Wie ist die Idee entstanden, Audrey Tautou für „Die fabelhafte Welt der Amélie“ mit extremen Close-ups mit Weitwinkel-Objektiven aufzunehmen?
Das war zum Großteil ein Idee von Jean-Pierre Jeunet, die wir gemeinsam ausprobiert haben. Er hat uns seine Vision von dem Film vermittelt und damit auch das Design des Sets und der Kostüme geprägt. Ich habe diesen Look noch etwas weiterentwickelt, wie Jean-Pierre es von mir erwartet hat. Das war mein Beitrag dazu.
Welche Objektive haben Sie dafür verwendet?
Ich habe keine extremen Weitwinkel dafür benutzt, son-dern ein 25-mm-Weitwinkelobjektiv eingesetzt. Ich arbeite viel mit diesem Objektiv, denn ich mag keine langen Brennweiten. Das ist meine persönliche Entscheidung, doch offenbar mögen auch die Regisseure, mit denen ich arbeite, keine langen Brennweiten. Beim Dreh von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ gefiel Jean-Pierre das 25- mm- und vor allem das 21-mm-Objektiv besonders gut.
Verwenden Sie auch eigenes Kameraequipment, das Ihnen am Herzen liegt?
Ich besitze keinerlei Equipment. Das einzige, was mir gehört, ist ein Belichtungsmesser. Ich miete stets das Kamera-Equipment. Aber es gibt bestimmtes Equipment, das ich gerne mag wie zum Beispiel Arriflex-Kameras. Mir gefallen die Cooke-Objektive und Angénieux-Zoomlinsen, die stets zu meiner Grundausstattung gehören, und ich habe das Filmmaterial von Kodak immer dem von Fuji vorgezogen.
In Cannes wurden in diesem Jahr mehrere Filme ge- zeigt, die auf Filmmaterial aufgenommen worden sind. Drehen Sie auch lieber auf Film?
Mir gefällt beides. Ich weiß nicht, warum ich das Eine dem Anderen vorziehen sollte, denn Film ist Film und Digital ist Digital. Ich bin mit Filmmaterial aufgewachsen, aber ich drehe genauso gerne digital. Ich mag die Ergebnisse beider Medien. Ich habe „Inside Llewyn Davis“ auf Film gedreht und „The Ballad of Buster Scruggs“ digital. Den Coen-Brüdern gefiel beides.
Versuchen Sie mitunter Regisseure zu überzeugen, eine andere Wahl zu treffen, um einen besseren Look zu erzeugen?
Ja, diese Diskussion hatte ich mit den Coen-Brüdern, die „Inside Llewyn Davis“ ursprünglich auf Super 16 drehen wollten. Ich habe verstanden, in welche Richtung sie damit gehen wollten, aber ich habe das nicht für den richtigen Weg gehalten. Ich habe ihnen vorgeschlagen, Tests auf 35 mm vorzunehmen, denn ein digitaler Dreh war für sie zu dieser Zeit noch keine Option. Am Ende haben wir uns entschieden, auf 35 mm zu drehen. Ich diskutiere immer mit dem Regisseur und dem Produzenten, was das beste Mittel ist, um eine Geschichte zu erzählen. Es ist interessant, dass sich Quentin Tarantino und Chris Nolan sehr für den Dreh auf Filmmaterial einsetzen, aber ich möchte das nicht bewerten. Der Dreh mit digitalen Kameras eröffnet viele interessante Möglichkeiten, die wir nutzen können. Wenn ein Regisseur mir vorschlägt, auf Film zu drehen, bin ich damit genauso einverstanden.
Ist es reizvoller, statt französischer Kinofilme große Hollywoodproduktionen wie „Harry Potter“ zu drehen?
Ich hatte das große Glück, dass „Die fabelhafte Welt der Amélie“ in gewisser Weise ein High-Budget-Film war und auch für meinen letzten französischen Film „Mathilde – Eine große Liebe“ stand ein großes Budget zur Verfügung. Insofern habe ich mich bereits in Frankreich in einer lu- xuriösen Situation befunden, auch wenn das nicht mit einer Großproduktion wie „Harry Potter“ vergleichbar ist. Ich habe aber auch an Low-Budget-Filmen gearbeitet. „Inside Llewyn Davis“ von Joel und Ethan Coen war mit elf Millionen Dollar für amerikanische Verhältnisse eine absolute Low-Budget-Produktion. „Faust“ von Alexander Sokurov hat sogar weniger als fünf Millionen Euro gekostet. Ich versuche stets, möglichst viel aus dem herauszuholen, das uns zur Verfügung steht und zu erörtern, wie sich etwas möglichst günstig umsetzen lässt. Dabei spielt es für mich keine Rolle, ob ich mit einer kleinen oder großen Crew zusammenarbeite. Ich versuche immer, mich dem jeweiligen Projekt anzupassen.
Wodurch wird ein Projekt reizvoll für Sie?
Es gibt durchaus Filme, die ich nicht unbedingt drehen möchte, weil sie mich nicht interessieren. Bisher hatte ich das Glück, dass Regisseure wie Tim Burton, die Coen-Brüder und Alexander Sokurov mit mir arbeiten wollten. Wenn ich einen Regisseur noch nicht kenne, treffe ich mich zunächst mit ihm, um herauszufinden, ob wir dieselbe Wellenlänge haben. Das ist elementar für die Zusammenarbeit mit einem Regisseur, da sie sich mitunter über ein ganzes Jahr erstreckt. Es muss eine gewisse Übereinstimmung geben, sonst funktioniert die Zusammenarbeit selbst dann nicht, wenn das Drehbuch gut ist.
Im Zuge der Zusammenarbeit mit verschiedenen Regisseuren haben Sie sehr unterschiedliche Filme gedreht. Gehört es zu Ihrer Zielsetzung, eine Bandbreite unterschiedlicher Stilrichtungen zu bedienen?
Es reizt mich, immer neue Herausforderungen zu bewältigen, mit denen mich ein Regisseur konfrontiert. Das ist immer auch ein menschliches Experiment. Es hat mich interessiert, „Harry Potter“ zu drehen, obwohl das nicht die Art von Film ist, die ich mir ansehe. Ich wollte gerne ausprobieren, wie ich einen Kinderfilm umsetzen kann, weil ich eine Tochter habe, die sich solch einen Film anschaut. Es geht mir darum, unterschiedliche Ästhetiken auszuprobieren und verschiedene Geschichten zu erzählen. Zwischen „Faust“ und „Harry Potter“ liegen Welten. Ich versuche, stets die Geschichte zu verstehen und zum Beispiel durch die Art der Lichtsetzung und der Zusammenarbeit mit dem Regisseur einzubringen. Manchmal bin ich sehr zufrieden, dass ich mit diesen Regisseuren arbeiten kann, manchmal habe ich das Gefühl, dass andere Kreative wesentlich radikaler in ihren Entscheidungen sind. Das Kino hat viele verschiedene Facetten. Ich bin kein Gegner von Blockbustern, aber die Handlungen interessieren mich nicht. Es ist gut, dass es verschiedene Ansätze im Kino gibt. Ich mag sehr unterschiedliche Genres von politischen Filmen bis hin zu Liebesromanzen. [10308]
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