"Ich muss oben auf dem Berg sein und die Weite sehen"
Ausrüstung für Südtirol: “Amelie rennt” (1/2)
von Redaktion,
Heute startet “Amelie rennt” in den deutschen Kinos. Als wir in Unserer Ausgabe 12/2017 über den Dreh berichteten, war der Arbeitstitel noch “Alpenbrennen”. Zum Kinostart hier der erste Teil unseres Artikels.
Für “Honig im Kopf” durchquerte Kameramann Martin Schlecht bereits die Alpen. Den Abenteuerfilm “Amelie rennt” drehte er mit Regisseur Tobias Wiemann fast komplett in Südtirol und hauptsächlich in den Bergen, wo auf 2.500 Metern sogar eine Kuh durchs Feuer lief. Dabei sind weder der Regisseur noch die “Amelie rennt”-Hauptfigur Amelie noch Kameramann MartinSchlecht Bergmenschen. Die Produzenten von Lieblingsfilm sprachen Tobias Wiemann sogar unter diesem Vorzeichen an, nach dem Motto: Du kommst doch von der Ostsee, vielleicht hast du Lust auf einen Bergfilm. Wiemann sagte zu, weil ihn das Drehbuch von Natja Brunckhorst überzeugte. Auf alle Fälle wollte er Kameramann Martin Schlecht an seiner Seite haben, mit dem er bereits seinen ersten Langfilm “Großstadtklein” realisiert hatte. Bei seinem zweiten Film, der ARD-Märchenverfilmung “Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen” (DoP Jo Molitoris), habe ihm Martin Schlecht der “Til Schweiger weggeschnappt”, sagt der Regisseur lachend. Insgesamt hatte “Amelie rennt” nur 30 Drehtage, daher betont Wiemann bezüglich seines Kameramanns: “Es ist ein großer Vorteil, wenn man bei wenig Zeit nicht viel reden muss.”
Der DoP findet Berge zwar fantastisch, hält es unten aber nicht aus: “Im Tal presst mich das zusammen. Ich muss oben auf dem Berg sein und die Weite sehen”, gesteht Martin Schlecht. Doch die blieb beim Dreh auch nicht ohne Tücken für Entscheidungen aus. Der Kameramann beschreibt es als “Qual der Wahl”, weil sie oftmals 360 Grad einen wunderschönen Blick und Sonne hatten. Da wäre es extrem schwer gefallen, sich festzulegen. Wiemann und er hatten so auch pro Szene mindestens acht Motive gefunden, an denen sie hätten drehen wollen.
DANKE, REFERENZMITTEL!
Die 13-jährige Hauptfigur ist das wahrscheinlich sturste Mädchen von Berlin, trotzdem bringen sie ihre Eltern nach einem lebensbedrohlichen Asthmaanfall in eine Klinik nach Südtirol. Doch die gefällt ihr ebenso wenig wie die Berge. Sie haut ab, genau dorthin wo sie garantiert niemand vermuten wird: Bergauf. Und dort trifft Amelie den einheimischen, 15-jährigen Bart, der ihr von den Wundern während der Herz-Jesu-Feuer erzählt. So beginnt eine abenteuerliche Reise zum Gipfel.
Die letzte Locationtour vor Drehbeginn Ende Mai fand noch mit Schneekatze statt. Der DoP schüttelt da den Kopf über das deutsche Förderprozedere: “Bei jedem Film weiß man aufs Neue extrem spät, wie viel Geld man hat. Einiges muss man dann doppelt machen. Das ist besonders schwierig, wenn man an die Locations nicht einfach mit der U-Bahn fahren kann.” So musste das Team noch während des Drehs neue Locations aussuchen, da das Tauwetter die noch bei Schnee ausgewählten Motive mit Wassermassen für den Dreh unmöglich gemacht hatte.
Für “Amelie rennt” standen knapp 2,4 Millionen Euro zur Verfügung und damit nur 30 Drehtage. Das ist okay, aber auch nicht üppig für einen Kinderfilm, bei dem die rechtlichen Bestimmungen die Drehzeiten der Darsteller begrenzen. Die Zeit war beispielsweise zu kurz, sagt Regisseur Wiemann, um in jeder Szene eine “100 Prozent stimmige Totale zu drehen”. Er hätte gerne noch detaillierter aufgelöst, gerade, weil man in den Weiten die Körpersprache besser sehen könne. Daher hätte sich Wiemann mehr Amerikanische gewünscht: “In der kurzen Zeit mit den Kindern als Darstellern waren wir aber oft gezwungen in den Nahen aufzulösen.”
Mehr Budget war trotz einer hohen Förderung der IDM – Südtirol Alto Adige (480.000 Euro), Kuratorium, BKM und Medienboard, Senderbeteiligungen von RBB, HR, SWR und Sky sowie einer Kofinanzierung der Postproduktionshäuser CinePostproduction München und Basis in Berlin nicht möglich. Originäre Kinderstoffe haben es im Vergleich zu Buch-Adaptionen à la “Burg Schreckenstein” oder “Hanni und Nanni” nicht leicht. Lieblingsfilm hatte den Stoff zwar bei der Initiative für den besonderen Kinderfilm eingereicht, die die Produktion für Originalstoffe erleichtert, man war aber dort abgelehnt worden. “Wenn ein Gremium einen Film nicht haben will, kann man nicht aufhören”, betont Produzent Tom Blieninger. Schließlich ermöglichten zwei Kinderbuch-Franchises die Produktion von “Amelie rennt”, denn die Produzenten steckten über eine halbe Million Euro aus ihren FFA-Referenzmitteln sowie Lola-Preisgelder der “Rubinrot”- und der “Rico, Oskar”-Reihe in den Alpen-Stoff. Blieninger ist froh darum: “Low-Budget wollten wir in dem Fall nicht machen, dann hätten wir wahrscheinlich lieber ganz darauf verzichtet.”
AUSRÜSTUNG AUSSORTIERT
Da “Amelie rennt” unter anderem in einem Skigebiet gedreht worden ist, im Tauferer Ahrntal, konnte das Team meist mit dem Auto bis zu einer Bergstation fahren. “Wir wollten aber so wenig wie möglich ‚Zivilisationsschrott’ im Bild haben, also Skilifte oder Ähnliches”, sagt Martin Schlecht. Also hatten sie meist dann noch circa 30 Minuten zu Fuß bis zu den Locations, weil sie dort oft auch mit Quads nicht hinkamen. Aus Budgetgründen konnte ein Helikopter auch nur stundenweise gebucht werden. Den nutzten Wiemann und Schlecht dann auch gleich fürs Filmbild – mit der Kameratechnik im Netz unten dran. Durch die Wege zu Fuß war das Gewicht der Ausrüstung ansonsten entscheidend.
Einen Tag vor Drehbeginn in Südtirol traf sich Schlecht mit Kamera- und Lichtcrew vor dem LKW: “Wir haben alles auf den Haufen geworfen und noch mal aussortiert.” Die Entscheidung fiel dann eher fürs Kamera- als fürs Lichtequipment: “Wenn ich einen 12×12-Butterfly mitnehme, brauche ich auch zwei Stative und dann wird es immer mehr”, erzählt DoP Schlecht. Zudem hatten die Bergführer von metallischen Gegenständen wie Stativen deutlich abgeraten, da diese immer eine Gefahr für einen möglichen Blitzeinschlag darstellen. Schon die 20 Kilogramm, die nach der Aussortierung für jeden übrigblieben, gingen ganz schön auf die Beine, erinnert sich der Kameramann. Und selbst für das abgespeckte Material konnten sie immer noch die Rucksäcke von zehn Leuten bestücken. Martin Schlecht und sein Oberbeleuchter Dirk Domcke wählten “ein bisschen Fahnen, Molton, 8×8, Rahmen und einen kleinen Slider aus. Das war es dann auch schon und das reicht auch”, sagt der DoP: “In dem Film erzählen wir keinen Quantensprung, sondern von zwei Kindern, die auf einen Berg laufen.“ Circa zehn Optiken nahm er aber immer mit: „Da kann ich nicht darauf verzichten. Auch wenn ich das 21 mm mal fünf Tage nicht benutzt habe – wenn ich es zurück lasse, dann brauche ich es.”
JUNGE FILMREGION SÜDTIROL
Das Kamera-Equipment kam von dem italienischen Verleiher REC, die eine Niederlassung in Bozen hat. Licht und Grip-Material lieferte Maier Bros., die Kölner Firma hat seit 2012 eine Filiale in Meran. Vor kurzem sind sie in ein 470 Quadratmeter großes Lager umgezogen, wo mittlerweile ein umfangreicher Gerätepark stationiert ist. Die Ansiedlung und die Entwicklung der verschiedenen Rental-Häuser zeigt, dass die lokale Förderung IDM sich in den letzten Jahren sehr stark engagiert hat und es geschafft hat, binnen weniger Jahre eine funktionierende Film-Infrastruktur in Südtirol aufzubauen.
Das merkt man auch bei den Teammitgliedern von “Amelie rennt”: 18 kamen aus Südtirol und waren zu großen Teilen schon bei den sechs Tagen zu Anfang des Drehs in Berlin mit dabei. “Es sind sehr vieleDienstleister herangewachsen in den letzten fünf Jahren”, erzählt Martin Rattini, der mit seiner Firma Helios Sustain – able Films als Südtiroler Koproduzent von “Amelie rennt” fungiert – und neben der Arbeit als Setfotograf, B- und 2nd-Unit-Kamera übernahm. Es ist Rattinis erstes Spielfilmprojekt in dieser Größenordnung, der sonst bei Dokumentarfilmen oder Werbung arbeitet. Blieninger von Lieblingsfilm war wichtig, mit Leuten aus der Region zu arbeiten, aber ihm fiel auf, dass diese noch wenig außerhalb Südtirols gebucht werden. “Wir sind ein sehr junges Filmland! Es braucht Zeit, bis sich die Erfahrung aufbaut”, sagt Rattini.
In Bezug auf die Alpen waren die Bergführer wahre Könner, die vor allem das Wetter ständig im Blick haben mussten. Einmal musste das Team auf deren Geheiß innerhalb einer halben Stunde den Set räumen, weil eine Gewitterfront so schnell heranzog, dass es die Crew vermutlich gar nicht bemerkt hätte. Die ständigen Wetterwechsel wirkten sich zudem auf die Anschlüsse aus. Immer wieder musste der Waldboden daher nass gespritzt werden. “Zum Glück haben wir viel in der Nähe von Skipisten gedreht, denn für die Schneekanonen dort gibt es Wasseranschlüsse”, sagt Martin Schlecht. Die Baubühne klärte im Vorfeld Genehmigung und Zugang ab, Setbaubühne Wolfgang Petters “war wie ein Schweizer Taschenmesser” und zog 500 Meter lange Wasserschläuche durch den Wald, berichtet der DoP begeistert.
Für die Spezialeffekte waren Jens Doeldissen in Berlin und der Münchner Helmut Hribernigg in Südtirol beim Dreh zuständig. Im Drehbuch flüchtet die Hauptfigur aus dem Kurheim, indem sie sich aus dem Fenster abseilt. Am Hauptmotiv hatte das Team ein schräges Dach gefunden, schließlich sollte sie darüber laufen und über ein Rosenrankgitter hinunterklettern. Das alles bei strömendem Regen. Dafür baute Gripper Simon Arevalo Saint-Jean auf das Dach die Schienen, um ihr Abrutschen verfolgen zu können. Da auf dem Berg wenig Grip-Equipment gebraucht wurde, kümmerte sich Arevalo Saint-Jean, unterstützt von dem 2. Bühnenmann Daniel Mahlknecht aus Südtirol, dort auch mit um die Kamera oder um den Meter-Slider. „Und Simon passte auf mich auf. Wenn ich drehe, blende ich alles aus. Er passte auf, dass ich nirgends runterfalle“, erzählt Martin Schlecht.