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So drehte DoP Renato Borrayo Serrano die Rooftopper-Doku „Skywalkers“

Kenne deine Grenzen

Die Influencer Angela Nikolau und Ivan Beerkus sind Superstars unter den „Rooftoppern“, die ohne jede Sicherung hohe Gebäude erklimmen. Regisseur Jeff Zimbalist und DoP Renato Borrayo Serrano drehten für Netflix den Dokumentarfilm „Skywalkers“ über die Beziehung der beiden und ihr Vorhaben, einen 118-stöckigen Wolkenkratzer in Kuala Lumpur zu bezwingen. Wir sprachen für das Heft 11.2024 mit DoP Borrayo Serrano über seine visuellen Einflüsse auf die von den Influencern selbst erstellten Aufnahmen, sein eigenes Kamerakonzept und über die Psychologie hinter dem Projekt.

Zwei Rooftopper auf einem hohen Gebäude
Foto: Netflix

„Rooftopping“ ist in ein hochgradig lebensgefährlicher Trend aus den 2010er Jahren. In den Zeiten der boomenden Social-Media-Kanäle begannen vor allem russische, ukrainische und chinesische Jugendliche, ohne Sicherung mauf Hochhäuser, Antennen und Gerüste zu klettern. Davon machten sie Fotos und Videos und stellten diese ins Netz. Bald fanden sich Nachahmer, bald begann auch das Spiel mder ständigen Überbietung bezüglich Höhe und Risiko, sehr bald gab es die ersten Todesfälle. Die hielten aber die wenigsten „Roofer“ davon ab, unbeirrt weiterzumachen.

Die Influencer Angela Nikolau und Ivan Beerkus gehören zu den Superstars in dieser fragwürdigen Disziplin. Bekannt wurden sie zunächst unabhängig voneinander über ihre Social-Media-Accounts, auf denen sie hunderttausende Follower sammelten. So wurde auch Mitte der 2010er der US-Dokumentarfilmer Jeff Zimbalist auf sie aufmerksam und folgte ihren einzelnen Accounts. Zimbalist bemerkte, dass die beiden Einzelgänger Angela und Ivan schließlich ein Paar wurden. Zimbalist nahm Kontakt zu den beiden auf und gewann sie für sein Vorhaben, über ihre Beziehung einen Dokumentarfilm zu drehen.

Co-Regisseurin Maria Bukhonina, Angela Nikolau, Regis- seur Jeff Zimbalist, Ivan Beerkus und DoP Renato Borrayo Serrano
Gruppenfoto bei der Vorbereitung: Co-Regisseurin Maria Bukhonina, Angela Nikolau, Regis-
seur Jeff Zimbalist, Ivan Beerkus und DoP Renato Borrayo Serrano (Foto: Netflix)

Psychologisches Porträt

Doch für Zimbalist ergaben sich Herausforderungen, die er als US-Amerikaner nicht lösen konnte. Denn Angela und Ivan lebten in Russland, so dass er auf kurzfristige Entwicklungen nicht schnell genug reagieren konnte. Also holte er sich schon früh mit Maria Bukhonina eine Co-Regisseurin ins Boot. Sie stammt ursprünglich aus Sibirien und lebt seit 2011 in Los Angeles. Hier hatte sie schon Projekte in zahlreichen Ländern als Field Producer unterstützt und vor allem non-fiktionale Formate gedreht. Als gebürtige Russin fiel es ihr leichter, sich in der Heimat der beiden Rooftopper zu bewegen und sich mit Zimbalist abzuwechseln. Doch die beiden benötigten ein Kamerateam, das stets vor Ort sein würde.

Bukhonina hatte bereits mit dem Regisseur und DoP Renato Borrayo Serrano gearbeitet, der in Moskau lebte und arbeitete und daher als gute Ergänzung des Teams schien. Serrano wuchs in Guatemala auf, wusste schon früh, dass er sich in Richtung Film bewegen wollte und landete nach einigen Umwegen an der renommierten Moskauer Filmschule VGIK, die Größen wie Sergej Eisenstein oder Andrej Tarkovsky hervorbrachte.

Serrano studierte dort Dokumentarregie und schloss 2017 ab. Seitdem lebte er in Russland und arbeitete an non-fiktionalen Projekten. In 2021 veröffentlichte Serrano sein Doku-Debüt „Life of Ivanna“ über eine junge, sibirische Nomadin, die ihr traditionelles Leben durch den Klimawandel bedroht sieht. Bei dem Projekt führt Serrano auch die Kamera. 2021 zog Serrano nach Europa und lebt mittlerweile seit Sommer 2024 in Berlin. „Ich musste Russland aufgrund der zunehmenden politischen Schwierigkeiten verlassen“, so Serrano. „Als unabhängiger Dokumentarfilmer ist es nicht mehr leicht, dort seiner Arbeit nachzugehen.“

Filmstill aus "Skywalkers"
Mit der Sony 7C und FE 4/12-24 mmm Objektiv in luftiger Höhe: Angela Nikolau und Ivan Beerkus (Foto: Netflix)

Zimbalist und Bokhonina sahen in Serrano einen Kameramann, der eine enge Beziehung zu den beiden Rooftoppern aufbauen konnte. So kam Serrano um das Jahr 2019 herum in die Crew. Damals war nur klar, dass ein Film über die Liebesbeziehung der beiden entstehen solle. Alles andere, ganz abgesehen von den geopolitischen Verän- derungen der jüngsten Zeit, hatten sich noch nicht entwickelt. Die frühe Phase vor der Beziehung der beiden Rooftopper drehte ein gechartertes Team in Russland. Das Material wurde später für den Dokumentarfilm freigegeben.

Die erste Sequenz, die Serrano für den Film drehte, war das Zusammenziehen von Angela und Ivan in eine gemeinsame Wohnung. „Jeff war sehr daran interessiert, ein psychologisches Porträt der beiden zu zeichnen“, sagt DoP Serrano. „Ich wurde also zu einem Teil ihres alltäglichen Lebens.“ Als die US-Produktion in das Projekt einstieg, formulierten die Crewmitglieder, zu denen neben dem Regie-Doppel noch Co-DoP Pablo Royas gehörte, eine Art vertragliche Vereinbarung über die Verantwortung jedes Einzelnen für sich und die Produktion in Sachen Sicherheit – eine wichtige Richtlinie für die Crew, damit niemand sich zu etwas physisch oder auch „nur“ strafrechtlich Gefährlichem gezwungen sehen könnte. „Wir haben von Anfang an versucht zu verstehen, wie wir in einer Art interagieren können, die uns nicht gefährdet“, sagt Serrano. „Die beiden sind ,Extremkünstler‘, wenn man so will. Die haben eine Neigung, die Grenzen zu verschieben.“ Denn die Gesetze in anderen Ländern sind teils strenger als in den USA oder Europa. In Russland oder auch später in Malaysia gibt es empfindliche Strafen für Hausfriedensbruch und andere Taten, die bei den gefährlichen Aktionen unvermeidlich waren.

Technik und Gestaltung

Die Crew machte zu Beginn der Dreharbeiten viele Tests. Serrano und seine Crew probierten aus, welche Kamerasysteme und welche visuellen Konzepte sowohl für die Erzählung funktionieren als auch praktisch durch die Rooftopper selbst bedienbar waren. „Eines war klar: Niemand von der Filmcrew begab sich in physische Gefahr für die Ersteigungen der Hochhäuser oder Kräne“, so DoP Serrano. „Alles, was jenseits der persönlichen Sicherheit war, war für uns tabu. Wir haben nichts gemacht, was wir nicht für eine andere Doku auch mit der Kamera machen würden.“

Dreharbeiten zu "Skywalkers" auf einem Hochhaus
Die beiden Rooftopper bereiten sich in Bangkok auf die Besteigung des Merdaka 118 vor. DoP Serrano und vorn Regisseur Zimablist folgen ihnen. (Foto: Netflix)

Die ein oder andere Übertretung von Verboten ist jedoch bei Dokus manchmal nötig. Das war auch hier der Fall. „Es fiel uns bei den Tests schnell auf, dass die stärkste Erzählperspektive ohnehin die war, aus ihrer PoV den Aufstieg mitzuerleben.“ Hier wird das Publikum zum Teil des Duos, sieht ihnen in die Augen, verfolgt buchstäblich jeden Schritt und jeden Griff an die Querstreben des Krans oder der teils filigranen Metallleitern.

Als Hauptkamera diente eine Canon Cinema EOS C100. Zusätzlich kam eine Canon C70 zum Einsatz, die einen noch besseren Formfaktor hatte. Zusätzlich waren kleine Digitalkameras, Smartphones wie das iPhone 14 Pro und Action-Cams wie die GoPro Hero 11 Teil des technischen Portfolios.

Die meisten Drohnenaufnahmen stammen von Ivan Beerkus selbst, dem Serrano eine hervorragende Expertise als Drohnenpilot und -kameramann zuschreibt. Selbst mit wenig Schlaf und unter Zeitdruck konnte der gebürtige Russe seine DJI Mavic 3 Pro noch traumwandlerisch sicher fliegen und vorprogrammieren. Diese kam vor allem an Orten zum Einsatz, wo von außen keine andere Möglichkeit vorhanden war, Drohnen zum Einsatz zu bringen. An manchen der Orte gibt es No-Fly-Zones, wo eine Drohne ohne illegale Hacks gar nicht aufsteigen konnte. [15493]


Möchten Sie mehr darüber erfahren, wie DoP Renato Borrayo Serrano die Rooftopper-Doku „Skywalkers“ drehte? Hier gibt es weitere Informationen aus unserer Ausgabe 11.2024!


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