“Fritzi – Eine Wendewundergeschichte” wurde weitgehend als klassische 2D-Animation mit einigen Spezial-Elementen realisiert. Wie die beiden Regisseure Matthias Bruhn und Ralf Kukula dafür sorgten, dass die Animationen die nötige Realitätsnähe bekamen, erzählten sie uns in unserem Heft 10.2020.
AUTHENTISCHE STRAßENECKEN
Von großer Bedeutung für “Fritzi” war Realismus noch in ganz anderer Hinsicht: Wie erzählt man die DDR? Zwar lag die konkrete Kontrolle der Authentizität eher in Kukulas Verantwortungsbereich, aber auch “Wessi” Bruhn war sie wichtig: “Wenn wir schon einen Film machen, der ganz konkret in einer bestimmten Zeit spielt, dann muss das stimmen. Alles andere wäre nachlässig.”
Die Hintergründe entwickelte der Leipziger André Martini als Setdesigner. “André war andauernd mit dem Fahrrad an den Originalmotiven unterwegs oder recherchierte in den Archiven. Er hat alles abgegrast, um nachzuweisen, wie die Orte damals ausgesehen haben”, erzählt Kukula. Natürlich gab es auch bei dieser akribischen Recherche Grenzen: Wie genau ein Reisebüro 1989 in der DDR ausgesehen hat, welche Anzeigen dort hingen, war nicht mehr genau herauszufinden. “Wir haben so was dann für unsere Zwecke angepasst”, sagt Kukula. Als Leipziger hat man bei “Fritzi” auf alle Fälle zahlreiche Aha-Erlebnisse, weil sich die Orte tatsächlich so ablaufen lassen. Die Hintergründe zeigen auch die Widersprüche in der Stadtarchitektur von den großen historischen Bürgerhäusern hin zu den Plattenbauten. Das Team in Leipzig und Dresdens leistete die nötige akribische Vorarbeit. “Das Team, das die finalen Hintergründe gezeichnet hat, sitzt in Luxemburg und hat die echte DDR nie mit eigenen Augen gesehen”, sagt Bruhn.
“Das Publikum liebt es, wenn du da genau bist”, sagt Kukula: “Die Hintergründe und die Props haben wir wie Protagonisten behandelt.” Gerade dort findet sich ein unglaublicher Detailreichtum, der “Fritzi” zu einem Zeitdokument macht und einen dokumentarischen Anspruch verleiht, ohne ein Dokumentarfilm zu sein. Die Farbstimmungen und Requisiten entwickelte Conny Freche. Freche habe, sagt Kukula, selbst eine DDR-Biografie und “kennt die Stimmungen”, also beispielsweise wie die Wandzeitung der Jungpioniere in der Schule aussah, die “Brotkapsel” oder die Schulranzen. Sehr viel Wert legte das “Fritzi”-Team zusätzlich auf die Geräusche. Sounddesigner Florian Marquardt mit seinem Studio Klangfee aus Halle übernahm die Tonaufnahmen für alle Fahrzeuge. Diese wurden im Original neu aufgenommen, die Tatra-Straßenbahn, der Ikarus-Bus oder der NVA-Laster.
Zudem gibt es im Film dokumentarisches TV-Material, das allerdings nicht rotoskopiert wurde. “Wir haben die Fernsehbilder grafisch integriert”, beschreibt Kukula das Vorgehen. Wichtig war den Regisseuren dabei, dass die man die ikonographischen Aufnahmen wiedererkennt, wie z.B. Genscher auf dem Balkon der Prager Botschaft oder die rennenden Flüchtlinge. Einzig eine fiktionale Szene mit Fritzi wurde im gleichen TV-Stil innerhalb dieser quasi dokumentarischen TV-Aufnahmen eingefügt.
EIN BISSCHEN 3D
“Fritzi” ist weitgehend als klassischer 2D-Film realisiert worden. “Normalerweise reduzierst du bei Animationsfilmen die Anzahl der Protagonisten”, sagt Kukula, in “Fritzi” gibt es jedoch ungewöhnlich viele. Weitere Schwierigkeiten stellten die großen Demo-Szenen dar, die vor allem im letzten Drittel des Films zunehmen. “Diese Massenszenen hätten wir in 2D nicht realisieren können”, betont Kukula: “Und wir wollten ja mit den Massen beeindrucken und zeigen, dass die Straßen und Plätze voll waren.” Kukula und Bruhn entschieden sich, den Übergang zwischen den beiden Stilen nicht zu verschleifen. “Entscheidend ist die Wirkung”, sagt Kukula. Das Team nutzte für die Massenszenen die 3D-Software Golaem, die ansonsten hauptsächlich im Live-Action-Bereich eingesetzt wird. “Es war eine künstlerische Herausforderung, sie auf die Animationsbedürfnisse anzuwenden”, sagt Bruhn. Diese Arbeit wurde beim Compositing Studio “Mikros” in Belgien geleistet.
Gerade bei Wideshots wurden weitere 3D-Elemente verwendet, in erster Linie bei der Gestaltung der Fahrzeuge, die in Maya erstellt wurden. Das mache es leichter, die Autos zu bewegen, erklärt Bruhn. Zudem sind die Fahrzeuge nicht naturalistisch, das Team hat hier die etwas verschobenen Proportionen übertragen. Ein Trabi ist so etwas höher als in der Realität. “Wir sind zwar noch nah dran an einem realistischen Look”, sagt Bruhn: “Aber Fritzis Welt ist kein Abzeichnen der DDR, sondern unsere Interpretation.”
Auch im Compositing kamen immer wieder 3D-Techniken zum Tragen, denn dort fließen bei Animationen fast alle Arbeitsschritte zusammen. “Ich finde es immer wieder erstaunlich, was das Compositing aus diesen flachen Bildern macht”, sagt Bruhn, der diesen Schritt bei “Fritzi” schwerpunktmäßig begleitete. Etwa ein Jahr lang dauerte dieser Prozess, am Beginn des Compositings war die Animation noch nicht einmal abgeschlossen. In der Hauptzeit arbeitete ein Dutzend Leute ausschließlich daran. Alle Elemente wurden zusammengefügt und unter anderem mit Lichteffekten, Kamerafahrten oder einem Handkamera-Wackeln bei den Demo-Szenen ergänzt. Bruhn ist von Supervisor Thibault Couwenbergh komplett begeistert und den Möglichkeiten, die sich zusätzlich durch ihn boten. Bei einigen Kamerafahrten wurden die 2D-Hintergründe in einen 3D-Raum gelegt, so dass sich beim Zoomen der Tiefeneffekt verstärkt wurde.
Selbst wenn die Geschehnisse in der DDR nun schon 30 Jahre zurückliegen, hatte Regisseur Matthias Bruhn bei der Arbeit an “Fritzi” manchmal das Gefühl, an einem aktuellen Thema zu arbeiten. Denn es gehen derzeit nicht nur Jugendliche und Kinder, sondern auch Erwachsene wieder auf die Straße, diesmal für Maßnahmen gegen die Klimakrise und für Klimagerechtigkeit. “Daran habe ich im letzten Jahr, als wir ‘Fritzi’ fertiggestellt haben, oft gedacht”, sagt Matthias Bruhn. “Ich hoffe, dass unser Film auch als Verstärkung und Unterstützung für die Zielgruppe wahrgenommen wird.” [10658]