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Final Mix am Küchentisch

Dokumentarfilm-Vertonung mit MacBook Air und iMovie

Bei Dokumentarfilmen kommen oft Situationen vor, die so nicht geplant waren – meist während der Dreharbeiten. Manchmal aber erfordern unvorhergesehene Entwicklungen auch während der Nachbearbeitung Improvisation und nicht alltägliche Workflows. Hier der Bericht aus unserer Ausgabe 1-2/2016 über ungeahnte Möglichkeiten, mit einem MacBook Air und iMovie. 

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(Bild: Uwe Agnes)

Jeder, der sich mit der Produktion von Dokumentarfilmen beschäftigt, wird sich ungern von Überraschungen auf dem falschen Fuß erwischen lassen. Er wird stattdessen stets das Unerwartete erwarten, und vermutlich auch ohne besondere hellseherische Begabung die Prognose wagen, dass bei einem Filmprojekt in der Demokratischen Republik Kongo Probleme, Verzögerungen und Schwierigkeiten aller Art auf ihn herniedergehen können wie Dauerregen im Voralpenland.

Tatsächlich dauerten die Dreharbeiten für eine Reportage über die Wiederherstellung der Landebahn des Flughafens Goma vier Jahre statt der ursprünglich avisierten 12 Monate. Die Produktion im Auftrag der Welthungerhilfe wurde, wie auch die Bauarbeiten selbst, vom Auswärtigen Amt finanziert. Kongolesische Flugplatzkommandanten, Provinzgouverneure und deutsche Außenminister wechselten während der Drehzeit, die sich aus mancherlei Gründen in die Länge zogen: die vorübergehende Eroberung Gomas durch die Rebellen der M23-Miliz im November 2012, allgemeine Trödelei bei der Luftfahrtbehörde RVA sowie die Tatsache, dass Minister Steinmeier kurzfristig woanders die Welt in Ordnung bringen musste und deswegen die Feier für die Übergabe der Landebahn um ein Vierteljahr verschoben wurde.

Hürden in letzter Minute

Nach dem glücklichen Ende der Dreharbeiten und dem Beginn der Postproduktion scheint dann alles innerhalb planbarer Rahmenbedingungen. Feinschnitt einer 15- und einer 30-Minuten-Fassung, Betitelung, IT-Mischung und der Kommentartext in drei Sprachen werden zwei Wochen vor dem vereinbarten Liefertermin fertig. Slots für Sprachaufnahme und Endmischung sind bei Studio und Sprechern gebucht.

Dann allerdings folgt die nächste Komplikation. Dem Auftraggeber fällt ein, dass die offizielle Übergabe der Landebahn im Kongo schon beinahe sechs Wochen her ist, und dass die Zahlung der letzten Rate für das Filmprojekt nur noch innerhalb jener sechs Wochen erfolgen kann. Danach werden die Bücher unwiderruflich geschlossen. Bedeutet: der Liefertermin rückt zehn Tage nach vorn. Kein Problem, wenn man mit leerem Terminkalender zu Hause sitzt. Hält man sich allerdings gerade und auch in den nächsten Tagen in, sagen wir, Cambridge, Großbritannien auf, stellt sich die Lage – bei sechs Fassungen, die vertont, gemischt und in jeweils vier Datenraten und -formaten gemastert werden müssen – anders dar.

Nach einigen Telefonaten lautet die gute Nachricht: die vorgesehenen Sprecher und das Aufnahmestudio können die Vertonung vorziehen und stückweise in eigener Regie zwischen andere Projekte schieben. Leider sind die freien Slots in etwa so lang, wie es dauert, den gesamten Kommentartext und die Overvoices fehlerfrei zu sprechen. Die Aufnahmen müssen daher mehr oder weniger in einem Durchgang laufen. Ein wie sonst üblich sauberes Anpassen von Tempo und Duktus an das Bildmaster ist aus Zeitgründen nicht drin. Falls nötig oder möglich, müssen einzelne Sätze später in der Endmischung verschoben oder eventuell sogar gekürzt werden.

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Auf den ersten Blick wirkt die Arbeitsoberfläche sehr amateurhaft (Bild: Uwe Agnes)

Wie aber lässt sich diese Mischung vor Ort realisieren? Das vorhandene Equipment besteht aus einem 13-Zoll MacBook Air, einer externen USB-3.0-Festplatte mit den sechs IT-Fassungen und einem halbwegs schnellen Internet- Anschluss. Des Weiteren befindet sich auf dem MacBook eine App, die zum Lieferumfang des Rechners gehört, in der Vergangenheit nur durch Quengeln nach Updates aufgefallen ist, und noch kein einziges Mal gestartet wurde: iMovie.

Zwar ist das Verhältnis zwischen Film- und TV-Schaffenden und Apple oftmals nicht ganz unbelastet, seit der Weltherrschafts-Aspirant aus Cupertino von einem Tag auf den anderen mit dem Bulldozer über die professionelle Schnittsoftware Final Cut fuhr. Vielleicht ist trotzdem heute der Tag, an dem einem iMovie aus der Patsche hilft.

iMovie-Workflow

Also an den Küchentisch, MacBook aufklappen und die App starten. Auf den ersten Blick ist der Workflow ähnlich wie bei jeder Schnittsoftware, sei sie für den Consumer- Bereich oder professionelle Anwender. Zunächst muss das Ausgangsmaterial importiert werden – in diesem Fall die sechs 720p-Master (zwei Längen für jede der drei Sprachfassungen) sowie die drei WAV-Dateien mit dem Kommentartext in Deutsch, Französisch und Englisch, die nach und nach per WeTransfer eintrudeln.

Der Import via USB geht rasch und problemlos, allerdings schreibt iMovie sämtliche Daten per default in eine eigene Bibliothek auf der internen Festplatte. Weil das MacBook über nicht gerade üppige 120 GB an Festplattenspeicher verfügt, kann es eine gute Idee sein, vor dem Import vorsichtshalber ausreichend Speicherplatz freizugeben. Alternativ kann man die sogenannte Mediathek auch unter einem anderen Namen auf ein weiteres Speichermedium kopieren, von dort neu aufrufen und hoffen, dass die Datenaustauschrate für ruckelfreies Arbeiten reicht.

Das eigentliche Anlegen von Bild und Ton erfolgt unkompliziert per Drag-and-Drop. Die erforderlichen Video- und Audio-Spuren werden von iMovie automatisch angelegt oder bei Bedarf wieder gelöscht. Die Hierarchie der Spuren und deren Zuordnung ändert sich übrigens auch automatisch, je nachdem wie sich die geschnittenen Clips überlappen. Was im einen Moment noch auf der oberen Spur liegt, ist plötzlich unten und umgekehrt. Auf das Ergebnis der Mischung hat das zwar keinen Einfluss, der Übersicht halber ist es jedoch ein guter Gedanke, vorab seine Clips aussagekräftig und eindeutig zu benennen. Die Größe der Spuren kann man in den Projekt- Einstellungen per Schieberegler anpassen. Wichtig für Benutzer mit Sehschwäche – die voreingestellte Größe ist mit dem Attribut „mikroskopisch“ gut beschrieben.

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Schwachstelle Export: iMovie bietet keine Postproduktionsstandards an. Hier muss später noch konvertiert werden. (Bild: Uwe Agnes)

Danach lassen sich die Clips per Trackpad und Kontext-Menü oder Tastenkombination teilen und mit „Anfassen“ und Ziehen trimmen. Mehr Handwerkszeug braucht es nicht, um die Sprachaufnahme in ihre einzelnen Blöcke zu teilen und exakt an die passende Stelle zu verschieben. Wenn dieser Schritt erledigt ist, ist alles bereit für die Endmischung. Dabei erhebt sich allerdings die Frage, wie diese Mischung abgehört und beurteilt werden soll, externe Lautsprecher stehen nun einmal nicht zur Verfügung.

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Denkbar simpel: In den Projekt – einstellungen ist nicht viel möglich (Bild: Uwe Agnes)

Zum Glück ist aber das Produkt für die Veröffentlichung via Internet vorgesehen. Da die Regel gilt, stets mit Ohr für das jeweilige Medium abzumischen und auch mit den entsprechenden Endgeräten zu kontrollieren, können in diesem Fall also ohne große Bedenken die internen Lautsprecher des MacBooks zum Abhören verwendet werden.

Mischung mit Automatik

Nach diesen eher grundsätzlichen Überlegungen läuft die eigentliche Endmischung nahezu traumhaft einfach und sicher – allerdings erst, nachdem ein möglicherweise vorhandenes Misstrauen gegenüber Automatiken glücklich überwunden ist. An jeder Stelle, an der Kommentartext oder Overvoice vorkommt, markiert man den dort angelegten Clip. Durch Klicken auf das Lautsprecher- Symbol oberhalb des Viewer-Fensters erscheint das erforderliche Untermenü. Einen Haken neben „Lautstärke anderer Clips reduzieren“ setzen, mit dem Schieberegler das Verhältnis von Hintergrundsound und Sprachaufnahme einstellen – fertig.

Um Übergänge, Blenden und Absenkung kümmert sich iMovie automatisch. Das Ergebnis lässt sich in der Änderung der angezeigten Waveform beobachten. Nach ein wenig Herumprobieren wird sehr schnell deutlich, wo in etwa der Schieberegler für ein optimales Ergebnis stehen muss. Abgesehen von den eigenen Ohren gibt es aber kein Messinstrument, mit dem sich das Ergebnis kontrollieren ließe.

Export

Der Export des fertigen Produkts ist intuitiv und unkompliziert. Über das bekannte „Bereitstellen“-Symbol gelangt man sofort in das entsprechende Kontext-Menü, in dem alle wichtigen Parameter der Ausgabe festgelegt werden können – bis auf das Format, wo es wenig überraschend keine Alternative zu QuickTime gibt. Für das Umcodieren in andere Formate muss dann eben andere, frei erhältliche Software zum Einsatz kommen. Bei der Ausgabe des fertigen Films kommt der 1,8 GHz- Prozessor ordentlich ins Schwitzen, und das Gerät gibt Geräusche von sich, die ansonsten nur zu hören sind, wenn 12-jährige Mitbenutzer darauf „Minecraft“ spielen. Gut, dass das MacBook doch den Lüfter hat, den Steve Jobs niemals einbauen wollte.

Fazit

Der Leistungsumfang von iMovie ist beachtlich für ein Produkt, das kostenlos im Lieferumfang eines Apple-Rechners ist und eindeutig auf den Consumer-Bereich zielt. Wäre das Dokumentarfilm-Projekt „Goma Airport“ für eine Broadcast-Auswertung vorgesehen gewesen, wäre iMovie allerdings rasch an seine Grenzen gestoßen.

Um beispielsweise zu beurteilen, ob man mit seiner Ausspielung die relevanten EBU-Normen erfüllt, müssen einfach die entsprechenden Messinstrumente zur Verfügung stehen. Ein weiteres Problemfeld bei umfangreicheren professionellen Projekten wären Arbeitstempo und Ergonomie. Die konkrete Aufgabenstellung mit Blick auf die geplante Verbreitung über die Homepages von Auswärtigem Amt und Welthungerhilfe hat die Software mit einem zügigen Workflow ohne Probleme gemeistert. War das also wirklich der Tag, an dem iMovie aus der Patsche geholfen hat? Zweifellos.

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