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Thomas Häring und Hubert Jäger über ihren Forggensee-Film

Dokumentation und Poesie

Thomas Häring und Hubert Jäger haben als freie Filmemacher über Jahre an ihrem Film über den Forggensee gearbeitet. Anlässlich der bevorstehenden Kinopremiere erfuhr Gerdt Rohrbach für unsere Ausgabe 6.2024, welche Schwierigkeiten sie bei ihrer Arbeit zu überwinden hatten, aber auch, welche Vorteile ihnen aus ihrem Status als „Freie“ erwuchsen.

Kamera auf Slider am Forggensee
Foto: Rainer Nimtz

Was ist eure Strategie euer neustes Werk, den Film über den Forggensee, unter die Leute zu bringen?
Thomas Häring: Wir wollen nicht nur Zuschauer im Allgäu erreichen, die zum Forggensee sicher einen besonderen Bezug haben. Wir planen auch, den Lech entlang Kinos zu füllen. Darüber hinaus sprechen wir kleine Spartenkinos an. Besonders interessant ist für uns zunächst auch Landsberg, weil dort der Firmensitz von Uniper ist. Uniper spielt ja in unserem Film eine besondere Rolle. Wir erkunden gegenwärtig, was sich anbietet. Dafür haben wir auch einen Trailer erstellt.

Wollt ihr auch bundesweit in die Kinos kommen?
Thomas Häring: Ja, das wäre schon hervorragend, denn was wir zeigen, gilt ja nicht nur für dieses Gewässer. Es geht uns auch darum zu zeigen, was Eingriffe in die Natur an Verlusten mit sich bringen.

Wie würdet ihr euren Status unter den Filmemachern charakterisieren?
Thomas Häring: Ich bin ein in mehrfacher Hinsicht freier Filmemacher.
Hubert Jäger: Der Thomas ist schon ein besessener Filmer.
Thomas Häring: Erst heute habe ich wieder einen Artikel über ein Filmteam gelesen, das hier im Allgäu drehen wollte. Ihnen standen nur zwei Drehtage zur Verfügung und ausgerechnet an diesen Tagen hatten sie miserables Wetter. Ich hingegen kann immer wieder an die Drehorte fahren. In Nepal hatte ich großes Glück mit dem Wetter. Das Telekult Kamerateam hatte dagegen drei Wochen fast nur schlechtes Wetter. Und ich habe auch keinen Zwang von einer Redaktion. Kein Auftragsgeber kann mir reinreden. Keiner gibt mir das Format vor. Ich muss auch keine Termine einhalten und ich muss auch keine vorgegebene Aussage in Bilder gießen.

Thomas Häring beim Dreh mit einer Drohne
Thomas Häring beim Dreh mit einer Drohne (Foto: Rainer Nimtz) (Bild: nimtz04@gmail.com)

Bei aller Freiheit – wie steht es denn mit der Wirtschaftlichkeit?
Thomas Häring: Die wirtschaftlichen Zwänge ergeben sich höchstens aus unserem beschränkten privaten Geld. Klar suchen wir Förderer, die den einen oder anderen Teil der Kosten übernehmen, zum Beispiel die Digitalisierung von Archivmaterial.

Wenn ihr bei eurem neuen Film zum Drehen ausgerückt seid, habt ihr dann ein Konzept abgearbeitet oder sind es die eingefangenen Bilder, die euch zu eurer Geschichte führen?
Hubert Jäger: Als ich begann, mit Thomas zusammenzuarbeiten, lieferte er Material in Fülle. Aus den schönsten Aufnahmen ergab sich da schon eine Geschichte. Dann mussten wir nur noch das eine oder andere nachdrehen, um die Geschichte bildhaft zu vervollkommnen. Zu diesen Nacharbeiten gehörten etwa der Bau des Staudamms und des Kraftwerkes oder Bilder aus der Illas-Schlucht.

Ist also die Geschichte bei der Auswertung der Bilder entstanden?
Thomas Häring: Zur Initialzündung kam es bei mir, als der See 2014 wegen Inspektionsarbeiten am Staudamm so weit abgelassen wurde, dass Gebäude, Denk- und Mahnmale, die 60 Jahre nicht sichtbar waren, ans Tageslicht kamen. Die Zeitungen haben davon berichtet und Menschen sind in Massen zum See gepilgert. Damals wurden große Teile der Illas-Schlucht wieder sichtbar. Hubert hat dann aus meinen Aufnahmen einen Film konzipiert, der auch Leuten etwas bringt, die nicht so eng mit der Gegend verbunden sind wie die Allgäuer.

Die Entstehungsgeschichte eures Films ist damit auch die Entstehungsgeschichte eines Erkenntnisprozesses. Aber euer Film ist doch keine reine Dokumentation, er enthält auch viele poetische Passagen?
Hubert Jäger: Zum einen legt unser Film die Entstehungsgeschichte des Sees dar. Soweit ist er rein dokumentarisch. Gleichzeit lassen wir auch den See sprechen. Das ist das poetische Element. In diesem Zusammenhang lernten wir, was passende Sprecher für unseren Film bedeuten. Auch die Sprache spielt eine ganz wichtige Rolle. Sie transportiert ja die Poesie. Der sachliche Teil wird von einer Sprecherin gesprochen. Indem wir den See durch einen Sprecher vermenschlicht haben, können wir unsere Botschaften noch besser im Film reflektieren.
Thomas Häring: Der See hat aber auch eine besondere Geschichte. So etwas gibt es zumindest in Deutschland kein zweites Mal. Im Untertitel heißt es ja: „Ein neuer See im alten Bett“. Den Forggensee hat es in der Erdgeschichte schon einmal gegeben. Durch den Staudamm entstand er ein zweites Mal. Dieser Aspekt wurde in Filmen, die es bisher schon gibt, noch nie so deutlich herausgearbeitet.

Wenn ihr bei euren Vorarbeiten und bei der Recherche an Leute herangetreten seid, wurdet ihr doch sicher auch mit der Frage konfrontiert, für wen ihr arbeitet. Wie habt ihr als freie Filmemacher diese Situation gemeistert?
Thomas Häring: Selbst wenn man die Fragen nach wozu und warum glaubwürdig beantworten kann, sind da immer noch die Befindlichkeiten der Menschen. Anders als wenn einer von einem öffentlich-rechtlichen Sender zu einem Bürgermeister kommt, bist du im Vergleich zu dem erst einmal ganz unten. Es dauert, bis du überhaupt einen Termin bekommst. In Schwangau gibt es zum Beispiel ein riesiges Archiv. Bis der Chef mich da hineingelassen hat … Ich konnte ihm aber Aufnahmen geben, die er noch nicht hatte. Noch schwieriger war das bei einem großen Industrieunternehmen wie Uniper. Der Sitz von Uniper ist in Düsseldorf. Wenn du dort anrufst, weißt du nicht, wo du überhaupt landest. Es fügte sich, dass der Pressesprecher sein Büro am Kochelsee, im Walchensee-Kraftwerk hatte.

Eisstrukturen am Forggensee, gesehen von oben
Im Winter kamen am See unerwartete Strukturen zum Vorschein. (Foto: Thomas Häring)

Hubert Jäger: Wir haben mit ihm ein Interview direkt am Staudamm gedreht. Dazu sind wir mit drei Kameras, Aufheller und Ton aufgefahren. So tritt nicht mal der Bayerische Rundfunk auf. Damit war klar: Das sind keine Handy-Filmer, die machen etwas Professionelles.
Thomas Häring: Man darf aber das Vertrauen auch nicht missbrauchen. Man erfährt ja auch Sachen, die nicht für jedermann gedacht sind. Und man gibt die Zusage, dass man Material nicht an Dritte weitergibt. Über dieses Vertrauen hatten wir dann im Lauf der Zeit mehr Möglichkeiten, als sie ein Team von einem Sender je bekommen kann.
Hubert Jäger: Wir bewegen uns ja mit unserem Film auch auf einem politischen Feld. Die Illas-Schlucht wurde unter Wasser gesetzt, was damals nach dem Krieg kein Problem war – heute wäre es eines. Heute könnte der Betreiber einen Imageschaden bekommen.

Welches Equipment habt ihr denn eingesetzt?
Thomas Häring: Primär war eine Sony NX 80 im Einsatz mit 4:2:2, dann gab es eine Sony A 7, R3. An der Sony A7 war das 70-200 mm F 2,8 , das 24-70 mm f2,8 und das 16-35 mm F2,8. An der GH5 hab ich das LUMIX 12-35 mm F2,8 das LUMIX 35-100 mm f2,8 und das Leica 8-16 mm f2,8-4,0 verwendet. Für Unterwasseraufnahmen haben wir ein Aquarium eingesetzt. Hubert hatte immer Angst, dass das Equipment Schaden nimmt. Da bin ich gelassener. Eine Drohne liegt jetzt im Forggensee. Um Aufnahmen zu bekommen, wie die Kamera aus dem Wasser kommt, haben wir einen Kran verwendet.

In eurem Film gibt es Einstellungen und Sequenzen, die die Natur auf eine völlig unerwartete Weise zeigen, zum Beispiel den See im Winter. Per Drohne werden da wunderbare Strukturen sichtbar. Wie findet ihr so etwas – es sind ja nicht nur schöne Bilder, wie macht ihr diese wunderbaren Sequenzen?
Thomas Häring: Dadurch, dass es hier um einen Stausee geht, der der Energiegewinnung und dem Hochwasserschutz dienen soll, wird der Pegel im Winter gesenkt, um im Frühjahr das Schmelzwasser aus den Bergen aufnehmen zu können. Somit treten im Winter Strukturen zu Tage, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Wenn du dann hineingehst in den Dreck – Forggensee-Dreck ist das Schlimmste, was es gibt – dann siehst du diese Strukturen. Und dann hast du mit der Drohne natürlich Blickwinkel, die du sonst nicht hast. Damit bist du wie in einer fremden Welt, wie auf einem anderen Planeten. Es kam der glückliche Umstand dazu, dass 2018 der See wegen dringender Reparaturarbeiten am Staudamm auch im Sommer nicht geflutet wurde. In der Folge wurde der Schlamm, das ganze Sediment, hart wie Beton. Das führte zu zusätzlichen Strukturen, die sich im Winter so gar nicht gebildet hätten.

Euer Kommentar enthält Passagen, die ausgesprochen poetisch sind, etwa wenn sich der See dafür schämt, im Winter abgelassen ganz nackt in der Landschaft herumzuliegen. Er bedankt sich dann bei seiner Schwester, Frau Holle, dafür, dass sie ihn mit ihrem weißen Tuch zudeckt. Wer von euch hat denn diese Passage getextet?
Thomas Häring: Das war eindeutig der Hubert.

Wie bist du auf diese Formulierung gekommen?
Hubert Jäger: Das sind Eingebungen im Schlaf, die ich nach dem Aufwachen gleich zu Papier bringe.

Hubert Jäger am Schneidetisch
Hubert Jäger am Schneidetisch (Foto: Rainer Nimtz)

Du bist auch für die Bildbearbeitung in der Postproduktion verantwortlich. Du kennst ja die digitale Bildbearbeitung schon von den Anfängen an. Du hast ja in  einer großen Tageszeitung dafür gesorgt, dass anständige Bilder in die Ausgabe kommen. Wie gehen diese Erfahrungen in deine Filme ein?
Hubert Jäger: Ja, ich habe als Reprofotograf die Entwicklung der Digitalisierungstechnik von den Anfängen an mitgemacht. Video ist ja in dieser Hinsicht nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Bildern. Wenn ich ein Bild sehe, das nicht gut ist, dann weiß ich, was zu machen ist. Zusätzlich dränge ich schon bei den Aufnahmen auf beste Qualität, denn aus Schrott kann ich auch nichts machen. Dank großer Beharrlichkeit erhielten wir Originalfilmmaterial des Staudammbaus im Jahre 1950. Es war ein 35-mm–Farbnegativ-Film mit 24 B/sec aufgenommen. Die Scan-Firma hatte mit dem alten Filmmaterial große Probleme. Mit einem extrem flachen Gamma hatte ich aber eine gute Grundlage, das bestmögliche Ergebnis mittels Gradation, Masken und Color-Grading herauszuarbeiten.

Wann ist denn die Premiere des Films?
Thomas Häring: Vorpremiere war am 11. April. Ende April, Anfang Mai ist dann die Premiere im Kino, in der Filmburg in Marktoberdorf und in Königsbrunn. Weitere Aufführungen müssen wir noch organisieren. Im Herbst sind die Feierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen des Sees geplant. Da werden wir uns natürlich auch um Aufführungen bemühen. Der Sommer ist nicht unbedingt die beste Kinozeit. Im Herbst planen wir deshalb die nächsten Kino-Aufführungen. ­ Zusätzlich bauen wir gerade einen Trailer, den wir online stellen. Wir achten darauf, dass unsere Internetauftritte keine Konkurrenz zu den Kinoaufführungen werden. Wir setzen natürlich auch darauf, dass dein Artikel uns bei der Suche nach weiteren Veröffentlichungsmöglichkeiten hilft! [15455]


Hier geht es zum Trailer des Forggensee-Films!


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