Wir stellen die Preisträger des 32. Deutschen Kamerapreises vor (8)
Drehung in Bodennähe
von Sven Kubeile,
Die Reihe mit den Gewinnern beim 32. Deutschen Kamerapreis geht weiter mit Nikolai Huber. Er bekam den Nachwuchspreis Kamera für seine Arbeit bei „Drecks Kleingeld“.
Nikolai Huber wurde 1994 in München geboren. Die ersten Erfahrungen sammelte er als Kameramann an den Münchner Kammerspielen und als Visual Effects Artist bei Trixter. 2014 nahm er sein Kamerastudium an der HFF München auf und erhielt seitdem für seine Arbeit auf vielen internationalen Festivals Anerkennung. Mit „Find Fix Finish“ wurde er beim Camerimage Film Festival 2017 mit einer besonderen Erwähnung ausgezeichnet, „The Raft“ wurde beim Deutschen Kamerapreis 2020 für den besten Kurzfilm nominiert. Darüber hinaus arbeitet er als Kameraoperator und -assistent bei international anerkannten Produktionen wie Abel Ferraras „Tommaso“ und Werner Herzogs „Fireball“.
Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Kamerapreis in der Nachwuchs-Kategorie! Wie fühlt es sich an, einen solchen Preis überreicht zu bekommen – auch während einer solchen Gala?
Vielen herzlichen Dank für die Glückwünsche – das fühlt sich sehr gut an, kam aber sehr unerwartet für mich. Als der Anruf kam, dass ich gewonnen habe, war ich gerade auf Locationtour in Italien auf einem Segelboot für einen Dokumentarfilm-Dreh unterwegs. Erst zurück an Land habe ich dann die verpassten Anrufe aus Köln vom Kamerapreis bemerkt. Es war deswegen überraschend, weil ich eine Arbeit eingereicht hatte, die im Rahmen eines Seminars an der Filmhochschule entstanden ist.
Eine solche Gala und Verleihung ist besonders absurd, wenn man sie noch nie als Fernsehaufzeichnung miterlebt hat. Ein sehr langer Abend, mit vielen warmen Worten und vielen erfahrenen Kameramenschen, mit denen man sich austauschen kann – eine ganz große Ehre, mit so großartigen Filmemachern auf einer Bühne zu stehen. Ich habe mich sehr über diese Ehrung gefreut, die nicht nur für mich, sondern auch für die Arbeit meines Teams steht und die mich sehr für die nächsten Projekte motiviert.
Der Preis wurde von ARRI gestiftet und es ist mir eine große Freude, dass durch die Zusammenarbeit und Nachwuchsförderung von Verleihern so viele großartige Projekte entstehen können.
Dein Gewinner-Film ist „Drecks Kleingeld“. Wie hast du dich darauf vorbereitet?
Der Film handelt von einer Kellnerin mit Kleingeldphobie. Um Feierabend zu machen, muss sie aber das Kleingeld zählen, wir begleiten sie in dem Versuch, ihre Phobie zu überwinden. Meine ersten Gedanken waren: Wie können wir diese sehr körperliche Erfahrung in Bilder fassen, dass sie für die Zuschauer auch erfahrbar wird? Wie kann die Kamera den Weg der Münze verfolgen und mit dem Zuschauer in die mikroskopische Welt des Wahns und des Schmutzes eindringen? Um diese spezifische Wahrnehmung greifbar zu machen, mussten wir also auch in die Welt einer Münze bildhaft eintauchen. Dann dachten wir uns sehr schnell: die Münze muss eine Art Antagonist werden und wir müssen dafür ihre Perspektive einnehmen können. Also haben wir nach Möglichkeiten gesucht, die Kamera auf Augenhöhe der Münze zu bringen und sich so zu bewegen wie eine rollende Münze. Wir wollten zu der Phobie weniger eine beobachtende Haltung als eine Art komplizenhafter Verschwörung eingehen und eine Möglichkeit finden, zwischen der Makrowelt und der alltäglichen Welt der Bar zu wechseln, am besten in einer nahtlosen Bewegung. Wir haben uns dann zunächst eine Endoskop-Kamera gekauft und damit vieles getestet. Schnell kam dann der Gedanke hinzu, dass wir uns mit der Münze drehen können müssen. Nicht die Münze sollte sich drehen, sondern die Welt drum herum und damit die Kamera.
War der Wechsel der Welten das Schwierigste für dich an diesem Film?
Ja, das würde ich schon sagen. Am Anfang des Films gibt es eine Sequenz, die das ganz gut demonstriert: Die Kamera folgt dem Weg einer Münze in den Mikrokosmos von Taschen, auf ihrem Flug vom Tisch bis hin auf den staubigen Boden. In diese Detailhaftigkeit von Dreck und Schmutz müssen erst unter größter Überwindung überdimensionierte Finger in den Frame eindringen, damit eine Berührung stattfinden kann. Die Münze als ein kleines Stück Kupfer, das wahrscheinlich schon viel gesehen hat – Erfahrungen aus aller Welt, unendlich viele Berührungen, dreckige Theken, Schweiß, alles, was auf Münzen kleben und uns im alltäglichen Gebrauch verborgen bleibt. Die Herausforderung war, die mikroskopische Welt der Münze sichtbar zu machen und nahtlos zu verbinden mit der Atmosphäre der Bar und der alltäglichen Welt der Kellnerin.
Wie hast du das denn nun konkret und auch technisch umgesetzt?
Wir haben zwar viel mit dem Endoskop getestet, aber gedreht haben wir auf der ALEXA Mini. Um uns visuell der Wahrnehmung der Phobie zu nähern, haben wir uns für anamorphotische Linsen entschieden. Die Kowa-Evolution-Anamorphoten entsprechen dem ursprünglichen anamorphotischen Look der originalen Vintage Kowas, haben geringen Kontrast und eine gewisse Wärme, die für die metallische Welt der Münze gut gepasst hat. In ihrer Unschärfe und dem Bokeh verfremden die Kowas die Realität, eine sehr ungewöhnliche Visualität, die der Film erfordert, weil er auch eine sehr ungewöhnliche Erfahrung darstellt.
Damit wir auch der Münze in dunkle und enge Orte folgen können, haben wir ein Periskop benutzt, um mit der Kamera auf Bodenhöhe und unter Küchenanrichten zu kommen. Nach vielen Tests und Überlegungen, wie wir uns synchron mit der Münze um die eigene Achse drehen können, sind wir auf den Scater Scope gestoßen, eine Art Schnorchel mit integriertem Spiegelelement, den man beispielsweise mit einem Funkschärfemotor steuern kann. Wir konnten damit das Bild drehen, ohne dabei die Kamera selbst drehen zu müssen. Wir haben dann sehr viele Münzen geworfen und versucht, dass wir nicht nur den Drehmoment der Münze genau treffen, sondern auch in der richtigen Geschwindigkeit neben der Münze herfahren. Das hatte in allen Tests erstaunlich gut funktioniert, aber im eingeleuchteten Set hatte die Münze ein plötzliches Eigenleben entwickelt und wir haben einige Versuche gebraucht, um eine perfekte Bahn aufzunehmen. Durch unseren Aufbau konnten wir auch, obwohl wir mit einer ALEXA Mini gedreht haben, unter die Theke fahren und zwischen Theke und Boden drehen.
Eine Herausforderung war außerdem, die beiden Welten visuell zu verbinden. Die Ultra-Close-ups erforderten mindestens eine Blende 14, die Kowa-Anamorphoten haben eine Offenblende von 2,4. Wir mussten die beiden Welten also mit komplett anderem Lichtaufbau leuchten und alle Practicals mit deutlich größeren Einheiten verstärken, um möglichst harmonisch zwischen den Welten wechseln zu können.
War die Technik bei diesem Film anspruchsvoller als das visuelle Konzept?
Das visuelle Konzept musste sehr klar sein, damit wir auf dem technisch anspruchsvollen Niveau und im Rahmen von unserem limitierten Budget arbeiten konnten. Hier konnte ich mich auch auf meinen Oberbeleuchter Simon Kramer und meinen Kameraassistenten Michele Cherchi Palmieri verlassen. Wir wussten durch die präzise Vorbereitung genau, was wir brauchten, und konnten uns dann darauf konzentrieren, visuell so zu erzählen, wie es die Geschichte, die Momente und die Atmosphäre erfordern. Ich wollte nicht, dass diese technisch aufwendigen Shots überhandnehmen.
Du hast bei dem Projekt zusätzlich die Farbe und VFX gemacht und warst im Schnitt dabei. Wie wichtig ist es dir, ein solches Projekt rundum zu begleiten?
Ich habe vor und während meines Kamerastudiums als Visual Effects Artist gearbeitet, bei eigenen Arbeiten steht für mich aber immer im Vordergrund, die Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen, zu erweitern, nicht die visuellen Effekte an sich. Bei „Drecks Kleingeld“ gibt es beispielsweise einige Szenen, in denen die Protagonistin vor einer großen Spiegelwand steht. Ich habe die Kamera und die Crew aus dem Shot retuschiert. Das hilft, die Grenzen der Realität zu verwischen und in die Wahrnehmung der Figur einzutauchen. Der Zuschauer nimmt im besten Fall nur unterbewusst wahr, dass etwas nicht stimmt und man ist der Phobie ein Stück weit mehr so ausgeliefert, wie die Protagonistin.
Am Eindrücklichsten für mich aber war die Schnittarbeit, die ich gemeinsam mit der Regisseurin Nicole Huminski machen konnte. Gerade als Kameramann ist es sehr lehrreich, wenn man im Schnitt selbst mit dem Material und seinen Entscheidungen am Set konfrontiert ist. Man fängt schnell an, sehr dramaturgisch und funktional an Szenen heranzugehen und es hilft, eine gewisse Voreingenommenheit bezüglich der Bilder abzulegen. In dieser Auseinandersetzung mit dem Material habe ich am meisten für meine zukünftige Kameraarbeiten gelernt. [15292]