, als mich selbst in der ,Sesamstraße‘ widergespiegelt zu sehen, mit einer Puppe, die eine ähnliche Behinderung hat wie ich“, so René Schaar. Deshalb suchte er selbst den Kontakt zur Redaktion der Sesamstraße, kurz nach dem Antritt der Stelle als stellvertretender Leiter Diversity und Gleichstellung. „Ich habe gefragt, ob wir uns nicht mal über die Vielfalt der Puppen unterhalten wollen“, erinnert sich René Schaar. „Ich hatte mitbekommen, dass andere Versionen der Sesamstraße schon viele verschiedene Diversitätsmerkmale dargestellt haben.“ Das Gespräch verlief sehr fruchtbar. Die Redaktion dachte ohnehin anlässlich des damals anstehenden 50-jährigen Jubiläums des Erfolgsformats über einen Neuzugang zum Ensemble nach.

Die Puppenspielerinnen Iris Schleuss und Charlie Kaiser erwecken Elin zum Leben.
Die Puppenspielerinnen Iris Schleuss und Charlie Kaiser erwecken Elin zum Leben. (Foto: NDR / Thorsten Jander)

Die Überlegung war schon da, dass es ein Mädchen werden sollte. Danach kamen sehr viele Charaktereigenschaften auf den Tisch, Überlegungen, was authentisch sei, erste Skizzen der Figur, erste Bilder des Rollstuhls. Hier wurde ein Merkmal der Arbeit Schaars deutlich, das ihn stark charakterisiert. „Ich habe all diese Entscheidungen immer rückgekoppelt mit Vertretern der Community, also Menschen, die selbst gehbehindert sind oder im Rollstuhl sitzen.“ Zentral für seine Arbeit ist es, mit den Menschen zu sprechen, die es angeht. „Ich selbst mag Mensch mit Behinderung sein, aber ich sitze nicht im Rollstuhl. Also spreche ich mit jemandem, der mir seine Erfahrungen schildern kann“, so René Schaar. Wichtig war es für René Schaar auch, dass die Figur nicht nur die Eigenschaft „sitzt im Rollstuhl“ hat, sondern einen komplexen Charakter mit einer echten Hintergrundgeschichte ihr eigen nennt. Sonst wäre die Figur nach ein paar Folgen auserzählt und eher ein Beispiel für Tokenismus, also eine Alibigleichstellung. So ist Elin, das neue Mädchen im Ensemble, sehr technikbegeistert und bastelt gerne, was nicht immer gut geht. Manchmal ist ihr Kopf schneller als ihr Mund, dann vertauscht sie die Worte. Ungeduld gehört auch zu ihren Eigenschaften. Die filigrane Ausformulierung des Backgrounds führte auch zu einer differenzierten Idee, warum Elin im Rollstuhl sitzt.

Es gibt sehr viel mehr Gründe dafür, als eine Querschnittslähmung, die gesellschaftlich häufig angenommen wird. Bei Elin ist es eine infantile Zerebralparese. So ist die Figur einerseits Vorbild und Identifikationsfigur für junge Menschen, die mit einer Behinderung auf die Welt kamen. Elin ist auch Vorbild für eine gelungene Integration einer inklusiven Geschichte in ein bestehendes Format. Ihren ersten Einsatz in der Sesamstraße wird es im Herbst 2023 geben. [15330]


Möchten Sie mehr erfahren? Hier finden Sie den ungekürzten Artikel aus unserem Heft 5.2023!


 

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