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Wir stellen die Preisträger des 33. Deutschen Kamerapreises vor (9)

Wunderbare Freiheit

Unsere Reihe mit den Gewinnerinnen und Gewinnern beim 33. Deutschen Kamerapreis beschließt mit den Auszeichnungen für Schnitt. Mechthild Barth bekam den Preis für den besten Schnitt Doku Kino.

Mechthild Barth am Schneidetisch
Foto: privat

Mechthild Barth, geboren 1971 in Lemgo, ging nach dem Staatsexamen in Kunst, Hispanistik und Germanistik nach Santiago de Compostela, wo sie für vier Jahre ein Theater­ engagement bei Ana Vallés im Materile Teatro antrat. Pa­rallel dazu begann sie ihr Zweitstudium an der Kunsthoch­schule für Medien Köln im Bereich Regie und studierte mit Unterstützung des Filmbüros NW an der Internationalen Filmschule Kuba. Die KHM absolvierte sie mit dem Lang­spielfilm „5 Zimmer“, der mit dem Förderpreis NRW für Spielfilmregie ausgezeichnet wurde und ihr zudem das Gerd­-Ruge­-Stipendium einbrachte. Kurz darauf montierte sie den Kinodokumentarfilm „Nobody’s Perfect“, der den Deutschen Filmpreis bekam. 2020 war Mechthild Barth Ju­rorin für den Deutschen Kamerapreis. Danach begann sie, zunehmend als Editorin und Dramaturgin zu arbeiten. Ihre Montage von „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ ist 2023 als bester Dokumentarfilm mit dem Deut­schen Filmpreis ausgezeichnet worden.

Auch wenn es nun schon eine Weile her ist: Beginnen wir mit einem herzlichen Glückwunsch zum deutschen Kamerapreis!
Dankeschön!

Wie genau bist du an dieses nun schon mehrfach preisgekrönte Projekt „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ geraten?
Ich habe schon öfter mit der Regisseurin Claudia Müller zu­ sammengearbeitet, allerdings nur für das Fernsehen. Das war jetzt ihr erster Kinofilm. Da sie aber wusste, dass ich sehr theater­ und kunstaffin bin und sie eigentlich immer Filme über Künstler macht, wussten wir schon, dass wir dieselbe Sprache sprechen und uns verstehen würden.

Was hat dich in der Vorbereitung zu dem Film am meisten beschäftigt?
Das waren drei Dinge. Erst einmal geht El­friede Jelinek ja nicht mehr vor die Kame­ra, das heißt wir mussten einen Film über eine lebende Person machen, der sich aber nicht wie ein Nachruf anfühlen durfte. Das war schon ein Punkt, an dem ich dachte, da muss man aufpassen, dass es lebendig genug bleibt.

Das nächste war, dass von vornherein fest­ stand, weil Claudia das schon ins Konzept geschrieben hatte, dass der Film essayis­tisch sein sollte, mit Collagen und Video­kunst. Das sind dann ja Vokabeln, die je­der anders fühlt. Da dachte ich, super, das kitzelt mich! Aber auf der anderen Seite war ich schon nervös, ob das, was ich dann vorschlage, Claudia froh macht, so dass wir dann den Weg weiter zusammen gehen können.

Das dritte war natürlich Elfriede Jelineks Sprache selbst, die zum Teil einfach schon auch zermürbend sein kann! Natürlich kannte ich ein paar von Jelineks Werken, aber als ich die ausgewählten Texte allein für mich gelesen habe – Claudia saß im Lockdown in Öster­reich und die Texte waren noch nicht von den Schauspiele­rinnen eingesprochen – habe ich viel mehr die brutale Seite und das Zynische daran gelesen. Nur von Sophie Rois gab es bereits einen Text als Hörbuch. Als ich das hörte, ging mir erst auf, wie viel Humor bei all dem Brutalen in Jelineks Texten steckt, und wie nah sich das Absurde und die Ab­gründe sind. Und man will ja auch nicht einfach nur etwas haben, das einen erschlägt, sondern wir wollten ja auch das zeigen, was in ihrer Sprache steckt, das Zarte und Changierende. Da hatte ich am Anfang Sorge, eine Bildsprache zu finden, die das Ganze auch zu einer Einheit werden lässt.

Wie bist du da vorgegangen?
Alles, was mit Elfriede Jelinek selber zusammenhängt, waren schon vorgeschnittene Beiträge, die ich dann noch einmal zuschneiden musste. Dahinter steckt eine tierische Fitzelarbeit, weil dann zum Beispiel Musikeinblenden aus den 1980ern schon mal für den nächsten Beitrag da hinein­ geschoben werden. In diesem Teil war es dann eher eine zerhackte Stückelung, die man neu zusammenfügen muss­te. Bei dem anderen Teil ging es darum, immer wieder etwas zu finden, woran man anknüpfen und dann aber frei laufen lassen kann.

Für das Archivmaterial, das nichts mit Jelinek zu tun hat, hattten wir mit Silvia Heimader eine ganz tolle Rechercheu­rin beim ORF. Die hat dann beispielsweise für Bilder aus Wien Verkehrserziehungsfilme herausgekramt und Sexual­erziehungsfilme aus den 1960er Jahren, um beispielsweise die Hochzeit zu bebildern! Das waren alles Sammelbänder und die habe ich mir dann aber komplett angeguckt und dachte, das ist ja super! Ich habe mich in diese Bilder fallen lassen, weil Elfriede Jelinek ja auch so schreibt, dass man denkt, das hat jetzt gar nichts miteinander zu tun. Sie schreibt über eine Ehe und ver­mischt es, was weiß ich, mit etwas aus dem Wetterbericht oder einem Pornoheft. Sie bringt Zitate ein, vermengt sie, verfremdet und ver­ fälscht sie und führt doch wieder zum zum Ganzen zurück. Also dachte ich, ok, dann darf auch ich rhythmisch und vi­suell mäandern. Ich muss im Schnitt eine Übersetzung fin­den für Elfriede Jelineks Umgang mit der Sprache, dieses collagenartige, was einem zwischendurch auch echt an die Hirnhaut geht.

Zwei Filmstills aus "Elfriede Jelinek – die Sprache von der Leine lassen"
Fotos: Polyfilm

Ich stelle es mir mühsam vor, die Bilder dafür zu finden.
Wir mussten irgendwie Bilder aus der Zeit zusammenbe­kommen, über die sie spricht. Es gibt zum Beispiel in der Steiermark ein Projekt, wo die Leute ihre Super­-8­-Aufnah­men zum Digitalisieren abgeben können, das dann archi­viert wird und im Gegenzug können sie das digitalisierte Material mit nach Hause nehmen. So sind Aufnahmen aus der Steiermark gekommen, von Hochzeiten, von Schützen­festen oder Firmungen. Da habe ich zum Beispiel Blicke ge­nommen, bei denen ich dachte, dieses Mädchen guckt, so wie ich mir vorstelle, dass Elfriede Jelinek in ihrer Kindheit so geguckt hätte. Ich habe mich intuitiv leiten lassen und dann halt auch nicht auf Anschlüsse geachtet. Die waren mir in dem Moment egal, weil die Übersetzung für Jelineks Sprachduktus das Wichtigere war,

Das war natürlich eine wunderbare Freiheit, die mir Clau­dia Müller da zugestanden hat. Wir haben uns wirklich gut synchronisiert. Dass ich diese Freiheit ausnutzen konnte, ging natürlich nur, weil ich zu 100 Prozent darauf vertrauen konnte, dass Claudia mich einfängt, wenn ich zu weit ab­drifte oder zu weit gehe. Aber ich musste über die Klippe springen. Um Jelineks Sprache gerecht zu werden, kann man nicht im risikofreien Bereich bleiben. Denn Elfriede Jelinek bleibt ja auch nicht im konventionellen Bereich der Sprache.

Das klingt sehr anspruchsvoll und nach einer Arbeit, für die nicht jede Editorin oder jeder Editor geschaffen ist.
Es wäre vielleicht zumindest nicht jeder daran interessiert gewesen! Ich fand es natürlich großartig, dieses Gefühl: Ich darf schwimmen, ich darf mit den Wellen spielen, ich darf tauchen. Ich darf mich treiben lassen, ich darf alles mit einem anderen Element machen. Aber nicht nur der Pool an Bildern und Texten hat mich glücklich gemacht, sondern dann auch noch der Sound dazu! Abgesehen von dem Ar­chivmaterial gab es ja noch die fantastischen Aufnahmen von Christine A. Maier und die Musik von Eva Jantschitsch. Auf diesen Sendebänder, die ich ja alle zerschnipseln muss­te, waren zum Teil ja je nach Mode echt schräge Sounds un­tergemischt. Wenn halt der nächste Beitrag auf dem Band zu einem ganz anderem Thema war, wurde davon oft der Ton vorgezogen, und es war klar: Wenn ich Elfriede Jelinek jetzt aussprechen lassen möchte, und da aber schon irgend­ einen von jemand anderem daruntergemischten Ton habe, dann kann ich diese letzte Silbe von ihr nur dann bringen, wenn ich diesen Ton irgendwie auffange. Also war es auch da auf dieser Ebene so, dass ich dachte, ich muss aus der Not eine Tugend machen.

Das hat mir einen enormen Spaß gemacht – und mein Dank gilt an dieser Stelle nicht nur der Recherchearbeit, sondern besonders einer Position, die viel zu selten genannt wird, nämlich der Schnittassistenz. Ohne Sandra Böhme wäre bezüglich der Rechteabklärung am Ende gar nichts heraus­gekommen. Ich habe zum Teil mal hier drei Frames und da fünf Frames hineingeschnitten und der Rechteabteilung da echt Schmerzen bereitet. Aber sie haben es durchgehalten. Das ist schon toll und ein echter Luxus.

An dieser Position zu kürzen, ist beim Dokumentarfilm eine der schlechtesten Ideen, die man haben kann. Das ist ein­fach am falschen Ende gespart und man zahlt am Ende dop­pelt. Eine fitte Schnittassistenz spart Zeit und Geld! Wenn ich an so einem Stoff arbeite, brauche ich meine ganze Kon­zentration für die kreativen Lösungen, denn das ist ja so wie eine getrocknete Erbse unter der Tischdecke hin und her zu drücken. An einer Stelle denkt man, ich hab‘s jetzt – und dann herrscht in Minute 57 plötzlich gähnende Langeweile! Also fängt man wieder an und man nimmt vielleicht neu­es Material. Wenn ich dann noch gleichzeitig irgendwelche Listen führen müsste, dann würde mir mir einfach die Kraft für das Kreative fehlen – und damit bin ich garantiert nicht alleine! Insgesamt war es aber auch sehr anstrengend – als ob wir einen Marathon laufen würden. Das war körperliche Arbeit. Und es war toll. [15419]

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