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Selbstständigkeit mit Musikvideos in der Provinz

Alleinstellung: Hip-Hop-Video

Erst der Umzug in die Provinz brachte Erfolg. Rafael Gudelius verließ seinen Job als Krankenpfleger in Essen und zog ins kleine Borken. Von dort aus erarbeitete er sich einen Ruf als Einzelkämpfer für Musikvideodrehs in der nordrhein-westfälischen Rap-Szene. Seine Musikvideos haben mehrere Millionen Views auf YouTube. Uns erzählte der Quereinsteiger Gudelius für unser Heft 3.2020, welche Rap-Gruppe dabei bis heute am wichtigsten ist und warum es ohne eigenes Equipment nicht geht.

Je kleiner die Orte, desto weniger potenzielle Kunden. In der Arbeitswelt der Selbstständigen ist diese Korrelation nicht von der Hand zu weisen. Was für viele Handwerker gilt, ist für Film- und Medienschaffende umso prekärer, wird doch ihr Handwerk aktuell immer weniger geschätzt und dementsprechend gering bezahlt. Um aus dieser Situation herauszukommen, wählen selbstständige Medienschaffende oft den Umzug in die Großstadt. Rafael Gudelius nahm den umgekehrten Weg. Der gelernte Krankenpfleger lebte vor rund zehn Jahren mit seiner Frau in Essen, wo er auch arbeitete. Ihre Arbeitsstelle lag eine knappe Autostunde entfernt in Borken, bei einem Tierfutterhersteller. Um die Pendelei zu vermeiden, zogen die beiden in die Kleinstadt. Gudelius nahm das zum Anlass, seinen Job als Krankenpfleger an den Nagel zu hängen und eine Selbstständigkeit als Videojournalist zu beginnen.

Autodidakt

Ganz von null fing der Autodidakt Gudelius nicht an. Schon als Kind hatte er erste Erfahrungen mit den 1980er-VHS- Kameras gemacht, Stop-Motion-Filme gedreht und sich später mit Animation auseinandergesetzt. Seit fast 20 Jahren ist er zudem in seiner Freizeit in der Rap-Szene aktiv, war Graffitikünstler und produzierte in den 2000er Jahren vor allem Hip-Hop-Beats. Zu dieser Zeit begannen mit dem Aufkommen der Videoportale die Rapgruppen vermehrt ihre eigenen Videos zu drehen. Auch für die Videos des ei- genen Musikprojekts erwarb Gudelius eine Mini-DV-3CCD- Kamera von Sony und setzte sich mit Adobe Premiere und After Effects auseinander, schaute Videotutorials und nahm an Schulungen teil. Parallel zur Musik entstanden so die ersten Musikvideos. „Das waren damals heftige Effektgewitter“, erinnert sich der Allrounder. „Über den inflationären Einsatz von Effekten, nur weil sie im Trend sind, rege ich mich heute bei anderen auf. Aber damals waren wir darauf sehr stolz.“

Im 42.000-Seelen-Ort Borken vermutete er keines dieser Projekte. Stattdessen bewarb er sich nach sei-
nem Umzug im April 2010 beim Borkener Tageblatt um den Job des Videojournalisten für dessen Video- plattform Borio TV. Mittlerweile hatte er einen mehrmonatigen Crashkurs an der SAE absolviert und setzte sich in der VJ-Zeit stark mit den technischen Aspekten der Kamera auseinander: Kadrage, ISO, Shutter. Für die Beiträge fuhr er die von der Redaktion vergebenen Aufträge ab, drehte das Material und schnitt daraus einen kurzen Beitrag. Maximal drei Aufträge pro Tag waren so möglich. Doch die Bezahlung reichte nicht zum Leben. Hier kam Gudelius der Zufall zu Hilfe. Das Rap-Projekt seiner Freunde Daniel „Shneezin“ Schneider, Mike Rohleder und Kolja „Keule“ Scholz nahm zu dieser Zeit immer weiter an Fahrt auf. Die „257ers“ hatte Gudelius Ende der 2000er auf einem Hip-Hop-Jam kennengelernt. Mit dem ersten Plattenvertrag beim Indielabel Selfmade Records im Jahr 2012 wuchs der Bedarf an Bewegtbild – und vor allem gab es jetzt Budgets. Neben den Musikvideos entwickelte er das Vlog-Format AKK TV auf You- Tube für die drei Künstler. „Die ersten paar Jahre waren finanziell wirklich hart“, sagt Gudelius. „Wenn das so weiter gegangen wäre, hätte ich das Handtuch geschmissen.“ Doch mit den Videos für die „257ers“ wurden noch mehr Hip-Hop-Künstler aus Nordrhein-Westfalen auf den Allrounder aufmerksam.

Quereinsteigerproblem: Honorar

Für Gudelius kamen die Folgeprojekte vor allem über Empfehlungen. Klassische Kundenakquise hat er ausprobiert, mit niederschmetterndem Ergebnis. Er recherchierte hunderte möglicher Kunden, die groß genug waren, sich einen Image- oder Produktfilm leisten zu können. Er schrieb diese an und telefonierte sie ab. „Einige waren dabei, die sagten, das sei interessant. Doch am Ende entstand daraus kein einziger Auftrag“, sagt Gudelius. Erst Jahre später hatte er erneuten Kontakt zu einigen der damaligen Firmen. Diesmal kamen sie auf ihn zu, sie hätten von jemand anderem gehört, er drehe auch Imagefilme. Diese Formate ergänzten ab sofort sein Angebotsportfolio.

Lichttest beim „Abrakadrabra“-Dreh mit Licht-Assistent Alexander Schmeinck (links) und Rafael Gudelius (rechts).

Eine der größten Herausforderungen beim Start war die Kalkulation der Preise. Ein bekanntes Problem bei Mediengestaltern und Quereinsteigern. Hier tat er sich lange Zeit schwer, hatte auch im Ort selbst wenig Vergleich zu anderen Allroundern. „Ich hatte schon Selbstzweifel und dachte: Wieso sollen die mir so viel Geld zahlen, ich bin ja eigentlich ungelernt“, sagt Gudelius. „Aber mir war schon bewusst: Einmal billig, immer billig.“ Mit steigender Qualität der Videos wagte er immer wieder, seine Preise auch anzuziehen. Die Kunden diskutierten dann manchmal, er argumentierte mit seiner Erfahrung und der Größe des Projekts. Schon früh fing Gudelius an, eine Richtlinie für seine Preise auf der Homepage zu veröffentlichen. „Also das mit der Transparenz bei meinen Preisen fand ich eigentlich nur fair dem Kunden gegenüber“, so sagt er. „Warum sollte man bei seinen Kursen immer ein Geheimnis drum machen, was eine bestimmte Leistung kostet?“ Online stehen seine Minimalpreise für das Hauptpaket. Projekte mit mehr Crew oder Aufwand kosten mehr. No-Budget-Drehs macht er nur noch selten. Grund dafür ist, dass er heute oft das Gefühl hat, die Wertschätzung für die Arbeit fehlt. „Die denken, das ist ein Typ, der mit einer Kamera kommt, ein bisschen hin und her schwenkt und das war’s.“

Eigene Ausrüstung

Früh setzte er darauf, eigenes Equipment anzuschaffen. Das ist einer der Nachteile des Landlebens, weil der nächste Technikverleih eine Stunde Autofahrt entfernt liegt. Zu seiner Canon 600D aus der frühen Hobbyzeit kam schnell eine Sony FS100, die EF-Objektive nutzte er weiter. Am liebsten verwendet er das Sigma ART 18-35. „Das ist mein ,immer-drauf‘, weil diese Linse einfach liebe. Knackige Schärfe und eine durchgehende Licht- stärke von T1.8!“ Zusätzlich gibt es ein Canon EF 24-70er T2.8. Gerne würde er mehr mit Vintagelinsen arbeiten. „Die meisten Objektive heute sind seelenlos, weil sie kei- nen bestimmten Look haben. Sie sind High-Tech und überall knackscharf, aber haben keinen Pfiff“, so Gudelius. Die meisten Kunden wollen jedoch ein klares Bild und keine Experimente. Vor allem, weil der Look eines Objektivs – im Gegensatz zu einer LUT – im Material eingebrannt ist und in der Postproduktion äußerst schwer zu beheben ist. [11750]


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