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Haltung & Kommerz (Teil 1)

Kameradialog: Frederick Gomoll trifft DoP Kolja Brandt

Unsere neue Reihe lässt Kameraleute von der Filmhochschule auf etablierte DoPs treffen. Den Anfang machen Frederick Gomoll, der 2015 die Filmakademie Baden-Württemberg mit dem Sci-Fi-Halbstünder „Kryo“ abschloss. Er trifft auf Kolja Brandt, dessen jüngster Film „Colonia Dignidad“ aktuell im Kino ist.

Brandt und Gomoll im Gespräch
Brandt und Gomoll im Gespräch in den Räumen des Creative Office e.V. in Berlin

Frederick Gomoll: Viele aus der Kamera-Abteilung haben jahrelang als Beleuchter oder Kamera-Assistent gearbeitet und gehen dann noch mal an die Hochschule, weil sie den Schritt zum Kameramann nicht schaffen. Sie haben einfach das Portfolio noch nicht. Da fände ich spannend: Wie hast du dein Portfolio aufgebaut? Du hattest ja nicht den Background der Filmhochschule.

Kolja Brandt: Genau. Ich habe angefangen zu fotografieren. Das war das erste Ziel, ich wollte Fotograf werden. Habe versucht, an den Lette-Verein, die Berliner Fotografenschule, zu gehen, hat nicht geklappt. Und dann bin ich über einen 16-mm-Workshop zum Film gekommen und habe gemerkt: Das ist ja sehr spannend, wenn sich die Bilder noch bewegen! Dort habe ich einen Argentinier kennengelernt, der für das italienische Fernsehen gearbeitet hat.

Dann bin ich dort als Praktikant untergekommen. Und wir haben denen als Praktikanten 24/7 zur Verfügung gestanden, haben das irgendwann alleine gewuppt, Kamera, Ton, Schnitt – auf Betacam SP. Wir haben dann zwei, dreimal in der Woche Beiträge gemacht, die nach Italien geschickt wurden.

Damit habe ich dann Geld verdient, mit Sportjobs, Eishockey, da habe ich schwenken gelernt. Ich hatte immer die Kamera auf der Schulter, die ist dann irgendwann rein gewachsen. (lacht) Fernsehinterviews zu drehen ist ein wahnsinniges Training für’s Operaten! Für mich ist das ganz schwer, einen Kamera-Operator zu finden, der diese Qualität in der Handkamera hat.

Film&TV Kameramann: Wie kam der Kontakt zur DFFB?

Kolja Brandt: Ich hatte an der DFFB Freunde und dann habe ich mit denen einfach Filme gemacht, erst als Focus Puller und Beleuchter, später als Kameramann. Die haben mich als Kameramann akzeptiert, weil ich schon viel mehr Kameraerfahrung hatte, als viele, die dort waren. Da waren eher Künstler und Akademiker, die sich da versammelt hatten, Mitte der 90er. Da habe ich für viele dort Kurzfilme gedreht, hatte innerhalb von zwei Jahren auf einmal zehn Kurzfilme auf der Rolle. Und dann kam Hermann Joha an die Schule und hat „Der Clown 2“ vorgestellt. Und der sagte, schickt mir eure Bänder, ich baue gerade eine Firma auf. Und dann hat er mich persönlich angerufen, eine Woche später: „Komm nach Köln, Du kannst hier bei mir Action machen.“

Dann habe ich das zwei Jahre gemacht, als DP der Action von „Cobra 11”. Ich bin 2000 wieder weg da, als mein Sohn geboren wurde. Und dann ist in Berlin der Musikvideoboom losgegangen. Zwei, drei Jahre, drei Clips im Monat gedreht. 16-mm- Material ohne Ende, und dann kam die Werbung. Und mit der Werbung kam Detlev Buck mit „Knallhart“. So ist der Weg auch oft in Amerika, ich glaube, fast alle Spielfilm-DPs drehen auch Werbung. Hier gibt es wenige, die Commercials und Kino machen. Und ich bin jetzt nicht mal einer der top Commercial-Kameraleute, wie zum Beispiel Martin Ruhe oder Franz Lustig, die beide schon seit Jahren international arbeiten.

Frederick Gomoll: Das spüre ich auch als Abgänger im ersten Jahr am Markt. Man muss sich schon ein bisschen entscheiden. Klar, für mich ist die Entscheidung, erst mal in die Werbung zu gehen. Dadurch kann ich in kurzer Zeit unterschiedliche Projekte durchlaufen und mit vielen Regisseuren arbeiten. Jetzt auf einen Spielfilm zu warten kann dauern. Da gibt es auch Leute von der Hochschule, die haben dort auch nur Spielfilm gemacht und könnten gar nicht in die Werbung gehen – die haben es schwer.

Kolja Brandt: Als ich 2003 angefangen habe in der Werbung, da gab es auch schon die Koriphäen wie Cico Nicolaisen, die halt Autowerbung rauf und runter gedreht haben. Ich habe das leider immer wieder erlebt, die waren irgendwann aus der Mode. Cico hat das große Glück gehabt, diesen Oscar-Kurzfilm „Spielzeugland“ zu drehen. Es rücken die ganze Zeit wahnsinnig viele gute, qualifizierte Leute nach. Ich habe ja viel Werbung mit Philipp Stölzl gedreht. Und da kamen dann auch schon Kommentare: „Ja, Brandt/Stölzl, das sind so Werbe-Urgesteine.“ (lacht) „Urgesteine“? Seid ihr bescheuert? Mit Philipp habe ich immer wieder in unseren Musikvideos Dinge ausprobiert und anders gemacht als vorher. Das war immer sehr kreativ.

Film&TV Kameramann: Woher kommt da der Druck? Aus der Agentur?

Kolja Brandt: Ja, aus den Werbeagenturen. Da sind halt viele so hipster-mäßig unterwegs, die wollen dann auch die Hipster-Kameramänner. Ich glaube, das ändert sich, wenn du auf dem Level von Franz Lustig bist. Jemand wie Chivo Lubezki, der kann nach seinen zwei Oscars 70 sein, und der wird noch die Top-Commercials drehen. Auf meinem Niveau kann man schnell weg vom Fenster sein. Ich glaube, im Spielfilm geht das nicht so schnell. Wobei ich hatte auch gehofft, dass nach „Hector“ mehr Internationales kommt, weil das eine internationale Produktion war. Aber der Film ist leider in UK total verrissen worden. Hatte einen schlechten Start in den USA, und einen schlechten Start in Deutschland. Das hätte so ein Boost werden können. Der hatte so gut getestet, hatte beste Ergebnisse.

Frederick Gomoll: Wie ist es denn für dich als Spielfilm- Kameramann, wartest du auch mal? Hast du Auszeiten, wo du drei Monate zuhause sitzt und es passiert nichts?

Kolja Brandt: Klar. Viele sagen sogar, dass ich sehr arrogant bin, weil ich wahnsinnig viele Sachen abgelehnt habe, die ich nicht machen wollte. Meine Kinder sind mir sehr wichtig, deswegen habe ich früh gesagt, ich drehe nur einen großen Film im Jahr. Wo viele sagen, das ist eine Karriereentscheidung, die sie nicht nachvollziehen können. Und daher sagen die, der muss ja spinnen. „Der Medicus“ war so ein Fall. Mit Philipp Stölzl habe ich viele Sachen vorher gemacht. Der hat einen 20-Millionen-Film da, möchte den mit mir machen und ich sage: „Nein, den möchte ich nicht machen!“

Ich finde den Roman wahnsinnig toll. Und der Film hat sich so auf die kommerzielle Seite dieser Geschichte gestürzt, hat eine sehr fragwürdige politische Aussage, also heutzutage mit den „bösen Muslimen“ am Ende wieder. Klar sind Stellan Skarsgård und Ben Kingsley cool. Es gibt Millionen Gründe diesen Film zu machen. Aber ich wollte das nicht. Außerdem hatte ich privat Stress und wollte nicht solange weg sein von meinen Kindern.

Frederick Gomoll: Ich finde das interessant, dass du das so siehst. Ich habe den Film gesehen, der Kameramann Hagen Bogdansksi war ja auch bei uns an der Hochschule. Ich habe gesagt: „Wow, sowas will ich auch unbedingt mal machen.“ Den Mut zu sagen, das mache ich nicht, den muss man erst mal haben.

Kolja Brandt: Die Liste ist noch viel länger. (lacht)

Film&TV Kameramann: Gibt es eine Situation, wo du dir einen hohen technischen Aufwand für eine kleine Produktion vorstellen kannst?

Kolja Brandt: Auf jeden Fall! Am Schluss von „Colonia“ – wobei das jetzt für einen deutschen Film keine kleine Produktion war – dort gibt es zum Beispiel eine Flughafensequenz, die so entstanden ist. In einer frühen Fassung des Buches gab es eine atemberaubende Flucht mit Stunts, so fast „Indiana Jones“, mit Hängebrücken, die abgeschlagen werden. Und dann habe ich zum Produzenten Benjamin Hermann gesagt: „Aber ihr habt doch nicht 40–50 Millionen, oder?“ – „Ja, nee.“ (lacht)

Und dann haben sie das Buch noch mal komplett umgeschrieben und vor zwei Jahren war es so, wie es jetzt ist. Aber es gab immer noch die aufwändige Flughafensequenz. Und ich habe immer gesagt: „Freunde, wir brauchen da eine Second Unit, weil die First Unit wird das nicht alles schaffen in zwei Drehtagen. Und eine dritte Kamera und einen Kran mit Remotehead.“ Wir hatten wahnsinniges Glück, dass wir einen alten Militärflughafen gefunden haben, wo schon Flugzeuge standen. Aber klar, muss das dann auch sein. Das kannst du nicht arthousig machen. Entweder du hast eine Verfolgungssequenz, wo auch was passiert, oder du machst die nicht.

Frederick Gomoll: Was machst du, wenn die Produktion sagt, nee, ist nicht im Budget?

Kolja Brandt: Da war es klar, die sind zwar wahnsinnig knapp mit dem Budget, aber die haben auch Emma Watson vor der Kamera. Da hatten die auch den Druck, diese Ressourcen zu ermöglichen. Die intelligenten Leute kommen schon an den Punkt, wo die merken: „Okay, der labert nicht, sondern der weiß, was er sagt.“

Frederick Gomoll: Und wenn es gar nicht geht?

Kolja Brandt: Du kannst gucken, ob der Regisseur die gleiche Vision hat, das hilft enorm, um die Produktion weich zu klopfen. Und wenn gar nichts geht, dann geht’s halt nicht. Bei „Le jeune Karl Marx“ gab es eine Sequenz im Wald. Das ist eine Klammersequenz am Anfang, in der Mitte und am Ende des Films. Und ich habe gesagt, die ARRI 65 ist gerade draußen, lass uns die Totalen mit der machen. Ich habe mit ARRI gedealt, wir hatten eh eine Kooperation mit denen. Es wären Mehrkosten von 10.000 Euro gewesen für zwei, drei Drehtage Kamera plus Data Wrangling, was da dran hängt. Irgendwann hat die Produktion gesagt: „Nee, sorry, die 10.000 sind wir nicht bereit, da reinzustecken.“ Dann sage ich, gut, ist halt so.

Film&TV Kameramann: Gab es das bei „Kryo“ auch?

Frederick Gomoll: Die Gefahr an der Filmakademie, und vor allem bei uns, wenn man Science-Fiction dreht, ist, dass du nicht über dir die Produktion hast, die sagt, es geht nicht. Sondern, Regisseur, Kameramann, Produzenten und in unserem Fall die Szenenbildnerin wollen alle dieses tolle Ergebnis haben. Und dann sagst du, okay, und du verschuldest dich zum Ende des Studiums eigentlich, um das zu ermöglichen. Da wäre bei uns Mitte der Produktion schon das Ende da gewesen. Weil es klar war, dass wir eigenes Geld reinstecken müssen. Und zwar insgesamt eine fünfstellige Summe. Und da überlegst du halt dreimal, ob du sagst, hey, ich hol das irgendwann wieder rein, oder du sagst, wir müssen jetzt hier stoppen.

Das ist halt bei Science Fiction so, wenn es drüber geht, dann sehr schnell, sehr viel. Es gibt so viele Komponenten, die da schief gehen können. Der Strom fiel komplett aus in diesem Bunker, weil der Anschluss nicht richtig abgesichert war. Wir mussten einen Generator dazu mieten. Das sind Kosten, die sprengen alles. Aber mit dem Risiko muss man leben. Immerhin habe ich schon Werbejobs darüber bekommen, dass die Leute nur den Trailer gesehen haben.

Kolja Brandt: Dann hat sich das doch schon gelohnt. Hast du eigentlich mal vor der Kamera gestanden?

Frederick Gomoll: In meiner Karriere als Skater vor dem Studium, ja. Und ich war mal Operndarsteller, aber das war nur vor Publikum. Aber das mal zu spüren ist wichtig, wie das für Schauspieler ist, diese Verletzlichkeit.

Kolja Brandt: Ich habe das wieder gemerkt bei dem Karl- Marx-Film, da sind sehr viele Dialogszenen drin und du bist sehr nah an den Leuten dran. Und es ist so wichtig, dass du als Kameramann denen die ganze Zeit ein gutes Gefühl gibst. Wir haben 1997 einen DFFB-Abschlussfilm gemacht und selbst eine Szene gespielt, und das war für mich eine wahnsinnig tolle Erfahrung, die Klappe mal von der anderen Seite zu sehen. Und dann „Klack“ und dann „Bitte!“ und dann „Ähhh …“ (lacht). Und das war total wichtig. Den ganzen Respekt, den ich für Schauspieler habe, habe ich da bekommen!

Film&TV Kameramann: Ist dir eine gute Stimmung im Team wichtig?

Kolja Brandt: Das hat Philipp Stölzl mal gesagt, dass für ihn ein Kameramann nicht nur künstlerisch und technisch wichtig ist, sondern die soziale Kompetenz einen hohen Stellenwert hat, weil wir mit so vielen Leuten kommunizieren müssen. Ich hatte jetzt ein belgisches Beleuchterteam, viele so um die 50 Jahre – ich mochte die sehr gerne. Aber da musst du einen Umgangston mit denen finden, der einerseits respektvoll ist, andererseits klar macht, dass die dir nicht auf der Nase rumtanzen können. Diese Balance ist schwierig. Das größte Kompliment, was ich aus der Truppe über mich hören kann ist: „Der Typ ist hart aber fair!“ Menschlich immer anständig bleiben, aber trotzdem auch sagen: So, Freunde, jetzt bitte den Rum zur Seite stellen (lacht), jetzt wird gearbeitet.

Weiter geht’s im nächsten Teil:

am Donnerstag, 25.02.2016 auf kameramann.de!

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Sehr interessantes Interview, freue mich auf Teil 2. Spannend die zwei Perspektiven zu sehen. Gerade als Kameramann der selber schon in der Werbung gearbeitet hat und jetzt zum Film will 🙂

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