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Die Postproduktion der dritten Staffel von „How to Sell Drugs Online (Fast)“

Emotion auf dem Schirm

Die innovative Nutzung von On-Screen-Elementen als erzählerisches Mittel brachte „How to Sell Drugs Online (Fast)“ einen Grimme-Preis ein. Die Postproduktion war hier das Schlüsselgewerk. Im Gespräch erzählten uns Editor Rainer Nigrelli und VFX Supervisor Julian Schleef für unser Heft 9.2021, wie sie die dritte Staffel umsetzten und warum kurze Wege für Innovation förderlich sind.

VFX Supervisor Julian Schleef (li.) und Filmeditor Rainer Nigrelli vor einem Container mit btf-Aufdruck.
VFX Supervisor Julian Schleef (li.) und Filmeditor Rainer Nigrelli (Foto: Florian Böttger)

Moritz Zimmermann sitzt am Küchentisch. Lustlos montiert er am Vorstellungsvideo seines Projekts mit Freund Lenny herum, schreibt parallel eine Mail an seine Ex-Freundin und futtert Stapelchips, die er unter Einsatz seines Zeigefingers auf der Tischplatte in verzehrfertige Dimensionen bringt. Da kommt eine Mail: Moritz hat das Auslandsstipendium nicht bekommen. Er seufzt, startet die Playlist „Life sucks“. Die nächste Nachricht geht an Lenny. Der ist offensichtlich noch sauer, dass Moritz das Geld für ihr Projekt verbraten hat, denn er schickt einen Emoji: Den erhobenen Mittelfinger. Moritz denkt kurz nach, wechselt dann zur Playlist „Wild and free“ und benennt den Ordner des Gamingprojekts um. Dieser heißt jetzt „MyDrugs“. Damit startet Moritz den Darknet-Drogenshop, der sich als roter Faden durch drei Staffeln „How to Sell Drugs Online (Fast)“ ziehen wird.

Erzählerische Elemente

Das Verblüffende an dieser Sequenz aus der zweiten Folge der Staffel 1: Sie entstand fast komplett in der Postproduktion in Premiere Pro und After Effects – und vor allem in den Gehirnen des Editing- und VFX-Teams. Das Editing-Team bestand aus den Filmeditoren Marc Schubert, Christoph Cepok und Alex Kutka in der ersten Staffel, David Wieching und Christoph Cepok für die zweite und Anton Korndörfer sowie Florian Böttger für die dritte Staffel.

Filmeditor Rainer Nigrelli war mit dem Team der ersten Staffel beim Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Bester Schnitt Fiktion” nominiert. Er war übergreifend an allen drei Staffeln beteiligt. Laut Rainer Nigrelli hat gerade der wichtige Workflow zwischen VFX und Editing optimal funktioniert. Neben Post-Supervisorin Marie Krommes, die seit der zweiten Staffel an Bord ist und von Anne Urban übernommen hatte, war vor allem VFX Supervisor Julian Schleef durchgängig mit dabei und konnte auf seine jahrelange Erfahrung in zahlreichen Projekten der Kölner Produktionsfirma Bildundtonfabrik (btf) unter anderem beim „Neo Magazin Royale“ aufbauen. Hier musste er von Woche zu Woche neue Lösungen für ausgefallene Ideen von Autoren und Producern finden.

Zwei Screenshots mit On-Screen Elementen, die Chats zeigen.
Erzählerische Elemente: Overlays kombiniert mit Figurenreaktionen (Screenshots:Netflix)

Das Besondere an der Sequenz in Folge 2 der ersten Staffel: Das Team um Nigrelli und Schleef hatte die Freiheit, erzählerische Elemente zu erfinden. Diese wurden natürlich in Kooperation mit Showrunnern, Autorenteam und der Regie abgestimmt, doch der Initialschritt lag bei ihnen. Wenn man ab Minute 13 ganz genau hinsieht, merkt man, dass das tatsächlich gedrehte Material mit Schauspieler Maximilian Mundt nur wenige Sekunden lang ist. „Gucken und Programmieren – mehr gab es nicht als Regieanweisung“, sagt Editor Rainer Nigrelli. Im Gegenschuss gab es den Laptop, so war der Bildschirm vom Postteam bestimmbar. „Das war natürlich super viel Arbeit, aber auch eine Riesenbefreiung, da auf diesen Bildschirm projizieren zu können, was man möchte.“

Die Vision, eine Geschichte über Teenager zu erzählen, die vor allem auf Smartphone- oder Laptopbildschirmen oder in den Chatfunktionen bekannter Internetplattformen stattfindet, war ein schwieriger Lernprozess, der sich über die gesamte erste Staffel hinwegzog. „Nachdem das alle verstanden hatten, konnte man damit als Tool auch sehr viel besser arbeiten“, so Schleef. Der Schlüsselmoment war am Ende der Dreharbeiten der ersten Staffel, als der Pilot im Rohschnitt volag – ein Aha-Moment für das gesamte Team.

Screen Content Unit

In der zweiten Staffel wurde die Gestaltung dieser Elemente weiter ausgebaut. Michael Rizzi bekam Verstärkung durch Sebastian Drews und vor allem kümmerte man sich darum, die am Set vorhandenen Assets auch in der Post besser nutzen zu können. „Wir haben die Contents in ProtoPie, der Prototyping-Software, so gebaut, dass diese bereits am Set interaktiv verwendet werden konnten“, erläutert Michael Rizzi. „Das ermöglicht Schauspielern und Regie den Kontext von dem, was da auf dem Screen passiert, viel besser einzuschätzen, als wenn sie einfach nur auf einem grünen Screen herumklicken würden. Und es spart uns idealerweise einige VFX-Shots. Die erstellten Contents wurden dann auch zum Dreh von Inserts, und in After Effects zum Erstellen der Close-up- und Makro-Shots verwendet.“

Video-Timeline aus Adobe Premiere Pro mit vielen Elementen.
Timeline der ersten Episode der dritten Staffel „A Single Failure, a Little Slip“ (Screenshot: Bildundtonfabrik GmbH)

In den Prozess des Drehbuchscannens ist neben Showrunner Matthias Murmann vor allem auch Julian Schleef eingebunden. Das Team überlegt also, was auf einem Screen im Bild zu sehen sein wird, was als Overlay eingeblendet und was als Vollbild gezeigt werden soll. „Wir haben das schon versucht, ziemlich konkret aufzulösen“, so Schleef. „Aber in vielen Fällen läuft es doch darauf hinaus, dass man sich mehrere Optionen offenhalten muss, deswegen wird das meiste vorgebaut als Screencontent vor der Produktion.“

Für die dritte Staffel stand dann ein fast komfortabler Workflow zur Verfügung. Die Screen-Content-Unit bereitete die Assets für das Set vor. So waren bespielbare Mockups am Set möglich, die abgefilmt, nach der Einstellung resettet und neu live befüllt werden konnten. Diese konnten dann eins zu eins in die Post gegeben werden und standen so in einer dort verwertbaren Form zur Verfügung. „Dementsprechend hatten wir diesmal für den Schnitt schon sehr viele Elemente vorbereitet, mit denen man im Schnittprozess weiterarbeiten kann.“ Viele der Assets entstanden als Mock-Up zunächst in einer Adobe-Photoshop- oder Adobe-Illustrator-Datei. Die für das Arbeiten am Set sehr wichtige Interaktivität stellt das Prototyping Tool ProtoPie bereit. Da die Rollen Moritz und Lenny viel coden, waren mehrere IT-Experten als Berater im Team. Diese stellten sicher, dass der Code auch Sinn ergibt. In IT-Foren auf der Plattform Reddit wurde das tatsächlich auch gewürdigt.

Ein Laptop mit Coding-Elementen.
Mit dem Prototyping-Tool ProtoPie konnten ganze Coding-Sequenzen auf dem Laptop simuliert und immer wieder abgerufen werden. (Screenshot: Bildundtonfabrik GmbH)

Montage

Julian Schleef und Rainer Nigrelli betonen, dass es nicht damit getan ist, die Bildschirme einfach direkt abzubilden. „Wenn man das einfach nur abfilmt, ist das ziemlich langweilig“, so Julian Schleef. Hier ist die ganze Kunst der Editoren gefragt, Informationen gezielt und dramaturgisch präzise auf den Punkt zu bringen – und dabei spannend zu erzählen. Oft schreibt sich auch im Drehbuch das eine oder andere einfacher, als es dann tatsächlich zu inszenieren ist, vor allem, wenn es um die Vermittlung von Emotionen der Figuren über die Nachrichten auf dem Schirm geht. Für die dritte Staffel war es Editor Rainer Nigrelli besonders wichtig, sich nicht zu wiederholen. Bei einer Serie bliebe es nicht aus, dass es ähnliche Szenen gibt und auch ähnliche Mechanismen schon verwendet wurden. „Und die möchte man natürlich nicht 1:1 wieder abrufen, sondern möchte dem etwas Neues hinzufügen.“

Wie stark die Gestaltungsideen aus dem Schnitt auch wiederaufgenommen werden, zeigt sich an einem schönen Beispiel aus der zweiten Staffel. Hier ist die Figur Maarten im Auto unterwegs. „Und wir merken, die Szene funktioniert irgendwie noch nicht“, erinnert sich Rainer Nigrelli. Der Editor hatte die Idee, Maarten könne das Radio anstellen und etwas summen. Kollege Christoph Cepok wählte als Song einen trashigen Eurodance-Song aus und Assistent Lukas Smiatek summte
diesen als Layout für die Schnittfassung ein. Auch wenn dies so nicht inszeniert worden war, ließ sich eine Handbewegung Maartens als Radioeinschalt-Impuls nutzen und das Summen konnte man den Bildern von Schauspieler Ruben Brinkmann glaubhaft „unterjubeln“. „Und auf einmal ändert das die Tonalität der Szene“, sagt Nigrelli. Es freute das Editingteam dann ganz besonders, als sie im Drehbuch zur dritten Staffel bei einer erneuten Autofahrt Martens lesen durften: „Maarten macht sich einen Eurodance-Song an.“

Picture Lock vs. Picture Hold

Wenn man Schleef und Nigrelli auf den Picture Lock anspricht, werden die beiden sehr vage. „Wir nennen es eher ,Picture Hold‘“, sagt Julian Schleef. Natürlich gibt es einen offiziellen Picture Lock, auch seitens Netflix gibt es diverse Abnahmetermine, die auch die Bildundtonfabrik nicht einfach abschaffen kann. Dennoch steht hier das gesamte Team dahinter, im Zweifel die beste Idee umzusetzen. Das bedeutet, dass eigentlich ständig weiterentwickelt wird. „Von der kreativen Seite kommend, weiß ich, dass das bei uns nie Änderungen sind, die passieren, weil jemand jemanden ärgern will oder weil Dinge nicht rechtzeitig feststanden“, so Julian Schleef. Es gehe immer darum, das Bestmögliche für die Erzählung herauszuholen. Das weiß mittlerweile auch Netflix zu schätzen. Diese Arbeitsweise der Bildundtonfabrik ist einmalig am Markt, da sind sich die beiden Postproduktionskollegen einig.

Rainer Nigrelli ist Freelancer und arbeitet auch für andere Auftraggeber. „Was Netflix einem ermöglicht in der Postproduktion und was die BTF einem ermöglicht, das kenne ich so von keiner anderen Produktionsfirma“, sagt Nigrelli. Julian Schleef ist bei der Bildundtonfabrik fest angestellt. „Ich merke es, wenn wir mal Projekte mit anderen Partnern zusammen machen, dass es doch ein ganz anderes Verständnis davon gibt, was für eine Rolle die Post erfüllt“, so der VFX Supervisor von „How to Sell Drugs Online (Fast)“. „Für uns ist das ein ganz essenzieller Bestandteil des ganzen Prozesses, wo Dinge auch inhaltlich noch massiv geformt werden können.“ Das bildet sich auch im Arbeitsprozess ab. Rainer Nigrelli bemerkt das an den Schnittzeiten: „Ich sehe, dass ich einen normalen Spielfilm nicht so ausführlich schneiden darf, wie bei der BTF eine viel, viel kürzere Serie.“ [14776]

 

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