DoP Dan Lauststen spricht über die Arbeit an Guillermo del Toros „Nightmare Alley“
Weit und tief
von Timo Landsiedel,
Dänische Klarheit trifft mexikanische Verspieltheit: DoP Dan Laustsen setzt nach „Mimic“, „Crimson Peak“ und „The Shape of Water“ Guillermo del Toros neueste Vision „Nightmare Alley“ visuell in Szene. Auch wenn der Film kein neuer „PansLabyrinth“ ist, so ist doch die Bildgestaltung außergewöhnlich. Timo Landsiedel sprach mit Dan Laustsen für unser Heft 3.2022 über sein Film-Noir-Licht, Ausnahmeregisseur del Toro und die Gesichter der Hauptfiguren.
Wer heute Film-Noir-Licht setzt, muss etwas auf dem Kasten haben. Die hochkontrastigen Schwarz-Weiß-Bilder der schwarzen Serie kennt jeder Filmschüler. Zu sehr haben die Filme von Edward Dymytriyk oder Howard Hawks sie uns in die Ikonografie der Filmgeschichte des letzten Jahrhunderts gebrannt. Doch die heutigen Sehgewohnheiten sind andere. Wer nicht ein sinnleeres Zitat schaffen möchte, muss sich etwas einfallen lassen und sich gleichzeitig vom Neo Noir eines Nicholas Winding Refn absetzen. DoP Dan Laustsen weiß sehr genau, was er in „Nightmare Alley“ tut. Er haucht dem Unbehagen des neblig, matschigen Zwielichts des Jahrmarkts Leben ein und füllt die Leerräume des Büros der Psychiaterin Lilith Ritter mit harten Lichtstrahlen. Sein Licht ist eines der Highlights von „Nightmare Alley“.
Von Dänemark nach Hollywood
Dan Laustsen wollte ursprünglich Naturfotograf werden. Im Alter von 18 Jahren begann er mit kommerzieller Modefotografie und erwarb hier eine Grundausbildung. Mit 21 hatte er genug von der Modewelt, wusste aber nicht, was danach kommen sollte. Seine Schwester gab ihm den Tipp, sich an der Danske Filmskole, der Staatlichen Dänischen Filmhochschule in Kopenhagen zu bewerben. Sehr zu seiner Überraschung wurde er in so jungem Alter angenommen. Bis 1979 studierte er dort Kamera und arbeitete danach in den 1980er Jahren an zahlreichen dänischen Filmen als DoP mit, unter anderem mit Regisseur Sören Kragh-Jacobsen. International bekannt wurde er durch den Thriller „Nightwatch“ von Ole Bornedal aus dem Jahr 1994. Das gleichnamige Hollywood-Remake durfte ungewöhnlicherweise vom originalen Regie-/Kamera-Duo umgesetzt werden. Im Filmmekka an der US-Westküste traf er auch Guillermo del Toro und übernahm 1997 die Bildgestaltung des Horrorfilms „Mimic“. In den folgenden Jahren arbeitete er sowohl in Dänemark und Europa als auch in Hollywood. In seiner Heimat wurde er mit fünf Dänischen Filmpreisen für die Beste Kamera ausgezeichnet. Mehr als jeder andere dänische DoP.
In den 2010er Jahren drehte Dan Laustsen die beiden Sequels der „John-Wick“-Reihe und tat sich nach 18 Jahren Pause für „Crimson Peak“ wieder mit Guillermo del Toro zusammen. Es folgte „The Shape of Water“, für den Dan Laustsen erstmals eine Oscar-Nominierung erhielt. „Nightmare Alley“ ist Laustsens vierte Kollaboration mit Guillermo del Toro. Es geht um den undurchsichtigen Stanton Carlisle (Bradley Cooper), der in den späten 1930er Jahren während der großen Depression im ländlichen Amerika auf einem Carnival anheuert, einer fahrenden Mischung aus Jahrmarkt und Kuriositätenkabinett. Hier lernt er das Cold Reading und andere Mentalistentricks. Mit diesem Wissen steigt er in der High Society von Buffalo zum gefeierten Mentalisten auf. Hier tut sich Stanton mit der undurchsichtigen Psychiaterin Lilith Ritter zusammen, um deren Klienten auszunehmen. Zu spät realisiert Stanton, dass er sich dieses Mal übernommen hat.
Während der Arbeit an „The Shape of Water“ pitchte del Toro seinem DoP die Idee von „Nightmare Alley“. Der Regisseur erzählte ihm von der Geschichte und beide sprachen darüber, wie man sie umsetzen und wie der Film aussehen könnte. „The Shape of Water“ kam heraus und ein Jahr später ging es bereits in die Vorproduktion von „Nightmare Alley“. „Wir hatten eine sehr lange Vorproduktionsphase, denn die Produktion ging los, stoppte wieder und lief wieder an“, so Dan Laustsen. „Das war großartig, denn so konnten wir viel Zeit mit der Production Designerin Tamara Deverell und Kostümbildner Luis Sequeira verbringen, damit alle mit der gleichen Farbpalette arbeiten.“
Film-Noir-Licht
Der DoP versucht vor allem möglichst detailliert herauszufinden, welches Bild sein Regisseur schon mitbringt, welche Vision er von dem Buch hat. Guillermo del Toro ist dafür bekannt, dass er sehr gut vorbereitet ist. „Sehr früh in seinem Arbeitsprozess erstellt Guillermo Konzeptzeichnungen, noch bevor irgendjemand im Team ist. Das ist eine kleine Richtlinie, wie er die Sets sieht und die Farbpaletten“, so DoP Laustsen. „Und dann bringt jeder von uns ein, was wir glauben, wie wir das machen sollten.“
Die Geschichte des Films arbeitet viel mit Undurchsichtigkeit, Verstecken und dem Hinters-Licht-Führen. Das wollten der Regisseur und sein DoP auch über die Bildsprache transportieren. „Bei diesem Film wollten Guillermo und ich mehr weitwinklig und untersichtig schießen“ Wir beide sind große Freunde von untersichtigen Einstellungen und sehen gerne viel von der Decke. Natürlich haben wir dann über diese Sets mit der Production Designerin gesprochen.“ Filmische Vorbilder spielten in der Vorbereitung keine Rolle. Weder sprachen Laustsen und del Toro über die Klassiker des Film Noir aus den 1940er und 1950er Jahren, noch näherten sie sich den Vertretern des Neo Noir, wie „Chinatown“ oder dem jungen „Drive“. Der Regisseur verbat seinem Bildgestalter sogar, den Vorgänger von „Nightmare Alley“ von 1947 zu sehen, hierzulande als „Der Scharlatan“ bekannt. „Ich habe mir dann doch den Trailer angeschaut“, verrät Dan Laustsen. „Und der sieht natürlich schön aus in Schwarz-Weiß. Natürlich hat man seinen Katalog, weil man schon eine Weile im Business ist und selbstverständlich die Klassiker kennt. Bergmann und Bertolucci und Orson Welles und Hitchcock.“ Statt über Filme sprechen del Toro und Laustsen bei jedem Projekt eher über Gemälde oder Farben. Dem Look eines Filmes nähern sie sich dann meistens im Gespräch über die Sets.
Sehr ausführlich planten sie so die unterschiedliche Gestaltung der beiden Teile des Films, einerseits der Beginn des Films auf dem Carnival, andererseits die Stadtsequenzen in Buffalo. Beide sollen unterschiedliche Emotionen transportieren, sie finden in verschiedenen Lebensabschnitten des Protagonisten statt. Dennoch sollten sie so erzählt werden, dass es farblich oder auch im Licht nicht zu einem zu großen Bruch kommt. Die Veränderung soll- te aber wahrgenommen werden. Dieser Bruch tritt im Licht erst dann ein, als Stanton Carlisle die immanente Gefahr ignoriert, alle Warnungen in den Wind schlägt und in sein Verderben schreitet. [15065]