Eduard Grau hat für sein junges Alter von 36 Jahren schon ein erstaunlich breit gefächertes Portfolio aufgebaut. Jens Prausnitz sprach ihm auf dem Camerimage-Festival 2015 über seinen Einsatz von 16 mm bei “Suffragette” und die Arbeit am Stalkerthriller “The Gift”.
Wer einmal die Gelegenheit hatte, Eduard Grau bei einem Q&A oder Workshop zu treffen, der wird ihn zweifelsfrei als rundum sympathisch, energiegeladen, aufgeweckt und humorvoll erlebt haben. Ihn sich dabei ein bisschen wie Antonio Banderas vorzustellen, erweist sich auch hinsichtlich seines spanischen Akzentes wegen als hilfreich. Der Akzent war es auch, der es mir wiederum ermöglichte, mir wegen meines eigenen bei unserem Gespräch keine unnötigen Sorgen zu machen. Frei von der Leber weg stürzten wir uns dann in seine turbulente Filmografie, mit der man kaum Schritt halten kann, in so einem Tempo erscheinen neue Filme dieses temperamentvollen Kameramannes, dessen ungebrochene Neugier einen aus den Augen entgegen funkelt.
Ich erinnere mich noch daran, wie Sie “A single man” auf dem Camerimage-Festival vorgestellt haben. Diesmal habe ich “Suffragette”, der im Wettbewerb lief, leider verpasst, aber immerhin den Trailer am Panavision-Stand gesehen – wie haben Sie sich dem Look genähert?
“Suffragette” ist die unglaubliche Geschichte der Suffragetten- Bewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts. Für mich war es sehr wichtig auf Film zu drehen, da man als Zuschauer gut 80 Prozent des Films mit Frauen verbringt, außerdem ist es ein historischer Film mit vielen Szenen bei Tageslicht. Also habe ich versucht die Produzenten davon zu überzeugen auf Film zu drehen, die aber an einem gewissen Punkt meinten, wir könnten nicht auf 35 mm drehen, und so entwickelte sich daraus eine regelrechte Obsession bei mir, weil ich wusste, dass Film das richtige Werkzeug für diesen Job ist.
Dann überlegten wir, vielleicht auf 16 mm zu drehen und da wurde uns bewusst, wie viele großartige Filme schon auf 16 mm gedreht worden sind. Ich denke sogar, dass kein anderes Format einen so guten Mittelwert an guten Filmen hervorgebracht hat. Mir war klar, dass auf 16 mm zu drehen eine sehr starke Entscheidung ist, man bringt damit eine Haltung zum Filmemachen zum Ausdruck, da man sich nicht an Normen hält, gegen Konventionen verstößt und eine starke ästhetische Entscheidung trifft. Genau das zeichnet gute Filme aus, und das verhalf uns dann am Ende zum Durchbruch. Wir machten Tests und es war faszinierend zu beobachten, wie gut 16 mm aussehen kann, wenn man ein bisschen trickst.
Zum Beispiel?
Wir haben das Kodak 250 Daylight Material um anderthalb Blenden unterbelichtet und mit scharfen Objektiven gedreht, was genau dem Look entsprach, den wir wollten: Kremig, entsättigt, weich, schwarz. Bei unseren Tests fanden wir auch heraus, dass Kodak 500T Material unseren Ansprüchen für die Nachtszenen nicht genügte, die drehten wir daher auf der ARRI Alexa. Das ermöglichte uns, mit ISO Werten bis 1200 zu drehen und einige Szenen alleine mit Kerzenlicht auszuleuchten, was sehr interessant war.
War das kein Problem im Grading zu matchen?
Natürlich muss man da vorsichtig sein. Wir haben bei einigen der mit der Alexa gedrehten Szenen Korn hinzugefügt und es gleichzeitig bei anderen aus dem 16 mm Material herausgerechnet, so dass es zusammenpasst. Die Farbangleichung erweist sich als größeres Problem, da habe ich es nicht so präzise getroffen, wie es möglich gewesen wäre. Das Schöne am 16 mm Material war, dass es so gut zu unseren unkonventionellen mutigen Frauen passte. Sie waren so tapfer und trafen dabei so schwerwiegende Entscheidungen, genauso wie es für uns und die Produktion eine war, auf 16 mm zu drehen.
Darum war es sehr zweckmäßig, sich dafür entschieden zu haben, es fühlte sich wahrhaftig für diese Geschichte und ihre Charaktere an und sah genauso aus wie ich es mir vorgestellt habe. Ein schöner Nebeneffekt beim Dreh auf 16 mm war, dass man plötzlich mit der ergonomischsten Kamera arbeitet, die es auf dem Markt gibt, der 416 von ARRI. Es war so leicht, damit zu arbeiten und hat gleichzeitig so viel Spaß gemacht. Ein kleines Zoom-Objektiv, keine Kabel, keine riesigen Batterien und ein Zwölf-Minuten-Magazin – es war großartig! Sehr praktisch und schnell, man fühlte sich frei und glücklich damit. Es war eine befreiende Erfahrung.
Das klingt so, als sei sehr viel aus der Hand gedreht worden.
Pausenlos, ja, die ganze Zeit. Ich würde sagen 95 Prozent des Films sind Handkamera und auch das war genau die richtige Wahl. Als ich mich zu dem Dreh von “Suffragette” entschloss wollte ich nicht den klassischen britischen Historienfilm drehen, den alle erwarteten. Das wird manche Zuschauer vielleicht enttäuschen, weil er nicht ihren Erwartungen entspricht, also sehr komponiert und so, obwohl er das auch ist und doch gleichzeitig das Gegenteil davon, eben chaotisch und energiegeladen, was den Film für mich viel interessanter macht.
Das ist mein Beitrag zu dem Film, dieser Kamerastil und damit auch sein Schnitt entspricht dem Leben, das die Frauen damals gelebt haben. Wir wissen, dass sie sich wie Hipster anzogen und ihre Kinder verloren, allein aus dem Grund, dass sie sich den Suffragetten anschlossen. Sie trafen große Entscheidungen und widmeten sich der Sache, das war kein einfaches Leben, sie litten sehr. Das waren schwere und bewegte Zeiten, vor dem ersten Weltkrieg. Ich finde 16 mm Handkamera erzählt diese bewegende Zeit und Geschichte so, wie sie erzählt werden musste.
Waren andere Filme, die zu der gleichen Zeit spielen, Inspiration für den Look?
Um ehrlich zu sein, ich habe noch keinen Historienfilm gesehen, der auf 16 mm und in diesem Stil gedreht worden ist. Darüber hinaus gab es für mich drei Inspirationsquellen für den visuellen Stil von „Suffragette“: Einmal die „Bourne-Ultimatum“-Filme mit ihrer Kameraarbeit, dann von Harris Savides fotografierte Filme, besonders sein Beleuchtungsstil, auch die Idee zur Unterbelichtung hab ich ihm entlehnt, und die dritte Quelle war der Fotograf Saul Leiter, sowohl seine frühen Arbeiten wie auch seine Farbfotografien aus den 50er und 60er Jahren. Wunderschöne Fotografien von einem Fotografen, der viel mit Texturen arbeitete, toll mit Farben umging und gerne Elemente im Vordergrund platzierte. Wann immer er etwas ansieht, wie er kadriert, immer ragt noch etwas ins Bild was ihm Tiefe verleiht, ein Gefühl für den Raum.
Wie war es im Vergleich dazu mit „Suite Française“ – der nicht nach 16 mm aussieht und wie so viele Filme hier im Kontext des 2. Weltkriegs angesiedelt ist?
„Suite“ ist auf 35 mm gedreht. Ein für mich wichtiger Film, wahrscheinlich der Größte hinsichtlich des Budgets, den ich bisher gedreht habe. Ein großer Schritt für mich, einen während des 2. Weltkriegs angesiedelten Film zu drehen, eine irgendwie romantische und epische Reise, noch dazu mit einer meiner Lieblingsschauspielerinnen, Michelle Williams. Auch Kristin Scott Thomas und Matthias Schoenaerts sind fantastisch. Eine umwerfende Besetzung, und für mich war es wieder wichtig auf Film zu drehen, mit Panavision-Ultra-Speed-Objektiven der „Z“ Serie, und ich bin glücklich darüber ihn in meiner Filmografie zu haben, egal ob ihn die Leute mögen oder nicht. Meine Kameramann-Freunde, die „Suite Française“ gesehen haben, sagen, es sei der reifste Film, den sie bisher von mir gesehen haben. Er ist eine solide Filmarbeit, mit cleveren Kamerapositionen, die die Geschichte erzählen.
Ich bin sehr zufrieden damit. Vielleicht keine so besondere Welt wie „Suffragette“, nicht so inspirierend, natürlich auch mit anderen Referenzen, viel mehr Romanze und Melodrama wie aus den 1950er Jahren, mit entsprechender Farbpalette. Auch das ist interessant und auf einige der Szenen bin ich sehr stolz. Ein Film, der – und da ist er „Suffragette“ nicht unähnlich – Erwartungen nicht erfüllt und sich während man ihn sieht, als etwas anderes entpuppt.
Also mehr Douglas Sirk als Kriegsfilm?
Ja, genau. Man denkt während der ersten halben Stunde der Film würde sich in eine konkrete Richtung entwickeln, und das ist wahrscheinlich der schlechteste Teil des Films, aber wenn er sich dann entfaltet, um die Charaktere und die Stadt, dann wird die Geschichte viel interessanter als man angenommen hat. Ich bin glücklich damit, es ist kein großartiger Film, aber er ist in Ordnung, man kann ihn ansehen, es gibt etwas darin, das einen bei der Stange hält. Natürlich kann man sagen, dass man etwas in der Art schon gesehen hat, klar hat man das. In der Hinsicht fühlt sich „Suffragette“ viel neuer an. In seiner Ästhetik und hauptsächlich seiner Geschichte erzählt der etwas, das bisher nicht erzählt wurde und wichtig für die Welt ist, weil sie etwas verändert hat.
Kommen wir zu Ihrem nächsten Film: „The Gift“.
“The Gift” ist fantastisch … (grinst). Das ist einer der Überraschungsfilme des Jahres, ein Geschenk für Filmemacher und Kinobesucher gleichermaßen. Auch er ist einer dieser Filme von denen man glaubt sie schon hunderte Male gesehen zu haben, nur wenn man dann drinnen sitzt, dann erkennt man schnell, dass er sich anders entwickelt als man dachte. Er ist nicht so, wie man es nach dem Trailer erwarten würde, er ist ganz anders. Ein Film den alle lieben. Jeder findet ihn interessant, mag die Charaktere, die Geschichte, den Humor, die Spannung und das grandiose Ende. Die Figuren sind umwerfend und gleichzeitig geerdet mit Wiedererkennungseffekt. Jeder findet sich in einer der Figuren wieder, das macht die Sache sehr interessant und zugänglich.
Gedreht haben wir digital und sehr schnell, hauptsächlich nur in dem gleichen Haus, aber ich bin sehr, sehr glücklich damit. Es passiert auch nicht gerade häufig, dass man einen Film macht, der gut beim Publikum ankommt, den gleichzeitig die Kritiker lieben, und obendrein bei den Einnahmen überzeugt. In den Staaten hat er 43 Millionen eingespielt, bei einem Film, der nur fünf Millionen gekostet hat – all das zusammen ist mir noch nie passiert, bei keinem der Filme an denen ich beteiligt war.
Das war also eine angenehme Überraschung für mich, eine Freude einen Film gemacht zu haben, über den Menschen noch immer reden, fünf Monate nachdem sie ihn gesehen haben. Ich begegne immer noch Leuten die sagen “Oh “The Gift” geht mir nicht aus dem Kopf!“ Das ist einer der Filme, den man auch noch in zehn Jahren ansehen wird, weil er einen auf eine unterhaltsame Reise mitnimmt. Das passiert nicht bei so vielen Filmen, dass sie einen auf eine gute Art überraschen, in sich geschlossen und von vorne bis hinten solide sind.
Ich freu mich auch sehr für Joel (Edgerton, Regisseur und Autor von “The Gift”), denn er hat sehr hart daran und gegen viele Widerstände gearbeitet, um einen sehr kleinen Film zu erzählen – und uns ist etwas gelungen, das man gut ansehen kann und einen unterhält. Visuell war “The Gift” eine ganz andere Herausforderung, digital gedreht, auf der Alexa mit Canon K35 Objektiven, ein recht dunkler Film, der sich modern anfühlt und doch etwas Klassisches an sich hat. Ein psychologischer Thriller mit Kamerafahrten, langsamen Bewegungen, mit diesem Rätselgefühl.
Hitchcock-mäßig?
Ja, ein Hitchcock-Gefühl stellt sich ein, das war sehr unterhaltsam. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Kameraarbeit in dem Film, weniger glücklich bin ich mit der Lichtsetzung, da hätte ich besser sein können.
Waren es vielleicht zu wenige Drehtage?
(lacht) Nein, ich meine dafür gibt es keine Entschuldigung, ich hätte besser sein müssen und fertig. Am Ende des Tages sind wir die Bildgestalter und in der Funktion ist es mir am wichtigsten gute Filme zu machen. Ob gute oder schlechte Filme, ich werde zufrieden sein, wenn sie gut aussehen. Wenn man einen richtig guten Film pro Jahr machen könnte, wäre ich sowas von glücklich und das passiert so selten.
Ich habe 13 Spielfilme gedreht, von denen nur drei oder vier wirklich gute Filme sind. Und ich kann mich glücklich schätzen, dass sie es sind, das ist ein guter Mittelwert, und dennoch: Es ist so schwer richtig gute Filme zu machen, sie sind so schwer zu finden. Als Bildgestalter versuche ich mein Bestes zu geben und ich bin stolz auf mich, wenn es gelingt, denn für mich gibt es nichts Wichtigeres als gute Filme zu machen.
Vielleicht ist das auch eine Frage nach den Teams mit denen man zusammenarbeitet, mit denen man dann gemeinsam künstlerisch wächst?
Ja, natürlich! Das ist auch wichtig, als Team zusammenarbeiten, Filmemachen ist Teamarbeit. Definitiv jede einzelne an dem Projekt beteiligte Person muss auf eine Art und Weise mit den anderen interagieren, so dass ein guter Film dabei herauskommt, das Drehbuch, die Schauspieler, der Regisseur, der Cutter, die Musik – jedes einzelne Element ist wichtig. Aber ich glaube auch, dass Zufall eine Rolle spielt. Selbst wenn nur die besten Leute miteinander arbeiten, was selten genug passiert, kommt am Ende nicht automatisch ein großartiger Film dabei heraus.
So fantastisch Coppola, Spielberg oder Wes Anderson sind – selbst ihnen gelingt nicht jeder Film. Das ist eine Seltenheit. Filmemacher, die mehr als drei Meisterwerke geschaffen haben, sind sehr, sehr rar. Selbst jene, die 20 Filme und mehr gedreht haben. Wenn ich mir eines Tages die Aufgabe stellen würde wahre Meisterwerke von Regisseuren herauszusuchen, dann werden dabei glaube ich nicht mehr als drei herauskommen, auf deren Konto mehr als vier Meisterwerke gehen. Es ist schon so verdammt schwer überhaupt einen guten Film zu machen, entsprechend schwerer verhält es sich mit Meisterwerken. Ich weiß es nicht, das ist eine schwere Sache.
So viele Elemente spielen eine Rolle, die etwas herausragend und gut machen, während es so leicht ist alles in den Sand zu setzen, darum gibt es ja im Schnitt so wenige gute Filme, das ist richtig deprimierend, wenn man mal darüber nachdenkt! (lacht) Es ist sehr wahrscheinlich, dass man ins Kino geht und bei zehn Versuchen nur einmal einen guten erwischt. Das ist ganz schön niederschmetternd.
Gleichzeitig werden TV Serien immer besser und laufen dem Film fast den Rang ab.
Und man hat viel mehr Gelegenheit etwas Gutes abzuliefern, so ist das Leben. Das ist jetzt eben so, wer weiß wie lange das so bleibt.
Und das Pendel zurückschwingt?
Ja, genau. Wir werden sehen.
Steht denn eine erneute Zusammenarbeit mit Tom Ford (Regisseur von „A single Man“) in Aussicht?
Nein, Tom Ford hat gerade seinen neuen Film abgedreht, mit Seamus McGarvey hinter der Kamera. Es ist schade, dass ich ihn nicht habe drehen können, gleichzeitig verstehe ich es, dass Tom bei einem größeren Projekt mit größerem Budget einen bekannteren Kameramann haben wollte, der ich leider nicht bin – noch nicht. Hoffentlich werde ich eines Tages einer sein, aber noch bin ich nicht so gut wie ich gerne wäre. Manchmal spielt uns das Leben eben einen Streich.
Kommen wir noch auf „Trespass Against Us“ zu sprechen.
„Trespass Against Us“ ist ein Film von Adam Smith und ist sein Debütfilm. Ich hab überhaupt viele Debütfilme gedreht, denn „The Gift“ von Joel Edgerton war auch einer. Adam Smith war lange Zeit für die Visuals der Chemical Brothers verantwortlich und das ist jetzt sein erster Spielfilm. Geschrieben wurde er von Alastair Siddons und basiert auf einer wahren Geschichte. Sie dreht sich um irische „Zigeuner“ die Häuser ausgeraubt und die Polizei an der Nase herumgeführt haben, mit Verfolgungsjagden, Polizeifahndung und solchen Sachen. Die Hauptrolle spielt Michael Fassbender, und Brendan Gleeson ist dabei. Wieder eine großartige Besetzung. Wahrscheinlich kommt er erst Anfang 2016 heraus, weil gerade zu viele Michael- Fassbender-Filme auf einmal erschienen sind (lacht). Der Film ist fertig und sehr unterhaltsam, es macht Spaß ihn zu sehen und ich bin sehr froh damit. Kein Meisterwerk, aber ein ordentlicher Film den ich mag, komplett anders als alles, was ich bisher gemacht habe, ein völlig anderer Stil.
Sie experimentieren also noch?
Ja, ich war immer der Ansicht, dass Experimentieren und Sachen ausprobieren der Weg ist, um etwas Besonderes zu finden. Sonst tritt man auf der Stelle und beginnt sich zu langweilen. Ich finde es immer noch aufregend Filme herauszubringen, Filmemachen ist immer Spaß.