Die Macher von „Hinter den Schlagzeilen“ im Gespräch
Immer näher ran
von Christian Genzel,
Der Dokumentarfilm „Hinter den Schlagzeilen“ begleitet Investigativjournalisten bei ihren Recherchen – unter anderem zu dem spektakulären Fall rund um das „Ibiza-Video“. Im Interview berichten Regisseur Daniel Sager und Editor Hannes Bruun für unsere Ausgabe 1–2.2022, wie sie Zugang zu den Recherchen erhielten, welche Herausforderungen es beim Dreh gab, und wie es ihnen gelang, aus hunderten von Stunden an Material einen dichten Film zu schneiden.
Als im Mai 2019 das sogenannte „Ibiza-Video“ veröffentlicht wurde, zwangen die darauf festgehaltenen Korruptionsversprechen den damaligen österreichischen Vizekanzler Strache zum Rücktritt. Hinter der Aufarbeitung dieser Geschichte steckte unter anderem das bekannte Journalistenteam Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, die für ihre Enthüllungen rund um die „Panama Papers“ 2017 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurden. „Hinter den Schlagzeilen“ begleitet die beiden und das Investigativteam der Süddeutschen Zeitung bei den „Ibiza“-Recherchen, aber auch bei anderen Nachforschungen – der Fokus liegt dabei ganz auf der dazugehörigen, detaillierten Investigativarbeit. „Die journalistische Branche hat ja in den letzten Jahren sowieso schon unter einem großen Rechtfertigungsdruck gestanden“, merkt Regisseur Daniel Sager an. „Da fand ich es fast natürlich, einfach zu sagen, man muss darüber auch einen Film machen.“
Über den Zeitraum von ungefähr einem Jahr trafen sich Sager und Produzent Marc Bauder in München für Vorgespräche mit den Journalisten, um sie von dem Projekt zu überzeugen. Obermayers Recherchen zur Ermordung der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia waren dann der Startschuss für den tatsächlichen Dreh: „Ich meinte, wir müssen jetzt anfangen – das ist so wichtig für den Film“, erklärt Sager. „Die Journalisten recherchieren da ja auch zu ihrer eigenen Gefahr, unter der sie eventuell stehen.“
Die Nachforschungen rund um diesen Mord nehmen die erste Filmhälfte ein, zusammen mit den Recherchen um einen Waffenhändler. Dass die sensationelle Ibiza-Geschichte dann in den Fokus rücken sollte, war von Beginn an gar nicht klar: Es gab nur Andeutungen zu einem sogenannten „Project Whitescreen“, von dem es nur hieß, dass es eine europäische Regierung stürzen könnte. „,Project Whitescreen‘ war für uns eine Recherche von ganz vielen. Und trotzdem war klar, wenn das passiert, dann haben die Ober- mai(y)ers auch schon immer gesagt: ,Das könnte was Großes werden‘“, erinnert sich Editor Hannes Bruun und lacht: „Wir haben schon eigentlich nicht mehr daran geglaubt, dass wir das miterleben dürfen“. Sager wiegelt ab: „Es gab natürlich auch ein gewisses Kalkül dabei, dass man sagt: Wenn man mindestens ein Jahr in dieser Redaktion ist, die davor konti- nuierlich immer wieder ‚gescoopt‘ hat, dann kommt in dieser Zeit vielleicht auch etwas Größeres rein, was man begleiten kann. Aber man wusste es natürlich nicht.“
Die Dauerpräsenz der Kameras
60 Drehtage hatte Sager insgesamt, 35 davon mit einem Dreierteam aus ihm, Kameramann Börres Weiffenbach und einem Tonmann, und 25 im kleinen Team, bei dem Sager selbst die Kamera übernahm. „Das haben wir deswegen gemacht, weil klar war, dass man für den Film extrem viel drehen muss und sich das budgetär nicht unbedingt ausgeht. Börres ist ein sehr erfolgreicher Kameramann, der deswegen auch ein bisschen teurer ist“, schmunzelt der Regisseur. „Dadurch,dass ich nicht hauptberuflich Kameramann bin, habe ich weniger Übung darin – deswegen habe ich eher die Sachen in den Redaktionen gedreht, wo weniger Unerwartetes passiert“, führt Sager aus. „Wo dann auf alle Fälle klar war, das kommt jetzt ganz sicher in den Film, habe ich natürlich versucht, dass wir immer im großen Team da sind.“ Bei einer USA-Reise gegen Ende der Dreharbeiten schrumpfte das Team sogar noch weiter: Da war noch nicht einmal ein Tonmann dabei.
Die Arbeit in den Büros der Süddeutschen Zeitung stellte aber auch das kleine Team immer wieder vor Herausforderungen. „Wir waren in den Redaktionsräumen ein bisschen Sklave der Verhältnisse, weil die Büros extrem klein waren – das heißt, man musste sich die ganze Zeit in irgendwelche Lücken reinquetschen mit der Kamera“, erinnert sich Sager. Und dann waren die großen Fenster ebenso ein Problem: „Dieser ganze Turm ist komplett verglast, das heißt, einem brennt die ganze Zeit der Hintergrund aus, was man natürlich so oft wie möglich versucht zu vermeiden. Man kommt dann mit der Zeit einfach immer näher ran. Wir haben fast nie ein Weitwinkel draufgehabt.“
Während des Prozesses musste Sager auch weiter das Vertrauen zu seinen Protagonisten aufbauen. „Es liegt ja in der Natur der Sache, dass Investigativjournalisten erst mal sehr vorsichtig sind, vor allem um ihre Quellen zu schützen und ihre Arbeit zu machen“, erklärt Sager. Die Annäherung in den Vorgesprächen wurde während des Drehs fortgesetzt: „Dieser Prozess war durchaus nicht ganz konfliktfrei, weil wir uns immer wieder hingesetzt und gesprochen haben, und beide Seiten gerungen haben – ich um die Szenen und die Redaktion, um die rote Linie zu ziehen“, lacht der Regisseur. Für seinen „Fly on the Wall“-Ansatz stellte er sicher, dass die Protagonisten es bald gewohnt waren, Kameras um sich zu haben. „Diese Büros sind so ruhig, die sind so klein, da kann man die Kamera gar nicht verschwinden lassen. Das heißt, das gesamte Team sollte zu einem organischen Teil dieses Büros werden“, meint er. Teils drehte er deswegen, obwohl klar war, dass er das Material nicht verwenden würde, und teils agierte er sogar mit der Kamera, ohne tatsächlich zu filmen.
Direct Cinema: Gefilmt wird, was passiert
„Was mich als Filmemacher geprägt hat, sind die ersten Direct-Cinema-Regisseure mit dieser wirklich sehr puristischen Form – die ja bei mir nicht mehr so puristisch ist“, erläutert Sager. „Da arbeitet man eigentlich auch nicht mit Musik, ich tue es aber. Eigentlich auch nicht mit Interviews, was bei mir ganz reduziert stattfindet. Aber ich finde es eine sehr ehrliche Form des Dokumentarfilms“, meint er, „weil es auch eine sehr transparente Form ist und man der ganz viel ablesen kann, auch, was die Beziehung zwischen Filmemacher und Protagonisten angeht.“ Editor Hannes Bruun bestätigt, dass nur das gefilmt wurde, was auch passiert ist. „Ich glaube, die einzigen zwei Shots, die nachgedreht wurden, sind, wie einmal Bastian und einmal Frederick morgens zur Arbeit gehen“, überlegt er. „Aber das ist wirklich das Einzige – sonst macht man sich in so einem Bereich sofort angreifbar.“ [15000]