Es ist lange her, dass mich ein Film so lange verfolgt hat wie „Tár“, beinahe wie ein Geist, der einen nicht schlafen lässt. Er ist selbst durchkomponiert wie die fünfte Symphonie von Gustav Mahler, um die sich die Geschichte der Dirigentin Lydia Tár (Cate Blanchett) dreht. Man kann ihn Schicht um Schicht analysieren, sich weitere Motive erschließen und dann ist es hinterher immer noch so, als ob sieben Zuschauer neun verschiedene Filme gesehen hätten. Großes Kino, das einen auf kleiner Flamme garkocht, ohne dass man merkt, wie ausgehungert man danach war. Das meistert der Film mit einer handwerklichen Präzision, die von Anfang an zur Seite tritt und die Bühne für sein Darstellerensemble räumt.
Ich möchte „Tár“ unbedingt noch einmal sehen, weil sich meine Wahrnehmung im Verlauf des Films derart verschoben hat, dass ich nun auf andere Sachen achten würde. Wie bereitet man so einen Film überhaupt vor? Das ist ein sehr organischer Prozess. Das Drehbuch war sehr detailverliebt, es war klar, dass Todd eine extreme Recherche aufgebracht hat, um eine so authentische Welt zu erzählen, die Welt der Musik. Es war aber deutlich spürbar, dass es eigentlich um etwas anderes ging, und das kam so langsam in das Buch hinein. Es gab eine Form von Zurückhaltung, weil die Sachen nicht dramatisch aufgepeppt waren, so dass du beim Lesen nicht das Gefühl von Plot Points hattest. Visuell übersetzt heißt das Authentizität, absolute Glaubwürdigkeit im Sinne von Verortung, das muss absolut glaubhaft sein. Die visuelle Zurückhaltung beeinflusste die Auswahl der Kamerastandpunkte und ob sich diese Kamera bewegt oder nicht. Jede Form von Bewegung stellt auch einen Kommentar dar, darum haben wir darauf verzichtet – wobei jede Kameraposition Kommentar ist. Das Ziel war, das so wenig wie möglich zu dramatisieren und gleichzeitig ein Gefühl von einem visuellen Erlebnis zu schaffen, indem man auch in diesen Räumen versinkt, dass es keine Trennung zwischen Leinwand und Publikum gibt. [15308]