Der zweite Teil der Dreharbeiten zu “Deutschland 86” fand dann wirklich in Berlin statt. Hier wurden weniger die Action-Szenen, sondern mehr Dialogszenen mit einem düsterem Look gedreht. Für die Ausgabe 6/2018 sprachen wir mit den beiden DoP Matthias Fleischer und Kristian Leschner über die Amazon-Serie.
MEHR DIALOG UND DÜSTERER
“Der ganze Südafrika-Teil ist natürlich viel actionreicher“, erzählt Leschner. “Berlin hat viel mehr Dialog, ist düsterer und teilweise auch emotionaler.” Genau in diesen emotionalen Szenen wollte er den gemeinsamen “modernen Look” mit Untersichten nicht zu sehr auf die Spitze treiben, um diese Momente nicht zu zerstören: “Sonst hätte der Look über der Sache gestanden.” In solchen Momenten wählte Leschner dann doch das 40-er Objektiv statt des 27-er: “Das unterscheidet Berlin sicherlich von Südafrika.”
Auch Action-Szenen gibt es in Deutschland wenig. Eine Berliner Verfolgungsjagd drehte das Team Leschner-Feldhusen weiter, die in einem Aquarium in Südafrika begonnen worden ist. Regisseur und Kameramann hatten eine “tolle, fast lustige Verfolgungsjagd gebastelt”, mussten diese dann aber sehr kürzen. “Das Problem ist, das man mit Action-Szenen nicht so viel Filmzeit erzeugt, aber viel Drehzeit verbraucht”, sagt Leschner. “Durch die Erzählstränge, die im Vergleich zu ‚Deutschland 83’ noch dazu gekommen sind, hatten wir ein Pensum, das nur schwer zu schaffen war. Jeder Tag war randgenäht.”
Trotzdem achtete der DoP sehr auf die Zentralperspektive: “Wenn die Linien nicht stimmen, werde ich unruhig.” Er versuchte wenig stürzende Linien zu zeigen, und kontrollierte dies immer mit seinen Assistenten. Durch das hohe Pensum wurde, wie auch in Südafrika, fast ausschließlich mit zwei Kameras gedreht. In der HVA drehte Leschner eine Konferenzraumszene mit acht Darstellern, die alle nur sitzen und viel Dialog haben. Die Auflösung für beide Kameras erarbeitete Leschner während den Proben. “Da mussten wir natürlich auch Kompromisse eingehen. Manchmal haben wir unser Dogma dadurch etwas durchbrochen Aber wenn man mit einem Dogma spielt, ist man immer auf der Suche nach den besonderen Bildern.”
OSTLOOK
Als besonders Highlight hatte sich das Berliner Team vorgenommen, den Grenzübergangs Oberbaumbrücke wiederauferstehen zu lassen. “Die Bilder von damals sind schon sehr verrückt, mitten in der Stadt dieser Grenzübergang”, erzählt Leschner, aber der Grenzübergang existiert in der Realität natürlich schon längst nicht mehr. Daher hatte Szenenbildner Lars Lange – “Ostspezialist”, wie ihn Leschner nennt – einen ausgefeilten Plan entwickelt, das Motiv aus vielen verschiedenen Einzelmotiven zusammenzusetzen, eine Anlieferzone sollte zum Beispiel für den Osteingang dort stehen.
Schließlich brach aber ein zentrales Element dieser vielen Motive weg, das komplizierte Geflecht, das gut zwei Drehtage benötigt hätte, brach damit zusammen und sie mussten doch im Studio drehen. “Am Ende finde ich das Ergebnis trotzdem toll, weil dadurch an anderer Stelle mehr Luft blieb”, sagt Leschner. Neben dem Grenzübergang wurden mehrere Motive in Ost- und Westberlin an drei Tagen in Studio Babelsberg gedreht. “Da mussten wir am Ende ganz schön zirkeln, welche Blickrichtung wir noch nicht hatten”, sagt Leschner.
Auf die Frage, was den Ost-Look ausmacht, fällt Leschner gleich das Gelb der Hochdruckgasentladungslampen ein. Die gaben auch das Licht vor, das nachts von außen in die HVA-Büros der Stasi fiel. “Durch deren direktes Licht haben die Gardinen ihre Strukturen richtig gezeigt”, erzählt Leschner. Die Originalgardinen, die sie in fast allen Räumen verwenden konnten, lassen sich in drei Schichten auf- und zuziehen, erzählt Leschner: “Wir haben mit den verschiedenen Schichten gespielt und bei unserer Lichtgestaltung abgestuft.”
Tags bouncte Oberbeleuchter Jan Zscheile mit mehreren großen Steigern und hängte dazwischen noch Segel, dadurch konnte das Team auch im Dezember für die Tagesaufnahme noch das Pensum schaffen. Und gleichzeitig wurden so auch die Holzdecken und Lampen der Stasizentrale sichtbar. “Diese Räume leben durch ihre Decken”, sagt Leschner. Was den Osten auch besonders kennzeichnete, waren Tapeten: “Die haben alles tapeziert. Es ist teilweise gruselig, dass man im Verhörraum in Hohenschönhausen eine aus unserer Sicht schräge Tapete findet.” Gemeinsam mit dem Szenenbild wurden daher Tapeten ausgewählt und auch überlegt, ob die jeweilige Tapete zur Figur passt.
GEGENSEITIGES GRADING
Schließlich ging es daran, das Material von beiden DoPs zusammenzuführen. Colorist Sebastian Göhs hatte vor dem Dreh für Matthias Fleischer zusammen mit Daniele Siragusano von Filmlight eine LUT entwickelt, die der DoP durchgängig als Basis für die Musterlichtbestimmung einsetzte. Kristian Leschner arbeitet hingegen nur mit Moods, die ihm sein DIT Daniel Mock am Set teilweise anpasste: “Ich mag mich da nicht zu sehr am Set festlegen.”
Wegen Terminüberschneidungen der beiden und des straffen Zeitplans im Grading konnten die beiden DoP nicht gleichzeitig die komplette Staffel im Grading betreuen. Daher machte Matthias Fleischer, wie schon beim Dreh, den Anfang mit den ersten fünf Folgen, in denen sich ja auch geschnittenes Material seines Kollegen Leschner findet – für beide Neuland. Sie einigten sich mit etwas Abstand zum Dreh Ende Januar in einem Pre-Grading auf eine gemeinsame Linie. Das komplette Material sollte mit Fleischers LUT behandelt werden, wie eine “digitale Emulsion”: “Gerade weil wir so viele verschiedene Orte haben, wäre es sonst ein Durcheinander geworden”, sagt Fleischer.
Es gab eine LUT basierend auf Kodak-Filmmaterial sowie etwas später eine zweite, die näher an der Fuji-Welt liegt. “Letztendlich sind wir bei der Kodak gelandet, die Matthias eh schon vorschwebte”, so Leschner. Fleischer ist von der Offenheit seines Kollegen begeistert: “Kristian ist über seinen Schatten gesprungen und hat irgendwann gesagt: Wir probieren das jetzt so.” Leschner schlug dann für Ostberlin einen etwas grüneren Look vor: “Das passt wahnsinnig gut, weil sich das viele Holz in der Stasi-Zentrale sehr gut absetzt”, sagt Fleischer. “Im Grunde lässt sich mit beiden LUTs der gleiche Look erreichen, mir schien das Filmische der ‚Kodak-LUT’ ein großer Gewinn. Sie produziert einen sehr schönen roll-off in den Highlights.”
Leschner bekam dann schließlich Fleischers Grading online während seiner Drehvorbereitung für die 6. Staffel “Tatortreiniger” zu sehen – und hatte nur kleinere Anmerkungen. “Matthias ist sehr viel farbintensiver herangegangen als ich”, sagt Leschner. “Aber es gibt die Gefahr, dass man immer das Gleiche macht, weil es einem gefällt. Und was Matthias mit dem Material gemacht hat, fand ich irre, weil es intensiv ist, aber dich trotzdem nie anspringt.” Ende Mai wird Leschner nun mit dem Coloristen die Teile 6 bis 10 graden: “Wahrscheinlich habe ich es jetzt einen Tick leichter, weil viele Motive wiederkehren.”
Besonders freut er sich schon auf seine erste Erfahrung mit HDR, denn neben einer SDR-Version wird “Deutschland 86” in HDR gegradet. “HDR lässt dich den Screen vergessen”, sagt Fleischer. “Es berührt dich physisch einfach mehr. Mit der tollen Vorbereitung durch Sebastian und Daniele und ihrem Workflow, sowie Craig Parker als Daily Colorist in Kapstadt war das Grading ein Vergnügen – und der Wechsel zu HDR hat seinen Schrecken verloren. Jede Szene hat davon profitiert, weil die Bilder transparenter und dreidimensionaler wirken.”