Filmemacher Andreas Rochholl und Sebastian Leitner drehten Doku über iranische Sängerinnen
Iranische Kultur auf Augenhöhe
von Timo Landsiedel,
Wenn aktuell über den Iran geredet wird, dann oft negativ. Andreas Rochholl kennt eine andere Seite. Der Regisseur und Filmemacher veranstaltet gemeinsam mit der Musikwissenschaftlerin Yalda Yazdani seit 2017 das Festival „Female Voice of Iran“ und bereiste dafür schon mehrfach das Land. 2019 holte er sich Filmemacher Sebastian Leitner an die Seite und drehte einen abendfüllenden Dokumentarfilm über die iranischen Sängerinnen. Wir berichteten in Ausgabe 3.2020.
Wissen über den Iran aus eigener Erfahrung ist hierzulande Mangelware. Was man aus den Medien kennt, ist überwiegend negativ: Das Land ist gerade knapp an einem Krieg mit den USA vorbeigeschrammt und hat nach wie vor ein repressives Regime, das von einem religiösen Oberhaupt, dem mächtigen Ajatollah, beeinflusst wird. Über die iranischen Menschen, das gestiegene Bildungsniveau und die verschiedenen Volksgruppen und ihre Kultur erfahren wir wenig. Das will Andreas Rochholl ändern. Seit 2017 veranstaltet er zusammen mit der Musikethnologin Yalda Yazdani das Festival „Female Voice of Iran“ in Berlin und lädt Sängerinnen aus dem Iran nach Deutschland ein, um hier die Lieder der verschiedenen Volksgruppen ihrer Kultur zu singen. Das erfordert Fingerspitzengefühl und Beharrlichkeit. Denn in ihrer Heimat sind diesen Sängerinnen Solo-Auftritte in der Öffentlichkeit verboten.
Sängerinnen im Iran
Rochholl ist Jahrgang 1964, studierte Gesang und Opernregie, später auch Kamera in Wien, und gründete seine eigene Operncompany, die „Zeitgenössische Oper“ in Berlin. Auf das Thema Musik im Iran kam er, als er 2015 Yalda Yazdani kennen lernte. Die Musikethnologin hat ihre Wurzeln im iranischen Isfahan und studierte in Teheran, Istanbul sowie Köln. Schon seit 2009 forscht sie im Iran über Musikkultur, vernetzt Sängerinnen und Musikerinnen und dokumentiert vieles, was in der mündlich überlieferten Tradition der Volksstämme bisher noch nicht niedergeschrieben oder aufgenommen wurde. 2015 begleitete Rochholl die Ethnologin Yazdani erstmals auf einer Recherchereise. Eine Reise, die sein Leben veränderte, wie er heute erzählt: „Ich war bis dahin fest davon überzeugt, dass wir diese eurozentrische Weltsicht längst überwunden haben“, sagt der Opernregisseur. „Und dann war ich da und merkte: Der Iran ist völlig anders, als alles, was ich bisher gelesen hatte.“ Yalda Yazdani öffnete Andreas Rochholl ein Tor in die Welt, die im Iran nur privat, im heimischen Garten oder dem eigenen Haushalt erlaubt ist: Frauen, die solo zur Musik singen. Solo-Auftritte vor gemischtem Publikum oder Publikationen von Gesangskünstlerinnen sind verboten. Dennoch finden sie Wege, ihre Kunst am Leben zu erhalten. Rochholl war fasziniert vom kulturellen Reichtum Irans und der Selbstverständlichkeit, mit der das Verbot akzeptiert und die Graubereiche genutzt werden.
Die Iranerin Yazdani hatte sich schon bei ihren ersten Recherchen eine filmische Aufbereitung des Themas gewünscht. Also drehte Rochholl 2015 erste Gesangsaufnahmen mit der Fotokamera mit. Aus der Reise und der Arbeit der beiden entstand 2017 das Festival „Female Voice of Iran“. Das Festival ermöglichte so westlichen Ohren erstmals einen Einblick in eine Kultur, die in ihrem Heimatland verboten ist. Rund 20 Sängerinnen konnten aus dem Iran nach Berlin eingeladen werden. Auch beim Festival hielt sich der Festivalleiter an die Regeln, dass auch hier Frauen nur mit Hijab auftreten und nur im Ensemble singen dürfen. Aus einem einfachen Grund: „Ich wollte vor allem vermeiden, dass den Sängerinnen bei der Rückkehr Repressalien entstehen.“ Außerdem war nur so eine Wiederholung des Festivals in 2018 möglich.
Musik im Mittelpunkt
2019 hatten Yazdani und Rochholl mittlerweile vier gemeinsame Reisen zur Musikrecherche in den Iran unternommen. Am beeindruckendsten waren für den Berliner immer die Gastfreundschaft und Neugier des iranischen Volkes an ihren Besuchern gewesen. „Diese Eindrücke wollte ich auch auf die Leinwand bringen“, sagt Rochholl. Der Film sollte heißen, wie das Festival: „The Female Voice of Iran“ Doch das konnte er nicht mehr alleine stemmen. Er brauchte mehr technisches Know-how und vor allem Unterstützung bei der Produktion. Deshalb holte er sich Filmemacher Sebastian Leitner an die Seite.
Leitner studierte ursprünglich in Wien Physik, zog nach Berlin und lernte dort Andreas Rochholl über dessen Musik-Film-Lab-Symposium kennen. Beide eint die Hingabe an ihre Projekte und Themen, die etwas mit ihren Werten zu tun haben. Ein Film über eine unterdrückte, künstlerische Profession erfüllte diese Kategorien. Wobei es den beiden bei der Ausrichtung des Films nicht um die Unterdrückung geht. „Darüber gibt es bereits viele, gute, politische Dokumentarfilme“, sagt Andreas Rochholl. „Wir aber wollten einen Film über die Musik machen! Die Frauen, die Musik, die Kultur sollten im Mittelpunkt stehen.“
Das würde nicht einfach werden, auch aufgrund der Restriktionen im Land. Bei einem Thema wie der im doppelten Sinn unterdrückten Stimme der Frau im Iran hätten die Macher nie eine offizielle Dreherlaubnis der Regierung erhalten. Daher mussten sie möglichst unauffällig arbeiten. Das wussten die beiden Filmemacher zu Beginn. „Wir haben natürlich enorm davon profitiert, dass Yalda und Andreas zusammen viermal da waren“, erinnert sich Leitner. „Denn du musst dich auf die iranische Lebens- und Arbeitsweise einstellen.“ Das hieß schon im Vorfeld, kein festes Drehbuchkonzept zu verfolgen. Sebastian Leitner erläutert die Planung der Geschichte: „Wir haben zuerst die Storys dieser 20 Frauen aufgeschrieben, die wir kennen. Wer sind die Hauptfiguren? Über wen können wir spannende, berührende Geschichten erzählen? Danach hatten wir unsere Hauptfiguren und haben geguckt, wie sind die im Land verteilt.“ Aus den einzelnen Geschichten formte sich organisch die Hauptgeschichte des Films, diese 20 Frauen in einem Garten zusammenzubringen, wo sie sich ihren Traum erfüllen, einmal gemeinsam im Iran zu singen.
Team und Ausrüstung
Aus den Wohnorten der Sängerinnen ergab sich eine Reiseroute, die das Filmteam quer durch den Iran führen und die sich dabei stetig verändern würde. Dabei mussten sich die Filmemacher an die Mentalität der Iranerinnen und Iraner anpassen. In der iranischen Kultur wird laut Rochhalla und Leitner weniger stark geplant. Da kann es schon einmal vorkommen, dass ein Ansprechpartner zu einem geplanten Interviewtermin nicht erscheint. In der Kultur nicht der Rede wert, für die Planung von zwei Dokumentarfilmern äußerst schwierig.
Yalda Yazdani fungierte als wichtiges Bindeglied zwischen iranischer Kultur und letztlich doch westlich arbeitendem Team. Andreas Rochholl als Regisseur und Kameramann, Sebastian Leitner als Kameramann und Editor sowie Lorenz Brehm als Tonmann waren das Kernteam für die Produktion.
Rund 50 Prozent des Films entstanden in der Öffentlichkeit, die andere Hälfte in Interviewsituationen in Privaträumen oder im privaten Garten. In der Öffentlichkeit achtete das Team sehr genau darauf, nicht wie eine Kameracrew zu wirken. Dabei halfen zwei Sony Alpha 7s II. Die Kameras hatte Rochholl bereits während der Recherchereise angeschafft. Das war keinesfalls einem Budget geschuldet, sondern ihrer Unauffälligkeit. So stellten die beiden Leute an der Kamera ihre Stative stets etwas voneinander entfernt auf und achteten auch darauf, dass nicht beide gleichzeitig an der Kamera Einstellungen vornahmen. Sie versuchten stets zu wirken wie Touristen, die Fotos machen – denn das ist erlaubt. Da drückt man schon mal dem Kameramann ein Eis in die Hand, damit er noch touristischer wirkt. „Und es gibt wirklich tolles Eis im Iran“, sagt Sebastian Leitner.
Rochholl nutzte ein Sony SEL 70-200 mm Zoomobjektiv, war klassisch etwas weiter vom Geschehen entfernt und schoss Gesichter und Emotionen, während Sebastian Leitner etwas näher dran stand und das Sony SEL 24-70 in der Handkamera einsetzte. Er wählte eine Halbtotale oder Totale, je nachdem, wie viele Personen im Bild waren. Diese Aufteilung änderten sie auch nicht, damit jeder auch spontan schnell in „seiner Perspektive“ agieren konnte. Leitner hatte zudem noch eine Sony RX0 Mk II mit Griff in einem Beutel am Gürtel hängen. Diese war jederzeit in kürzester Zeit einsetzbar, falls er sehr flexibel reagieren musste.
Aufrichtigkeit
Noch weiter abseits stand Tonmann Lorenz Brehm. Er hatte vorher meist in Innenräumen die Protagonisten mit einer der sechs Funkstrecken verkabelt, zwei von Sony, zwei von Sennheiser. Den 6-Spur-Sound-Devices-Rekorder hatte Brehm mit den Empfängern verkabelt im Rucksack vor dem Bauch hängen. Da beide Kameras so keinen Referenzton aus dem Umfeld beziehen konnten, sendete er zudem eine Referenzsumme der Funkstrecken auf beide Sony Alphas. „Klappe schlagen war zu auffällig“, sagt Sebastian Leitner.
Das Aufnahmeformat war Full-HD im 8-bit-XAVC-Codec der Sony Alphas. Nur die RX0 schoss 4K. „Das hatte schlicht den Grund, dass deren Full-HD uns einfach zu matschig aussah“, erklärt Sebastian Leitner. Natürlich gab es auch Musikaufnahmen. Zur Ergänzung des Sound Devices 633 hatte die Crew einen Zoom H6 und zwei Stereomikros dabei.
Trotz aller Heimlichkeit, die das Team an den Tag legten musste, war es Rochholl wichtig, die Obrigkeit, mit der man zu tun hatte, nicht für dumm zu verkaufen. „Wenn wir von Polizei oder Sicherheitskräften angesprochen wurden, erzählten wir immer, dass wir uns für die Musik und Kultur des Iran interessieren.“ So geschah es bei jeder Flugreise und auch unterwegs mit Sicherheitskräften. Nur den größeren Kontext verschwieg das Team, ansonsten gaben sie aufrichtig Auskunft, blieben so authentisch.
Damit fuhren sie außergewöhnlich gut. Sehr oft waren selbst Polizisten schlicht und einfach nur neugierig, was die Westler hier taten. „Die iranischen Menschen sind wahnsinnig interessiert und haben Freude am Austausch“, sagt Rochholl. Das rührt seiner Meinung nach daher, dass sie durch Sanktionen von außen und Verbote von innen von der Welt abgeschnitten sind.
Mehrfach gab es brenzlige Situationen, die sich aber letztlich als harmlos auflösten. „Da muss man cool bleiben und gelassen. Wenn man da selbst ins Stottern gerät, wirkt das verdächtig“, so Leitner. Einige Male trat die Sicherheitspolizei an die Crew heran und befragte sie. Hier wurde Rochholl und Leitner sehr klar, dass ihre Präsenz sehr genau beobachtet wurde. „Aber man ließ uns gewähren“, sagt Rochholl. Grund dafür war seiner Meinung nach auch, dass sein Unternehmen „Zeitgenössische Oper Berlin“ höchst offiziell klingt und wirkt. Damit konnte er sich stets auf westliche Hochkultur beziehen, die im Iran hoch angesehen ist.
Schnitt unterwegs
Der Bus war das Reisemittel Nummer Eins, man fuhr schon mal zehn Stunden von A nach B. Die Zeit nutzte Leitner, um das Material zu sichten und am Rohschnitt zu arbeiten. Der sollte schon zwei Wochen nach der Rückkehr für eine Festivalteilnahme fertig sein.
Die Sichtung vollzog Leitner auf einem Samsung Galaxy Tablet, an das er eine SSD-Festplatte anschließen und so auf das Material zugreifen konnte. Hier musste er in der Öffentlichkeit stets aufpassen, dass niemand das gedrehte Material sah. Der Rohschnitt entstand mit Final Cut Pro X auf dem mitgeführten MacBook Pro. Denn die Internetgeschwindigkeiten unterwegs im Iran waren zu langsam, um das Material in eine Cloud zu legen. Daher hatte Leit- ner eine Backup-Lösung ersonnen, die sogar ohne Rechner auskam. So nutzte Sebastian Leitner für die Back-Ups den RAVPower Filehub, Kartenleser, PowerBank und mo- biler Router in einem. Alle zwei Tage erstellte er damit vier Back-Ups, die für den Transport auf vier Teammitglieder aufgeteilt wurden. Das Crowdfunding um die Jahres- wende war erfolgreich, so dass die Postproduktion mittlerweile abgeschlossen werden konnte. Aktuell geht der Film auf Festivaltour, wird auf dem European Film Market der Berlinale vorgestellt und kommt hoffentlich auch in diesem Jahr ins Kino. [11909]