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Eine Reise nach Kuba als Dokufiktion

Das Publikum finden

Die Berliner Kamerafrau Jana Kaesdorf hat mit „Experiment Sozialismus“ eine ungewöhnliche Dokumentation über das aktuelle Lebensgefühl auf Kuba produziert. Im Mittelpunkt der mit Kleinst-Team und Minimal-Technik gedrehten Dokufiktion stehen einfache Menschen, ihre Überzeugungen und alltäglichen Probleme.

Foto: Enriko Nake

Wie kam dein Entschluss zustande, einen Film über den kubanischen Sozialismus zu machen?

Nicht gerade ein aktuelles Hype-Thema.
Ich war im Winter 2012 privat zum Urlauben auf Kuba. Das Land hat mich damals sehr berührt und es fiel mir auf, dass mich Kuba sehr an Erzählungen aus meiner Kindheit erinnerte, an das ländliche Sachsen-Anhalt der späten 1970er und frühen 1980er Jahre. Und an diese Grundstimmung, immer selbst aktiv sein zu müssen, um sein tägliches Leben zu organisieren, an das Improvisieren. Das hat mich sehr beschäftigt und meine Freunde drängten mich dann dazu, daraus einen Film zu machen.

Ich habe dann recherchiert und bin tief in die kubanische Geschichte eingetaucht, auch in die Geschichte vor der Revolution von 1959 und auch in Episoden, die hier weniger bekannt sind. Etwa die Entstehung der ersten ku- banischen Verfassung und den Streit um Guantanamo.

Wie ging es weiter? Mit einem Drehbuch? Mit der Suche nach einer Finanzierung?

Tatsächlich bin ich viel naiver an das Projekt herangegan- gen. Ich dachte mir: „Besorg dir eine Kamera, fahre noch mal hin und mache Interviews.“ Ich hatte ja bereits auf meiner Privatreise viele junge Leute kennengelernt und mit ihnen – zum Glück auf Englisch, denn mein Schulspanisch ist rudimentär – viele Gespräche geführt.

Ich wollte einen Film über den seit einigen Jahren dort laufenden Reformprozess, die „Lineamientos“ machen. Darüber ist hier sehr wenig bekannt. Gleichzeitig wollte ich aber nicht noch einen dieser nostalgischen Kuba-Filme machen, mit vielen historischen Rückblenden. Statt- dessen wollte ich die kubanische Situation im hier und jetzt beschreiben.

Wie habt ihr das Projekt finanziert? Du bist ja lange als EB-Kamerafrau beim Fernsehen unterwegs. Gab es da Verbindungen zu Sendern, als Finanziers des Projekts?

(lacht) Der Teil hat offen gesagt nur mäßig funktioniert. In der Planungsphase schossen damals Crowdfunding-Plattformen wie Pilze aus dem Boden. Ich habe mich dann dafür entschieden, auf der Plattform Indigogo eine Finanzierungs-Kampagne für den Film zu starten. Über diese Kampagne kamen dann aber leider nur 10 Prozent des ursprünglich auf 25.000 Euro geschätzten und dann auf 50.000 Euro gewachsenen Budgets zusammen. Und selbst dieser Betrag war ein Mini-Budget. Damit haben wir jetzt aber letztlich viel erreicht, finde ich.

Im Grunde habe ich den Film privat finanziert und habe mehrere Jahre dafür gelebt und gearbeitet. Wirklich eine heftige Erfahrung. Doch jetzt bin ich sehr glücklich, dass ich ihn realisiert bekommen habe und ich bin auch sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Letzten Endes kam die Finanzierung von mir, meiner Familie, meinen Freundinnen, Kolleginnen. Von Menschen, die an das Projekt geglaubt haben.

Hattest du keinen Verleih gewinnen können?

Ich habe mit vielen Leuten geredet, aber keinen Verleiher von dem Thema überzeugen können. Der Produzent Stefan Kloos von Kloos & Co Medien, der den Film „Transit Havanna“ produzierte, und mit dem ich ebenfalls gesprochen hatte, sagte mir ganz offen „Das Thema Kuba fasse ich nicht mehr an. Damit bekomme ich keine Leute ins Kino.“ Für mich war das auch eine klare Ansage: „Damit kann niemand Geld verdienen. Das Ding muss ich alleine durchziehen.“

Ich habe dann schließlich mit „Sun also rises“ einen eigenen kleinen Verleih für den Film gegründet. Das ist auch meine zentrale Strategie, um den Film zum Publikum zu bekommen.

Wie lief der Dreh? Wie sah dein Team aus? Wie lange habt ihr auf Kuba gedreht?

Das Team beim Revolutionsveteran Manolo (mit Zigarre): Enriko Nake, Konstantin Tempel, Jana Kaesdorf. Foto: Konstantin Tempel

Insgesamt lief das Projekt über fünf Jahre, ab der ersten Recherche, bis zur Fertigstellung des Films.Wir sind gerade in der Postpro und feierten die Premiere am 17. Dezember 2019, hier in Berlin, im Kino am Friedrichshain.

Wir hatten innerhalb eines Jahres zweimal drei Wochen lang auf Kuba gedreht, also insgesamt sechs Wochen Drehzeit. Zu meinem Glück hatte ich in Dresden zuvor einen Dolmetscher kennengelernt, den das Projekt begeisterte und der mitkam nach Kuba. Zudem fand ich zwei Kameraassistenten, von denen jeweils einer auf die Drehs mitkam und die zweite Kamera machte. Unser Team umfasste also pro Dreh je drei Personen, insgesamt vier Personen.

Du hast dich für das Genre der Dokufiktion entschie- den. Du zeigst das heutige Kuba aus der Perspektive eines fiktiven Protagonisten, Arsenio, ein Exilkuba- ner, der nach Jahren in Florida zurückkehrt und das Land bereist? Wie hast du das Drehbuch entwickelt?

Die Figur des Arsenio und seine Erzählperspektive beruhen auf vielen Gesprächen mit Exilkubanerinnen, und Exilkubanern, die ich hier in Deutschland geführt habe. Die subjektive Perspektive der Erzählung birgt ja den Reiz, dass er, weil er das Land als Kind verlassen musste und erst jetzt als Erwachsener zurückkehrt, Kuba in einer Mischung aus Kindheitserinnerungen und neuen Eindrücken erlebt. Also gleichzeitig Wiederentdeckung und Neuentdeckung.

Dann stand eine spezielle Musik am Anfang der Ge- schichte, die der US-Band Antibalas. Die hatte ich bereits im Kopf. Die Antibalas kannte ich nicht persönlich, trotzdem haben sie das Projekt sehr solidarisch unterstützt. Sie sind auf dem Soundtrack des Films zu hören. Diese Musik hat also ebenfalls die Handlung motiviert. Und es war klar, dass die Geschichte in einer alten, heruntergekommenen Hütte starten musste, in der Arsenio als Kind gelebt hatte.

Dann gibt es aber auch noch den Erzählstrang über die politische und wirtschaftliche Entwicklung Kubas?

Ja. Es sollte ja auch ein Film über die Reformen, die Lineamientos werden. In dem Zusammenhang waren zwei Gespräche sehr wichtig für mich: Mit der kubanischen Journalistin Nuria Leon aus der Redaktion der Tageszeitung Granma hatte ich ein sehr langes und vertrauensvolles Interview geführt. Und von dem Ökonom Everleny Perez Vilanueva bekam ich wertvolle Informationen über das Wirtschaftssystem. Beide tauchen im Film auf. Alle anderen Kontakte fanden wir während des Drehs vor Ort. Darunter auch Menschen, wie den Fischer Angel, den wir in einem abgelegenen Ort trafen und der im Film sehr schonungslos und sehr offen über die Missstände auf Kuba spricht. Ein echter Glücksgriff.

Im Grunde konnten wir durch die sehr begrenzten Recherchemöglichkeiten von Deutschland aus vorab nur einen roten Faden des Drehbuches spinnen. Alles andere passierte eher zufällig, vor Ort in Kuba. Aber wir haben uns voll und ganz darauf eingelassen.

Wie organisiert man solch einen Dreh auf Kuba? Man braucht sicher eine behördliche Drehgenehmi- gung. Euer Thema ist politisch und unter Umständen heikel für die Regierenden. Wurdet ihr begleitet? Oder beobachtet? Gab es Restriktionen?

Vorab: Ich empfinde den Film nicht als regimekritisch. Er ist lediglich der Versuch, eine politische und wirtschaftliche Situation aus der Perspektive des Volkes zu beschreiben. Die meisten Menschen, mit denen wir gesprochen hatten, wollen ja den Sozialismus – nur in Verbindung mit Rede-, Presse- und Reisefreiheit und einem gewissen materiellen Mehrwert.

Aber zurück zur Frage. Natürlich brauchten wir eine Drehgenehmigung. Die beantragten wir ganz offiziell bei der kubanischen Botschaft, hier in Berlin. Das zog sich über sechs

Monate hin. Wir haben wiederholt mit denen gesprochen, aber ich wurde immer wieder zurückgewiesen. Offiziell hieß es immer wieder, dass die Genehmigung aus Havanna noch nicht eingetroffen sei. Ich wurde dann irgend- wann zu ungeduldig und wir beschlossen mit Touristenvisa einzureisen. Wir wollten einfach schauen, was passiert, wenn wir quasi als Touristen filmen. Diese „Touristenperspektive“ hat sich dann aber voll ausgezahlt. Wir hatten auf diese Weise viele spontane Kontakte und Gespräche, bekamen viele tolle O-Töne, wurden weitervermittelt. Kurz: Wir wurden als „neugierige Touristen“ akzeptiert und haben diese Akzeptanz genutzt, um diskret zu drehen. Den einzigen Stress hatten wir an der Grenze zu Guantanamo. Dort forderten uns die kubanischen Sicherheitskräfte auf, das gedrehte Material zu löschen. Natürlich fielen wir aber auf, sobald wir abseits der tou- ristischen Orte filmten. In solchen Situationen wurden wir teilweise ganz offensichtlich von den Behörden beobachtet. Menschen in Autos oder auf Motorrädern folgten uns über Land, durch verschiedene Städte, schrieben das Nummernschild auf. Es war aber eine wenig konsequente, eher beiläufige Beschattung. Vielleicht wurden wir auch wegen unserer kleinen unauffälligen technischen Ausstattung einfach nicht sehr ernst genommen.

Zum Glück bekamen wir das Material dann auch aus dem Land. Denn es war ja teilweise durchaus brisant. Etwa die sehr offenen und kritischen Passagen im Interview mit dem Wirtschaftsökonom Vilanueva.

Gleichsam als Touristen drehen zu können, funktio- nierte aber auch nur wegen eurer kleinen mobilen Ausrüstung und dem nur dreiköpfigen Team. Welche Geräte habt ihr eingesetzt?

Wir haben die gesamte technische Ausstattung bewusst sehr minimalistisch gehalten. Zum einen natürlich, weil wir bei insgesamt sechs Drehwochen jeden Euro des Budgets zweimal umdrehen mussten. Zum anderen aber auch, um das Vertrauen der kamerascheuen Kubaner zu gewinnen, besonders bei Gesprächen über die Themen Politik und Wirtschaft. Trotzdem haben wir immer klar kommuniziert, dass das ein Film fürs Kino und/oder Fernsehen werden würde, für den wir sie interviewten.

Kompaktes und unauffälliges Equipment war beim Dreh zu „Experiment Sozialismus“ wichtig. Foto: Jana Kaesdorf

Natürlich kam uns die Erzählweise entgegen. Um mit Arsenio, der fiktiven Hauptperson, durchs Land zu reisen, brauchten wir ja in der Regel nur eine sich permanent bewegende, quasi „atmende“ subjektive Kamera

Gedreht haben wir mit der Sony Alpha 7 MkII und Sony- Objektiven sowie mit der Canon 5D und dem Canon Zoom 70-200 mm F2.8. Für die vielen Fahrten und subjektiven Einstellung des Ich-Erzählers habe ich den Gimbal CAME TV Single mit einem Sony 28-70 mm Zoomobjektiv ver- wendet. Das Material wurde intern im Profil S-Log2 sowie extern mit einem Atomos Blade Rekorder aufgezeichnet. Ich habe den Film auf dem Avid Media Composer geschnitten. Auch beim Schnitt erwies sich die Wahl des Atomos Blade als Vorteil, da der Rekorder direkt mit dem Avid-freundlichen Codec DNxHD 220 aufzeichnen konnte. Der Ton wurde auf einem Zoom H4n aufgezeichnet. Dessen Vorteile sind, dass er einen sehr guten Klang liefert und zudem sehr unauffällig ist. Die Hauptprotagonisten bekamen ein Ansteckmikro. Den Ton zu angeln, wäre nicht möglich gewesen. Das wäre zu auffällig gewesen. Auf einem Markt zum Beispiel wurden wir als Fremde vom Militär beäugt, das den gesamten Markt überwachte. Die Atmo-Töne wurden dann an jedem Drehort separat aufgezeichnet.

Materialsichten am Drehort: DoP Jana Kaesdorf mit Protagonisten. Foto: Jana Kaesdorf

Der Film sieht optisch sehr gut aus. Wie verlief das Colorgrading?

Zum Colorgrading war ich hier in Kreuzberg, bei der Firma wave~line. Dort wurde drei Tage lang mit Nucoda gegradet. So haben wir auch den leichten, warmen Ton bekommen.

Über die Optik des Films bin ich übrigens sehr glücklich. Es waren ja nur DSLR-Kameras, die wir eingesetzt hatten.

Es fällt auch auf, dass ihr kaum historisches Bild- und Filmmaterial eingesetzt habt. Du hast ja bereits gesagt, warum. Hat das im Rückblick dramaturgisch funktioniert? Immerhin ist das ja auch ein Film über die Vergangenheit Kubas.

Ich denke schon, dass das funktioniert hat. Schon beim Schnitt fiel mir auf, wie gut der Film, auch ohne die übli- chen historischen Aufnahmen, funktioniert. Das dramaturgische Konzept sah von Anfang an ja auch vor, dass wir ganz beim Erzähler Arsenio bleiben. Warum sollten wir also da rausspringen, in historische Aufnahmen?

Wie bekommst du den Film in den Vertrieb?

Ich habe extra einen eigenen kleinen Verleih gegründet, um den Film in die Kinos zu bekommen. Jetzt werde ich versuchen, Kinos zu gewinnen. Das wird sicher nicht leicht werden. Ich sehe den Film eher in den Arthouse-Kinos, aber die YORK-Gruppe, hier in Berlin zum Beispiel arbeitet nur mit ihren Vertragspartern zusammen. Da kommt man gar nicht rein.

Grundsätzlich ist es mir sehr wichtig, den Film auch mit dem Publikum zu besprechen. Es gibt hier ja viele Menschen, die entweder bereits mal auf Kuba waren, oder am kubanischen Sozialismus interessiert sind. Ich hoffe also mein Publikum zu finden. [11752]

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