Anzeige
Anzeige
Editor Hansjörg Weißbrich über die Montage von „September 5“

Die richtige Tonalität finden

Hansjörg Weißbrich ist einer der verdientesten Editoren dieses Landes. Doch auf seinen zahlreichen Preisen, darunter zwei Deutsche Filmpreise, ruht er sich keineswegs aus. Stets sucht er neue Herausforderungen. Für Tim Fehlbaum widmete er sich der Montage des reichhaltigen Materials von „September 5“. Weißbrich verriet uns im Heft 1–2.2025, wie er sich dem Genre des historischen Kammerspiels näherte, wie er Ensemble­stücke montiert und welche Organisationsstrategie er hier zum allerersten Mal in seiner Karriere angewendet hat.

Filmstill aus "September 5"
Foto: Constantin Film

Rainer Nigrelli: Hansjörg, was war die größte Herausforderung für dich bei der Montage von „September 5“?
Hansjörg Weißbrich: Es gab tatsächlich viele Herausforderungen. Das Wichtigste war mir, dass wir die richtige Tonalität treffen, also zwischen einem spannungsgeladenen Journalistenthriller und den dramatischen emotionalen ­ Momenten im Film, die auch der Tragik des Ereignisses­ angemessen sind.

Rainer Nigrelli: Vielleicht können wir ja so ein bisschen in Richtung Genre gehen. Was ist Genreschnitt für dich? Wie kriegt man das hin, dass das so atemlos ist, dass man dran bleibt, dass sich der Beat des Films auf uns als Zuschauer:in überträgt?
Hansjörg Weißbrich: Ich würde immer als Erstes sagen: Das ist Intuition und mein Rhythmusgefühl für den Schnitt. Das ist bei allen Filmen eigentlich so, dass ich versuche, dass da keine Längen drin sind. Bei so einem Film wie „September 5“ findet das alles auf noch kleinerem Raum und in schnellerem Tempo statt als jetzt bei einem dialoglastigeren Film. Aber grundsätzlich ist es einfach so, dass ich versuche, dass kein Frame zu viel drin ist. Ich glaube, bei „September 5“ ist es auch ein Zusammenspiel aus dieser Handkamera und dem superpräzisen Schnitt, wo aber tatsächlich auch Tim ein sehr ähnliches Rhythmusgefühl und einen sehr ähnlichen Ansatz hat.

Porträtfoto von Hansjörg Weißbrich
Editor Hansjörg Weißbrich montierte „September 5“.

Das ist dann natürlich auch wichtig, dass man sich auf so einer Ebene unterhalten kann. Wenn man jetzt Einzelframes diskutiert, kann es sehr, sehr nervig werden, wenn es ein unterschiedliches Empfinden gibt. Bei uns hat das super gepasst. Grundsätzlich lasse ich mich aber weniger von einem formalen Gedanken leiten, Frames zu zählen oder besonders kurze Schnitte zu machen, sondern es hat einfach sehr viel mit dem Inhalt zu tun. Ich versuche, den Schnitt aus den Figuren, aus der Situation heraus zu denken, aus der Dramatik der Ereignisse. In dem Fall auch natürlich aus dem Excitement, der Anspannung und dem Stresslevel heraus, dem die da ausgesetzt waren, und das dann immer weiter zu verdichten im Zusammenspiel mit dem Material, mit dem ich umgehe. Bei dem stilistischen Ansatz, das quasi dokumentarisch zu drehen, gibt es viele tausend Möglichkeiten das zu kombinieren.

Gleichzeitig war mir auch immer wichtig, dass wir da auch einen Gegenpol schaffen zu dem Clock-Ticking-Thriller, dass wir Rhythmuswechsel haben und dass eben auch die emotionalen Momente das entsprechende Gewicht bekommen. Das war tatsächlich bei vielen Szenen gar nicht ganz klar, wie man die jetzt im Detail anlegt. Es hat viel auch mit Musik zu tun, also ob man da jetzt eine rhythmische Musik drauflegt, eine perkussive Musik, eine flächige, dramatische Musik oder eben emotionale Musik verwendet. Es gab viele Szenen, die hätte man in die eine oder andere Richtung arbeiten können. Ich fange eigentlich am ersten Tag an, mir Gedanken über die Musik zu machen und Temptracks auszuprobieren, weil es für mich wahnsinnig wichtig ist, relativ schnell ein Gefühl für die Tonalität des Films zu bekommen.

Timo Landsiedel: Wir springen mal in die Vorbereitung von Tim und dir, vielleicht auch von Markus und dir. Konntest du Markus und Tim Ideen mit ans Set geben? Oder bist du da eher zurückhaltender, was konkrete Dinge angeht?
Hansjörg Weißbrich: Es hängt immer davon ab, wie früh ich eingebunden werde. Bei „September 5“ war ich relativ früh eingebunden. Ich habe, glaube ich, vier, fünf Drehbuchfassungen gelesen. Ich weiß nicht genau, wahrscheinlich so ein bis anderthalb Jahre vor Drehbeginn. Ich habe die Drehbuchfassungen kommentiert und da auch ein bisschen Einfluss genommen auf bestimmte Figuren. Das finde ich auch immer ganz wichtig, wenn es möglich ist. Das mache ich zum Beispiel bei Hans Christian Schmid regelmäßig, weil wir ja auch schon seit 30 Jahren zusammenarbeiten und bei Maria Schrader. Alle, mit denen ich schon mehrere Filme gemacht habe, konsultieren mich schon während der Drehbucharbeit und dann fließt da immer etwas ein. „September 5“ ist komplett in München gedreht worden, in den Bavaria Studios. Ich habe aber den Rohschnitt in Berlin gemacht. Also ich war gar nicht am Set, tatsächlich kein einziges Mal. Wir haben uns remote ausgetauscht. Ich habe aber mit dem ersten Drehtag schon angefangen zu schneiden und habe dann – was ich eigentlich immer mache – am Ende des Tages den Drehtag assembliert. Dann schicke ich den Assembly dem Regisseur und in dem Fall auch den beiden Produzenten, die mit in die Arbeit eingebunden waren, weil wir alle befreundet sind und da ein offenes Verhältnis haben. Das sind Thomas Wöbke und Philipp Trauer, die beiden Produzenten von BerghausWöbke Filmproduktion. Dann haben wir uns von Beginn an über das Material und über das, was eventuell noch gedreht oder angepasst werden muss, ausgetauscht.

Filmstill aus "September 5"
Viele Figuren, viele Blicke, viel Material: Leonie Benesch spielt die Dolmetscherin Marianne Gebhardt. (Foto: Constantin Film / Jürgen Olczyk)

Ich mache es auch so, dass ich meistens am Ende der Woche noch mal eine Gesamtsequenz von dem jeweils aktuellen Stand des Schnitts schicke. Dann wächst das allmählich an und man kann immer mehr den Gesamtbogen beurteilen. Das hat super gut geklappt. Tim hat sich das auch alles immer angeguckt. Es gibt auch manchmal Regisseure, die interessiert das während der Dreharbeiten noch nicht oder sie haben keinen Kopf dafür. Aber mit Tim habe ich eigentlich jeden Abend telefoniert. Wir haben uns sehr eng ausgetauscht und es gab tatsächlich auch eine Szene, die dann noch einmal gedreht worden ist. Das hatte zwei Gründe. Beim ersten Dreh war so ein bisschen die Zeit weggelaufen und es war eigentlich schon klar, dass man das noch mal machen muss, weil es einfach zu beiläufig war und zu wenig Gewicht hatte.

Dann kam noch dazu, dass wir im Schnitt festgestellt haben, dass es eine andere Szene gab, die sich mit dieser Szene aufgedoppelt hat. So haben wir uns entschieden, die eine Szene wegzulassen und noch ein bisschen in die andere Szene einfließen zu lassen. Die ist dann einfach noch mal neu gedreht worden mit dem entsprechenden Gewicht für die Handlung.

Timo Landsiedel: Wie verändert denn die Tatsache, dass es auf den ersten Blick keinen hervorstechenden Hauptdarsteller gibt, also keine Hauptfigur, sondern es eher ein Ensemblestück ist – gerade in so einem Kammerspiel fällt das natürlich noch sehr viel stärker auf – deine Arbeit?
Hansjörg Weißbrich: Ich würde gar nicht sagen, dass das ein riesengroßer Unterschied ist zu einem Drehbuch, wo es einen klaren Hauptdarsteller gibt. Man hat halt einfach die Szenen. Klar, wir mussten insgesamt auch bei den Gruppenszenen immer wieder überlegen: Wo setzen wir jetzt die Schwerpunkte? Auf wen wollen wir jetzt gerade schneiden? Wen müssen wir noch miterzählen, damit er nicht zu lange weg ist? Aber das hat eigentlich auch relativ klar die Geschichte vorgegeben und die Szenen. Es gibt ja diese vier Hauptfiguren im Film: Das ist der Roone Arledge, der Chef, der Geoff Mason, der gerade seine erste Schicht als leitender Producer antritt, dann Marvin Bader, der ABC-Manager vor Ort, und Marianne Gebhardt als deutsche Übersetzerin. Für mich persönlich ist ja die Figur von Geoff Mason eigentlich die Hauptfigur, die John Magaro spielt.

Filmstill aus "September 5"
Editor Hansjörg Weißbrich musste beim Schnitt auf die Gewichtung der Figuren achten, hier Studioleiter Geoff Mason, dargestellt von John Magaro. (Foto: Constantin Film / Jürgen Olczyk)

Roone Arledge ist zwar die bekanntere Figur damals bei ABC gewesen. Den kennen viele Leute heute noch. Das ist uns in L.A. aufgefallen, weil wir da tatsächlich überraschend viele Leute getroffen haben, die damals für ABC gearbeitet haben. Also das war total schön, das zu erleben. Ich glaube aber, dass Geoff Mason auch deswegen die meigentliche Hauptfigur ist, weil sich Tim und Moritz Binder, sein Koautor, nach einem Treffen mit dem echten Geoff Mason dazu ent- schieden haben, die Geschichte, die sie ursprünglich aus vielen Perspektiven erzählen wollten, tatsächlich auf diese Einzelperspektive des ABC-Teams zu fokussieren. Die beiden haben ein langes Gespräch mit Mason gehabt und dann wurde er sozusagen von einer Quelle zu der Quelle des Drehbuchs. Mit dem Treffen ist die Idee geboren worden, die Geschichte nur aus dem Fernsehstudio zu erzählen und aus Sicht des ABC-Teams. Was dann den Schnitt betrifft, gibt es Szenen, die von Geoff geführt werden, ganz klar, weil er diese Senderegie leitet. Dann gibt es aber auch immer wieder die Szenen, wo wir ins Büro von Roone schneiden. Dann ist er natürlich der Lead. Das muss man austarieren. [15513]


Sie möchten mehr darüber erfahren, wie Hansjörg Weißbrich „September 5 “ montierte? Hier finden Sie das komplette Interview!


Anzeige

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.