DoP-Doppelspitze: Timon Schäppi und Tobias Dengler drehen Sechsteiler „Davos 1917“
Grüner Schnee
von Timo Landsiedel,
Ohne gehypte Showrunner, dafür mit einer handfesten schweizerisch-deutschen Koproduktion wartet die historische Spionageserie „Davos 1917“ auf. Eine unter vielen Besonderheiten ist die DoP-Doppelspitze aus Tobias Dengler und Timon Schäppi. Wir sprachen mit den beiden Kameraleuten in unserer Ausgabe 1–2.2024 darüber, wie sie die Arbeit aufteilten, welche Vorzüge es mit sich bringt, mit zwei DoPs zu arbeiten, und über das schwierige Grading von Schnee.
Ein Zug fährt in eine malerisch verschneite Bahnstation ein. Aus einem der Waggons steigt Johanna Gabathuler. Sie wird schon freudig erwartet: Ihre Schwester Mathilde umarmt sie und raunt ihr zu, es sei schon alles vorbereitet, auch eine erfahrene Hebamme sei da. Kurze Zeit später ist es schon soweit und Johanna bringt ein Mädchen zur Welt. Kaum hat sie dessen Namen Elli ausgesprochen, tritt Johannas Vater Peter ein. Er leitet das „Curhaus Cronwald“, ein Sanatorium für Gutbetuchte. Er kann es sich nicht leisten, dass seine Tochter ein uneheliches Kind aufzieht. Die kleine Elli wird aus dem Zimmer getragen. Johanna ist fassungslos. Peter Gabathuler konstatiert: „Du hast kein Kind.“ Und macht auf dem Absatz kehrt.
Aktuelle Themen
Die ersten, immersiven Minuten von „Davos 1917“ lassen fast nicht glauben, dass hier zwei öffentlich-rechtliche Medienanstalten federführend sind. Die Serie wurde im Auftrag des SRF und der ARD-Tochter Degeto von den Koproduzenten Contrastfilm in der Schweiz und Letterbox in Deutschland produziert. Regie führten Jan-Eric Mack, Anca Miruna Lăzărescu und Christian Theede. Die Bücher kommen aus der Headautorenschaft von Adrian Illien. Ihn unterstützten als Autoren Thomas Hess, Julia Penner und Michael Sauter. Für die Bildgestaltung holten die Produktionsfirmen die DoPs Timon Schäppi und Tobias Dengler an Bord, beide gebürtige Schweizer.
Während Schäppi über eine mehrjährige Tätigkeit als Beleuchter zum Kamerastudium an der Filmuniversität Konrad Wolf in Potsdam Babelsberg kam und mit Improfilm-Regisseur Jakob Lass zusammen den Einstieg in den Kinofilm fand, führte Denglers Weg über mehrere Jahre als Beleuchter, Focus Puller und B-Kameramann in TV und Werbung zu Projekten als DoP. Jan-Eric Mack und Dengler lernten sich bei der Serie „Wilder“ kennen. Mack holte Dengler zu „Davos 1917“ dazu. Schäppi kam über Anca Miruna Lăzărescu ins Boot, die sich bereits über eine vergangene Anfrage kannten.
Die Geschichte folgt Krankenschwester Johanna Gabathuler, die während des Ersten Weltkriegs in der neutralen Schweiz nach ihrer Rückkehr von der Westfront in eine Spionageaffäre gerät. DoP Tobias Dengler mochte an dem Stoff auf Anhieb, dass das Thema Erster Weltkrieg aus der schweizerischen Sicht erzählt werde. „Was auch ein großer Aspekt ist, sind die emanzipatorischen Momente“, so Tobias Dengler. „Dadurch, dass die Männer im Krieg waren, mussten Frauen viele wichtige Positionen von Männern übernehmen – und in diesen auch ein Selbstbewusstsein aufbauen.“ So hat die Hauptfigur Johanna zwar intensive Fronterfahrung als Krankenschwester und so großes chirurgisches Wissen, soll aber daheim den reichen Großrat Thanner heiraten. Für eine höher gestellte Ehefrau geziemte es sich natürlich nicht, zu arbeiten. „Diese gesellschaftliche Ungleichheit ist ja immer noch aktuell.“ Schäppi hebt hervor, dass die Hauptfigur ihre Lust an diesem Ausbruch aus dem Gewöhnlichen entdeckt. „Es ist ein Weg für sie bereitet, den sie beschreiten soll“, so DoP Timon Schäppi. „Es gibt durch den Krieg jetzt eine Chance für sie, sich in einer anderen Rolle zu erleben, die Welt anders zu erleben. Diese Ambivalenz und auch der Druck, den das für diese Figur generiert, hat mich sehr gereizt.“
Aufteilung
Visuell waren beide DoPs fasziniert davon, ein Period Piece inszenieren zu dürfen. Im Gegensatz zu zeitgenössischen Stoffen, muss hier noch viel mehr eine Welt gebaut werden, in der sich die Physik des Lichts, Räume und Menschen erzählen lassen. Die Zusammenarbeit mit Benedikt Herforth vom Szenenbild, Ute Paffendorf und Fred Fenner vom Kostümbild und Anette Keiser vom Maskenbild sei dabei sehr eng gewesen, betonen beide. „Wir wollten durchaus einen Realismus bedienen und so realitätsnah wie möglich sein: Wie war es damals zu der Zeit?“ so Dengler. Hierzu gab es eine Recherche, die sich auch in der visuellen Gestaltung niederschlug. So waren die Glühbirnen der damaligen Elektrizität eher schwach, weshalb alle Practicals im Bild ein warmes, eher sanftes Licht ausstrahlen.
Eine der Referenzen für das Team war die Krankenhausserie „The Knick“ von Steven Soderbergh, die um die Jahrhundertwende in New York City spielt. „Ich hatte so etwas historisch auf diese Weise vorher noch nie gesehen“, sagt Timon Schäppi. „Es war nicht beschönigend, sehr roh und echt. Ich hatte das Gefühl, ich habe einen echten Einblick in diese Zeit.“ Schon bei den Drehbüchern von „Davos 1917“ loben die beiden DoPs die genaue Beschreibung der Zeit und auch die bereits detaillierten visuellen Ideen. „Da war ein Gestaltungswille drin. Es passieren interessante Dinge, die man abbilden muss, die man herstellen muss“, so Timon Schäppi. Die Vorbereitung begann schon im Mai 2022, richtig intensiv wurde es im Juli. Bis Mitte Oktober 2022 war das kreative Team der beiden DoPs mit Jan-Eric Mack und Anca Miruna Lăzărescu zu viert unterwegs. Gemeinsam bereiteten Kamera und Regie alle Motive und Szenen vor, scouteten zusammen und legten Look und Feel mit den Abteilungen fest. „Es war der Schlüssel zu dem homogenen Endprodukt, dass wir in dieser Zeit so viel gemeinsam bestimmt haben“, ist sich Schäppi sicher.
Das Team arbeitete unter anderem auf einem Miro-Board, eine Art digitale Pinnwand mit umfassenden Möglichkeiten Verknüpfungen zu erstellen, Moods zu vergleichen und die sechs Episoden durchzuplanen. Gedreht wurde von Anfang November 2022 bis Mitte März 2023 an Original- schauplätzen und Studios in Graubünden in der Schweiz, Südtirol, Bayern, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Es war von Anfang an klar, dass die gesamte Produktion nicht nach Episoden organisiert sein würde, sondern die Motive das strukturierende Element darstellen müssten. Die zwei größten Abschnitte waren klar aufgeteilt: Timon Schäppi drehte die Motive in NRW und Hamburg und Tobias Dengler die Motive in der Schweiz und Südtirol. Den Bayern-Block drehten die beiden DoPs im Wechsel. Dengler und Schäppi hatten zwei Oberbeleuchter, für den Deutschland-Teil war es Roman Breitwieser und für den Schweiz- und Südtirol-Teil Ernst Brunner. Wenn das eine kreative Team drehte, bereitete das andere Team den nächsten Block vor. Logistisch wäre der Dreh in dieser Zeit und mit dem vorhandenen Budget gar nicht anders umsetzbar gewesen.
Die motivorientierte Drehweise brachte die Herausforderung mit sich, dass so manches Innenmotiv geleuchtet werden musste, ohne den Wetter- beziehungsweise Lichtanschluss des Außendrehs zu kennen. Dengler und Schäppi leuchteten im Zweifel auf Drehbuchvorgabe – oder nach dem, was interessanter aussah. Oft hatten sie hier einfach Glück. Das galt auch für den Schnee, denn noch 24 Stunden vor dem ersten Drehtag in der Schweiz sah man in Graubünden vom Herbst saftig grüne Wiesen liegen. „Wir durften keinen Kunstschnee legen, weil das ein Naturschutzgebiet ist“, so Dengler. „Und die Flächen waren so groß und präsent, dass wir auch nicht mit weißem Molton im Hintergrund weiter gekommen wären.“ VFX-Schnee lag für große Establisher nicht im Budget. Über Nacht jedoch schneite es pünktlich zum Drehstart.
Licht und Look
Ein gutes Beispiel für die Kollaboration der beiden DoPs bezüglich der Motive ist der Weg ins Hauptquartier des deutschen Geheimdiensts in Davos. Die Sequenz beginnt in den Straßen von Davos, durch die nachts die Figuren in Richtung Hauptquartier gehen. Sie betreten ein Gebäude, gehen durch einen Korridor, steigen eine Treppe hinab, öffnen schließlich eine Tür und betreten den großen Raum des Hauptquartiers. Das war ein Split von vier Locations, zwei davon in der Schweiz und zwei davon in Nordrhein-Westfalen. „Wir haben uns diese Strecken in der Vorbereitung anhand von Motivfotos in Miro zusammengebaut“, berichtet Timon Schäppi. Der Raum des Hauptquartiers, der in Nordrhein-Westfalen als Innenmotiv gedreht wurde, war ein für die Schweiz untypisch großer Raum. Diese historische Ungenauigkeit war aber erwünscht, um in dem Motiv mehr Handlungsspielraum zu haben. Wichtig waren hier Details wie die Tatsache, ob die Kamera der Figur voraus geht oder ihr folgt. [15409]