Seit bald drei Jahrzehnten findet Peter Zeitlinger für Werner Herzog bewegende Bilder. Ob szenisch inszeniert in der Wüste oder dokumentarisch festgehalten in der Antarktis: Überall hält er mit ihm Schritt. Für ihre vielseitige gemeinsame Arbeit wurden sie auf dem 31. Camerimage Festival mit dem Cinematographer-Director-Duo-Award ausgezeichnet.
Peter Zeitlinger ist einer, der anpackt. Das stellte er schon beim Foto für das Interview unter Beweis, für das er in einem Hotelsessel Platz genommen hatte. Da der Hintergrund aber noch zu viel Zeichnung aufwies, versetzte er seine Sitzgelegenheit kurzerhand drei Meter nach vorne, ehe wir mit anpacken konnten. Mit genau diesem „Hands-on“-Gefühl hatte er mich bereits letztes Jahr in seinem Seminar auf dem Camerimage begeistert – wo er dieses Mal schon drei hielt, die Q&As nach seinen Filmen nicht einmal mitgerechnet. Bei ihm stellte sich bei mir zum ersten Mal seit langem wieder das Gefühl ein, selbst etwas drehen zu wollen.
Du bist auch eher der Typ für bewegte Kamera, oder? Ja, bin ich! Das Stichwort mit „Hands-on“ ist ganz wichtig, speziell hier, wo die ganze Industrie vor Ort ist. Die muss ja auch überleben. Das sind Investoren, die stecken hier viel Geld rein und die wollen, dass ein Vielfaches davon zurück- kommt. Die armen Leute sind im Stress, den Filmemacher:innen klarzumachen, dass ohne ihre Produkte gar kein Filmemachen möglich sei. Aber die Realität in der letzten Zeit der Digitalisierung hat ganz klar bewiesen, dass eine Demokratisierung des Filmemachens stattgefunden hat. Das begann glaube ich mit der Canon 5D Mark II, wo man das erste Mal Film aufnehmen konnte, mit einem Gerät, das unter 2.000 Euro kostete. Ab da konnten sich rein technisch viel mehr Filmemacher:innen leisten, Filme herzustellen. Seitdem sind natürlich viele weitere Kameras hinzu gekommen, die nicht mehr eine für hunderttausende Dollar notwendig machen, um einen Spielfilm oder dokumentarische Szenen auf die Leinwand zu bringen.
Das hat sehr viele Möglichkeiten für diejenigen eröffnet, die etwas zu sagen haben und nicht nur der verlängerte Business-Arm der Unterhaltungsindustrie – ich würde fast provokant sagen wollen: der Verdummungsindustrie – sind. Die Problematik hat sich aber inzwischen verlagert. Früher war es schwer, einen Film überhaupt zu machen, aber wenn man ihn dann gemacht hatte, dann konnte er gesehen werden. Er kam auf Festivals, wurde gekauft und lief im Kino. Heute ist das viel schwieriger. Das Filmemachen selber ist heute praktisch nahezu jedem möglich geworden, aber die Schwelle und die Schwierigkeit gesehen zu werden, das ist jetzt die große Aufgabe. Und da sind auch die Filme, die Millionen zur Verfügung haben, die einzigen, die das schaffen,weil die über Werbung ans Publikum herankommen …
… mit Werbebudgets, die inzwischen oft die Kosten des Films übersteigen. Hinzu kommt aber auch eine Verunsicherung durch das heute schier endlose Technikangebot, wo es früher überspitzt gesagt einfach nur vier Filmstocks zur Auswahl gab. Ja, ich sehe mich auch ein bisschen als Missionar der Einfachheit, als Ermutiger zur Befreiung von der Technosklaverei. Ich selber nutze natürlich selbst viel Technik und setze mich damit auseinander. Ich muss mich auch weiterbilden und neue Technologien ausprobieren: zum Beispiel mache ich auch selber visuelle Effekte und beschäftige mich mit KI im bildschaffenden Bereich. Aber ich möchte diese Dinge als Werkzeuge benutzen, nicht als Fallen. Und das Problem ist, dass man als junger Mensch sehr leicht in diese Verwirrung kommt, dass man nicht weiß, was man von diesen ganzen Spielsachen nehmen muss, damit man einen guten Film macht. Ich möchte klarmachen, dass es davon nicht abhängt. Das hängt von ganz anderen Sachen ab. Man kann einen tollen Film mit einer ALEXA machen, man kann einen tollen Film mit einer RED-Kamera machen, mit einer Sony und wie sie alle heißen, aber man kann einen tollen Film auch mit einer ganz kleinen Heimvideokamera oder einem Smartphone machen. Die werden ja auch immer besser, und es gibt auch Applikationen, die sogenannte „kinematographische“ Effekte einbauen. Mit KI ist es möglich, große Linsen zu simulieren, indem man die Schärfentiefe herausrechnet, Vordergrund vom Mittelgrund trennt und dann künstliche optische Unschärfen daraufsetzt. Diese Technologien werden immer besser, und auch immer leichter handhabbar.
Gleichzeitig möchte ich aber auch klarmachen, dass es diese angesagten kinematographischen Effekte gibt, diese kleine Schärfentiefe, Unschärfe-Bokeh von anamorphotischen Linsen und all diese Dinge, die diesen Falloff von Belichtungsclipping steuern – das alles sind Dinge, von denen hängt ein intensives Bild gar nicht ab. Denn das gute Bild, das schwierigste Bild ist eben ein scharfes Bild, wo man alles sieht. Nur die größten Meister schaffen, dass das dann auch wirklich funktioniert. Man sieht es ja bei Filmen von Iñárritu und Emmanuel Lubezki, oder von Cuarón, oder jetzt Scorsese mit Rodrigo Prieto als Kameramann, große Meister von Weitwinkelaufnahmen, die zwar mit großen Sensoren und den teuersten Kameras gemacht sind, aber im Endeffekt sehr viel Schärfentiefe haben, wie es ein einfaches Smartphone auch macht. Es ist leichter, mit kleiner Schärfentiefe ein gefälliges Bild zu machen. Denn eines der wichtigsten Dinge in der statischen Bildkomposition ist ja die Trennung von wichtig und unwichtig im Bild, und das Unwichtige einfach unscharf zu machen, ist eigentlich die simpelste Methode.
Darum ist es ja auch so abgeklatscht und eigentlich ist es billig. Aber natürlich funktioniert es immer wieder, wie eine harmonische Musik in einer einfachen Pentatonik, die schon die Steinzeitmenschen vor 30.000 Jahren kannten. Das ist ein archaisches Empfinden von Ästhetik, das in uns eingeboren ist, das wird immer funktionieren. Deswegen wird so ein Bild immer als schön und gefällig empfunden. Es ist aber im Vergleich sehr leicht zu machen. [15435]