Als für DoP Markus Förderer ein Nachdreh für den Spielfilm „Tides“ unter anderem in den Bavaria-Studios in München anstand, er jedoch coronabedingt in Los Angeles festsaß, war das ein Problem, für das eine kreative Lösung gefunden werden musste.
Ein DoP gehört in die Nähe seiner Kamera. Man muss ja nicht ständig durch den Sucher blicken oder schwenken, dafür gibt es ja vielleicht einen Operator und so kann sich ein DoP dann gern am Monitor im Video Village aufhalten. Aber am Set sollte man doch schon sein. Das war einmal. Denn diese Einschätzung galt vielleicht für die Zeiten vor der Covid-19-Pandemie, die das Reisen, Arbeiten und ganz allgemein das menschliche Miteinander auf eine Weise umkrempelte, wie sie zuvor kaum vorstellbar war. Und so kam es, dass DoP Markus Förderer sich bei einem Spielfilmdreh nicht einmal auf demselben Kontinent befand wie seine Kamera.
Nachdreh in Los Angeles und München
„Wir hatten für den Science-Fiction-Film „Tides“, der zu großen Teilen schon 2018 abgedreht war, von vornherein vier Tage für Nachdrehs eingeplant“, erläutert Förderer. „Das lag vor allem daran, dass der Regisseur Tim Fehlbaum gern dokumentarisch dreht und sehr viel ausprobiert. Deshalb ergaben sich in der Story viele Wendungen, die man nicht vorhersehen konnte. Im finalen Schnitt gab es dann Platzhalter, die wir entspechend füllen mussten, weil sich zum Beispiel das Ende geändert hatte.“
Zwar waren Mitte Mai in Deutschland gerade rechtzeitig für den Nachdreh wieder Dreharbeiten unter besonderen Hygienemaßnahmen möglich geworden. Die transatlantischen Flugmöglichkeiten waren aber nach wie vor stark eingeschränkt, so dass es für Markus Förderer nicht möglich war, von Los Angeles, wo er lebt und sich zu dem Zeitpunkt aufhielt, nach München zur Bavaria zu reisen. Was tun? Eine Art Probelauf zur Lösung des Problems hatte es bereits kurz zuvor gegeben. „Ein Schauspieler, der für einen Nachdreh in Deutschland vorgesehen war, konnte nicht anreisen und dann habe ich ihn in meiner Wohnung in L.A. vor einer weißen Wand gedreht“, erzählt Markus Förderer. „Eine Nebelmaschine habe ich über Amazon besorgt, die Kamera kam von RED und Objektive hatte ich selbst. Das hat super funktioniert, weil die Szene zum Glück im dichten Nebel spielte. Wir wussten auch genau, was wir brauchten, denn der Editor hatte im Schnitt mit Fotos gearbeitet, so dass wir gezielt drehen konnten. Wir konnten natürlich nicht mit Komparsen arbeiten, die wir aber in einer Szene brauchten. Da haben wir uns mit einem Medizinball und Stativen beholfen, über die wir die Kostüme gehängt haben, so dass es so aussah, als ob der Schauspieler in einer Gruppe steht. Der Regisseur Tim Fehlbaum war zu der Zeit in Deutschland und hat via Zoom zugeschaut, die Kamera gesehen und konnte mit dem Schauspieler sprechen.“
Verbessertes Setup
In der einen Richtung funktionierte das Verfahren also. Aber den DoP nicht nur räumlich, sondern auch geografisch von seiner Kamera zu trennen, erforderte ausführlichere Vorbereitungen bei der Verbindung über die Zoom-Plattform. „Von diesem ersten Dreh habe ich schon einiges gelernt“, erinnert sich Förderer. „Für den zweiten Dreh in Deutschland haben wir dann noch zwei zusätzliche iPads aufgestellt.“ Eins davon stand im Video Village für die Kommunikation mit der Regie, das andere zeigte das Set mit Kamera, Licht und dem Modell einer Raumkapsel, das an dem Tag gedreht werden sollte. Zusätzlich wurde die Sucheranzeige der RED Monstro über einen Blackmagic Web Presenter in Zoom eingespeist. Das Gerät von Blackmagic Design ist in der Lage, über einen 12G-SDI-Eingang oder einen HDMI-Eingang sowie einen XLR- Mikrofoneingang die entsprechenden Signal umzuwandeln und als Livestream wie der einer USB-Webcam auszugeben. „So konnte ich über Zoom alle im Sucher eingeblendeten Kamerainformationen wie Histogramm, Weißabgleich und Metadaten sehen“, erläutert Markus Förderer. „Das war fast so, als würde ich selbst im Video Village sitzen. Es war einfach nur weiter weg!“
Weiter weg bedeutete in diesem Fall etwa 9.600 Kilometer zwischen München und Los Angeles. Doch die Übertragung in beide Richtungen funktionierte dennoch erfreulich störungsarm. „Es lief ganz gut“, so der DoP. „Wir hatten keine Aussetzer und ich habe auch keine Verzögerung bemerkt.“
Menschlichere Kommunikation
Die Probleme des Verfahrens lagen eher auf der nicht-technischen Ebene. „Manchmal gibt es Fälle, wo man damit kämpft, etwas für die andere Seite zu beschreiben, zum Beispiel, wenn es darum geht, einen Reflex herauszuhalten. Wenn ich vor Ort wäre, dann wüsste ich genau, wie weit ich die Kamera in welche Richtung schieben muss. Aber bei einem Nachdreh, der vielleicht einen oder maximal drei Tage dauert, kann ich mir so etwas auch nach Corona vorstellen. Vielleicht ist man dann schon in einem anderen Projekt und kann nicht unbedingt extra für den Nachdreh anreisen. Vielleicht möchte man sich auch einfach den langen Flug und den Jetlag ersparen.“ Was dann aber nicht wegfällt, ist die unterschiedliche Ortszeit auf den verschiedenen Breitengraden. „Ich musste halt die Nächte durchmachen, weil der Nachdreh tagsüber deutscher Zeit stattfand“, sagt Förderer „Bei mir war dann natürlich Nacht und wenn bei mir die Sonneaufging, war drüben Schluss und ich bin ins Bett gegangen. Immerhin war es mein eigenes!“
Dabei hat Markus Förderer die Erfahrung gemacht, dass die durch technische Mittel vorgetäuschte Nähe je realistischer und die Kommunikation einfacher wird, desto besser die Qualität des übertragenen Signals gestaltet werden kann. Insofern hatte er Glück, dass er zum Zeitpunkt des Nachdrehs noch eine Blackmagic Pocket Cinema 4K verwenden konnte, die ihm der Veranstalter eines Web- Events zur Verfügung gestellt hatte. „Das war in der Situation das bestmögliche Bild und der bestmögliche Ton“, so Förderer. Bei der Beurteilung des Sucherbilds verließ sich Förderer meist auf den vom Web Presenter in 1.080p übertragenen Livestream. Nur in besonders kritischen Situationen schickte ihm ein Produzent, der zufällig Berufserfahrung als DIT hatte, RAW-Stills zur Kontrolle.
„Das Gute an an der RED-RAW-Komprimierung ist, dass man problemlos Einzelbilder herausziehen kann. Die sind dann zwischen fünf und sechs Megabyte groß. Mit diesen RAW-Stills konnte ich schnell checken, wie die Schärfe ist oder wie die Zeichnung in den dunklen Bildpartien sich verhält. Das habe ich gerade am Anfang öfter gemacht und mich danach zu 80 Prozent auf das übertragene Sucherbild verlassen“, erklärt Markus Förderer. [13401]