Echtzeit Editing: So montierte Paul Machliss “Baby Driver”
von Redaktion,
Der britische Regisseur Edgar Wright und sein Editor Paul Machliss arbeiten seit den frühen 2000ern zusammen. Beim Dreh der aktuellen Kollaboration „Baby Driver“ saß Machliss samt Avid Media Composer direkt am Set. Warum der Editor das machte und wie die Musik am Set eingesetzt wurde, erzählt er uns im Interview.
Paul, du stammst ursprünglich aus Australien. Was war dort dein Start in die Branche?
Meine Faszination für die Branche begann, da war ich sehr jung, fünf oder sechs. Mein Vater war Produzent und Texter bei einer Werbeagentur. Ich war bei Radio-Aufnahmen oder im Scheideraum dabei und war fasziniert davon, auch wenn ich nicht verstand, was da vor sich ging. Ich wusste nur, davon wollte ich ein Teil sein! Nach dem Secondary College (Anm. d. Red.: Australiens High School) habe ich ein Praktikum bei einem TV-Sender in Melbourne bekommen. Nach einer Woche haben die mir einen Job angeboten. Ich habe im Studio gearbeitet, dann in der Aufzeichnung, schließlich als Online-Editor, damals noch mit analogen Ein-Zoll-Videorekordern. Ich habe nie eine Ausbildung gemacht, habe mich tatsächlich von unten hoch gearbeitet. Ich war enthusiastisch, habe mir verschiedene Werkzeuge selbst beigebracht, und vor allem viele, viele Filme und Fernsehshows angesehen, Comedy, Drama, all das!
Wie hast du Edgar Wright kennen gelernt?
Als ich vor 21 Jahren nach London zog, arbeitet ich als Online-Editor in einem Posthouse. Ein Job kam rein, das war das Onlinen des Schnitts von einer Sitcom namens „Spaced“, inszeniert von einem sehr jungen Mann, der hieß Edgar Wright. Er kam vorbei und wir verstanden uns sehr gut. Ich machte dann die erste Staffel. Zwischen der ersten und der zweiten hat mich der Job dort aber sehr frustriert. Ich wollte nicht mehr die Schnittarbeit anderer Leute fertig machen. Also habe ich den gut bezahlten Job an den Nagel gehängt und bin Freelancer geworden. Und während der zweiten Staffel rief dann Edgar an. Sein Editor konnte die Serie nicht fertig schneiden, ob ich Zeit habe. Das war der Anfang zu meinen ersten, großen Comedyjob.
Hast du auch von Vorbildern gelernt?
Keine direkten Vorbilder. Ich bin beeindruckt von der Arbeit so vieler Leute. Ich liebe die Schnittarbeit in den Filmen von Stanley Kubrick. Und der Editor, dessen Arbeit ich am meisten verehre, den gibt es als Person gar nicht. Sein Name ist Roderick Jaynes. Das ist das Pseudonym, unter dem die Coen-Brothers ihre Filme selbst schneiden. In ihren Filmen sah ich als Jugendlicher erstmals, wie der Schnitt einen Witz transportieren konnte, dass er genauso, wie Dialog und Schauspiel Teil des Witzes war.
Diese Art, die Punchline zu liefern kennt man auch sehr von Edgar Wright. Teilt er diese Liebe zu den Coens?
Absolut! Das ist einer der Zufälle unserer Freundschaft, dass auch in Edgars Top-Five-Films einer der ersten Coen-Filme ist: „Raizing Arizona“. Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb wir uns so gut verstehen.
Du hast dann viel Fernsehen gemacht, vor allem Comedy, wie „Spaced“, die großartige „Black Books“ und auch „IT Crowd“. Was unterschiedet diese Arbeit von der beim Film?
Die unterschieden sich sehr. Das war eine gute Zeit, um zu lernen und an meinen Comedy- und Editing-Fähigkeiten zu arbeiten. Es war ein großes Glück, um die Jahrtausendwende herum an diesen grandiosen Comedyserien arbeiten zu können. Der große Unterschied beim Film ist, dass du sechs oder sieben Monate hast, um 100 Minuten an Film fertig zu stellen. Beim Fernsehen hast du Glück, wenn du eine Woche kriegst, um 30 Minuten zusammen zu stellen. Das braucht große Disziplin, um fähig zu sein, so schnell Dinge möglich zu machen – und gleichzeitig das Qualitätslevel hoch zu halten. Das war eine tolle Lernphase, in der ich das Glück hatte, an Serien zu arbeiten, über die heute noch gesprochen wird, die viele hoch kreative Autoren und Regisseure hatten.
Ich drücke mal den Vorspulknopf. Deine neueste Arbeit mit Edgar Wright ist „Baby Driver“. Besonders war hier, dass du während des Drehs am Set geschnitten hast. Das war aber nicht das erste Mal, oder?
Allerdings! Jonathan Amos, mein Co-Editor bei „Baby Driver“, stieß bei Edgars „Scott Pilgrim vs. The World“ zum Team. Als wir zurück kamen, um die Nachdreh zu machen, fragte Edgar, ob wir nicht Lust hätten, direkt an den Drehort, nach Toronto zu kommen und am Set, die gedrehten Einstellungen direkt in den fertigen Film einzusetzen. Technisch war das damals etwas schwierig, aber wir haben es hinbekommen. Bei „The World’s End“ haben wir das bei den Kampfszenen gemacht. Das war eine wirklich tolle Erfahrung und hat zur Authentizität der Szenen beigetragen.
Und wie war es bei „Baby Driver“?
Ich hatte Edgar schon vier Jahre lang immer wieder bei Sequenzen zur Vorbereitung von „Baby Driver“ geholfen. Irgendwann sagte er, es wäre doch großartig, wenn ich einfach die ganze Zeit ans Set käme. Tatsächlich war ich dann fast jeden, einzelnen Tag am Set! Nicht in einem Trailer oder abseits in einem Editing-Zelt – vorne in der ersten Reihe! Ich hatte einen Rollwagen, den ich herumschieben konnte und habe auf einem Laptop gearbeitet. Das war sehr intensiv und anstrengend. Aber als wir nach London zurück kamen, wussten wir genau, das würde alles funktionieren!
Edgar macht oft Musik zu einem immanenten Teil der Szene. Bei „Baby Driver“ hört der Protagonist durchgehend Musik auf seinem iPod. Habt ihr mit Musik am Set gearbeitet?
Tatsächlich haben wir das! Das ist so wichtig für den Film, da haben wir nichts dem Zufall überlassen. Das kann man nicht erst im Schnitt zum Funktionieren bringen. Wir hatten ein kompliziertes System, mit dem wir die Musik in die Kopfhörer der Schauspieler speisen konnten. Auch Edgar hat dauernd Musik auf seinen Kopfhörern gehabt, damit er die Szenen mit der Musikuntermalung hören konnte. Alle Schauspieler haben mit der Musik geprobt, das ging schon bei der Zusendung des Drehbuchs los. Sie haben das Skript auf einem Tablet bekommen. Neben der Szene war dann ein Symbol, auf dass sie klicken konnten und dann wurde der Song abgespielt. Auch die gesamte Crew kannte die Lieder und ihre Einsätze.
Es sind rund 30 dramaturgisch eingesetzte Lieder in „Baby Driver“. Standen die alle fest oder gab es da Spielraum für Ideen?
Bei einem Projekt dieser Größe musst du früh genau wissen, was du willst. Edgar hatte schon im Skript alle Lieder festgelegt. Schon in der ersten Fassung vor fünf, sechs Jahren. Wir hatten eine tolle Music Supervisorin Kirsten Lane. Bevor wir auch nur eine Einstellung gedreht haben, hat sie mit enorm viel Aufwand die Rechte aller Lieder besorgt.
Wie habt ihr die Musik eingesetzt?
Jeder Song hat einen Zweck. Manchmal fungieren diese Lieder als Score, manchmal funktionieren sie als Kommentar, als Erläutern des Geschehens. Wir benutzen einen Song namens „Tequila“. Er läuft in den Kopfhörern des Protagonisten Baby. Die Szene eskaliert in einer Schießerei. Unglaublicherweise ist diese Schießerei synchronisiert zu einem Schlagzeug-Solo, das mitten im Song ist. Eigentlich hört nur Baby dieses Lied, aber irgendwie spielt plötzlich das ganze Universum um ihn herum im Takt des Drum-Solos. Das ist Teil der Magie dieses Films. Die Musik ist eine Hauptfigur in „Baby Driver“.