DoP Katharina Dießner erläutert ihre Herangehensweise an Genrestoffe
Die Ebene des Unausgesprochenen
von Timo Landsiedel,
Die Bildgestaltung für Genrefilme ermöglicht eine Bildsprache, die man nicht in jedem TV-Film findet. Aber die Arbeit hat auch ihre ganz besonderen Herausforderungen. DoP Katharina Dießner hat eine Vorliebe für Genrestoffe. Im Interview für unser Heft 7–8.2022 erläutert die Kamerafrau am Beispiel ihres jüngsten Mysterythrillers „Im Nachtlicht“ von Regisseur Misha Kreuz, was dabei für sie wichtig ist und wie sie in ihrer Arbeit vorgeht.
Wer in der deutschen Filmlandschaft schon einmal versucht hat, einen Genrefilm gefördert zu bekommen, freut sich über jedes Werk, das es tatsächlich in die Produktion schafft. In den letzten Jahren hat sich die Anzahl dieser Filme erhöht. Das ist auch Festivals wie der leider aktuell pausierenden „Genrenale“ in Berlin zu verdanken, aber auch der Tatsache, dass Genre auf Streamingplattformen ein starkes Zugpferd ist. Und auch hier spielen deutsche Kreativteams eine starke Rolle, gehören doch besispielsweise die drei Staffeln von „Dark“ zu den erfolgreichsten Original-Serien von Netflix. Doch wie nähert man sich den Herausforderungen einer Genreumsetzung? Wir haben DoP Katharina Dießner gefragt. Ihre Kameraarbeit „Im Nachtlicht“ unter der Regie von Misha Kreuz kam Anfang April ins Kino, eine Allegorie auf toxische Männlichkeit im Kleid einer Mystery-Horrorstory.
Die Waise Minthe hat ihre Kindheit in Heimen verbracht. Albträume quälen die junge Frau. Feste Jobs kennt sie nicht, so richtig findet sie keinen Halt im Leben. Die Tischlerlehre abgeschlossen, aber das Architekturstudium nicht. Als sie Wohnung und Job verliert, steht sie kurz davor, erneut davonzulaufen. Da erhält sie das Angebot, in ihrer Geburtsstadt eine alte Mühle zu restaurieren. Schon bald muss Minthe feststellen, dass ihre dunklen Ahnungen und der merkwürdige Kult im „Wolfstal“ irgendwie zusammenhängen. Als sich ungeklärte Mordfälle an gewalttätigen Männern häufen, muss sich Minthe auf der Suche nach ihrer wahren Identität ihrer Vergangenheit stellen.
„Im Nachtlicht“ ist ein ungewöhnlicher Film in der deutschen Kinolandschaft. Die EDP Film schrieb, der Regisseur untergrabe „die Konventionen des Genres“ und bringe diese „ins Stottern und setzt so auf Subversion.“ Das genreaffine Deadline Magazin urteilte „ein sehenswerter Genrebeitrag“ und lobte die „hervorragende Kameraarbeit von Katharina Dießner“.
Katharina, im April kam der Mysterythriller „Im Nachtlicht“ von Misha Kreuz ins Kino, bei dem du die Bildgestaltung übernommen hast. Was reizt dich an Genrestoffen?
Genrefilme erzählen Geschichten, Gefühle und universelle Themen auf mehreren Ebenen, sie erschaffen eigene Welten, die man im Idealfall als Zuschauer immersiv erleben kann. Und dieses Erleben und Wahrnehmen, das Spiel von Erwar- tung und Neugier auf etwas Neues, finde ich an klassischen Genrefilmen wie Science-Fiction, Western und Horrorfilmen aber auch Komödien sehr spannend und unterhaltsam.
Ich finde das Wechselspiel aus „genre-typischen“ Stilmitteln und den Bruch oder die Neuinterpretation davon interessant. Das jeweilige Genre hat einerseits bekannte und etablierte audio-visuelle Stilmittel. Diese werden aber immer wieder neu interpretiert und weiterentwickelt. Das heißt, es sind klare Strukturen in der Erzählform, die immer wieder neu kombiniert und ausgelotet werden und mit zum Teil fantastischen Kombinationen und Erzählformen umgesetzt werden. Und dieses fantasievolle Erzählen reizt mich in der Umsetzung.
Welche Genrefilme haben deine Art des visuellen Denkens geprägt?
Ein erstes bewusstes Wahrnehmen von visueller Bildsprache und dem Zelebrieren von Zeit, Atmosphäre und Perspektiven gab es bei mir bei den Western-Klassikern wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „Zwei glorreiche Halunken“ sowie den Sci-Fi-Klassikern „Solaris“ von Tarkowski und natürlich „Alien“ und „Blade Runner“.
Danach gab es immer wieder so viele Low-Budget-und High-Budget-Filme, die mich begeistert haben, dass es schwer ist, eine kleine Auswahl zu treffen. Ich würde aber sagen, dass nordische Filme wie „Let the Right One In“ von Tomas Alfredson, „Thelma“ von Joachim Trier und „When Animals Dream“ von Jonas A. Arnby mich geprägt haben, was die Visualisierung und Thematisierung von Ängsten und unterdrückten Gefühlen, aber auch die Visualisierung von Metamorphosen und Emanzipationsprozessen betrifft.
Und auf der anderen Seite liebe ich Komödien wie „Kung Fu Hustle“ oder „Shaun of the Dead“ oder auch „Scott Pilgrim vs. the World“, die fantasievoll und mit so vielen liebevollen Details erzählen und mit Zitaten jonglieren. Ich denke, diese Freude am filmischen Erzählen begeistert mich dann immer wieder. Und natürlich gehört dazu auch „Blade Runner 2049“, der einfach ein visuelles Meisterwerk ist und wo jedes Bild nicht nur schön komponiert ist, sondern auch eine erzählerische Kraft und Haltung hat, die sich von der ersten bis zur letzten Einstellung trägt, ohne die Handlung zu überlagern.
Was sind die Herausforderungen eines Genrestoffes, wie „Im Nachtlicht“, gegenüber einem anderen szenischen Projekt?
Die Herausforderung liegt in der Kombination aus Geschichte und atmosphärischem Erzählen. Es gibt neben den konkreten Handlungen und Dialogen eine Ebene des Unausgesprochenen und Symbolischen, was genauso gut gesetzt und erzählt werden muss wie ein Dialog! Es sind visualisierte Gefühle und Themen wie Ängste und Macht, die einen Ausdruck brauchen, ohne dass man alles immer benennt. Dafür die passenden Bilder und Szenen zu finden, ist eine große und natürlich auch schöne Herausforderung.
Die richtigen visuellen Mittel zu finden und auch die Zeit zu haben, sie zu nutzen und die Ebene des Sounddesigns beim Drehen der Bilder schon im Kopf zu haben, ist sehr wichtig. Denn wenn man diese Art von filmischen Versprechen eingeführt hat, dann muss man sie auch bis zum Ende halten. Filme wie „Im Nachtlicht“, die dem Genre Mystery zugeordnet werden können, leben ja davon, dass man mit den Erwartungen des Zuschauers arbeitet, und ihn mit einer Geschichte und dem emotionalen Erleben von Themen wie Machtgier, Sexismus und toxische Männlichkeit konfrontiert. Und der Bereich zwischen Assoziation und Plakativem ist dabei manchmal schmaler als man denkt. [15232]