Seit vielen Jahren gilt der Eurovision Song Contest als Broadcast-Event der Extraklasse. Wir haben uns in der Ausgabe 10.2021 angeschaut, wie die Live-Produktion beim diesjährigen ESC in Rotterdam vonstatten ging und die technische Umsetzung dabei aussah.
Live-Performances von Songs so lebhaft und perfekt wie möglich in die Wohnzimmer dieser Welt transportieren: Das ist seit jeher die Prämisse des Eurovision Song Contest. Dabei könnte man fast annehmen, dass mittlerweile eher die Show als die eigentlichen Songs der teilnehmenden Staaten im Vordergrund stehen. Viele Kameras, viel Licht und viel Perfektion sollen das beste Fernseh-Erlebnis für die Zuschauenden garantieren. Der Grundgedanke jedoch ist einfach: Das beste Lied soll prämiert werden. Nachdem coronabedingt im vergangenen Jahr das Event ausfallen musste, war es dann im Mai in Rotterdam soweit, und das sogar mit 3. 500 Zuschauerinnen und Zuschauern. Die EBU hat auch in diesem Jahr gezeigt, was mit Planungsleistung, Budget, Zeit und Technik alles möglich ist.
Die Übertragung wurde in diesem Jahr mit EMG und NEP von zwei der weltweit größten Live-Produktions-Unternehmen übernommen. Produziert wurde das Spektakel in Full HD. Damit alles sicher vonstatten gehen konnte, wurde die komplette Übertragungstechnik dupliziert, inklusive des Ü-Wagens. So konnte bei schwerwiegenden Problemen mit wenigen Handgriffen vom NEP UHD1 auf den UHD2 umgeschaltet werden. Auch sämtliche Arbeitsplätze neben der Regie und der Bildmischung gab es doppelt und wurden coronabedingt zum Teil aus dem Ü-Wagen heraus in andere Räumlichkeiten verlegt.
Für den niederländischen Head of Broadcast Gijs Vos war das Großevent alles andere als normales Tagesgeschäft: „Zweifellos war es schwierig, die komplette Produktion sicher während der Corona-Pandemie durchzuführen. Dazu kommt, dass auch für routinierte Fachleute der ESC eine besondere Produktion ist. Dazu gehört für mich und das gesamte Team natürlich auch entsprechende Nervosität.“ Schließlich wurde das Event in über 60 Länder übertragen.
Kameratechnik
Für die Live-Übertragung kamen insgesamt 25 Kameras vor Ort zum Einsatz, überwiegend Grass Valley LDX Kameras, die von niederländischem Personal bedient wurden. Lediglich für spezielle Kamera-Systeme reiste die ukrainische Firma OperTec mit Personal und Equipment an. Das Team von Elena Miloradova umfasste beim ESC 20 Personen, die dafür verantwortlich waren, die Spezial-Kamerasysteme zu installieren, zu bedienen und zu warten. So wurden vor allem die zwei vorhandenen Teleskop-Kräne vom ukrainischen Team bedient.
OperTec ist nicht nur auf die Vermietung und Wartung von Spezial-Kamera-Equipment spezialisiert, sondern kann auch auf genaue Kunden-Anforderungen eigene Produkte entwickeln. So wurde eigens für den ESC ein robotisches Schienen-Pedestal-System gefertigt, auf dem nebeneinander zwei Kameras auf stabilisierten Köpfen und separaten Hubsäulen Platz finden können. Die entsprechenden Schienen wurden in einem Halbkreis vor der Hauptbühne verlegt. Zusätzlich sorgte OperTec für weitere Spezialkamera-Lösungen. Direkt über der Bühne wurde eine Kamera mit 3-Achsen-Kopf installiert und lieferte Top-Down-Shots. Darüber hinaus stand ein 2D-Kabelkamera-System mit einem 4-Achs-stabilisierten Kopf zur Verfügung, mit dem Kamerabewegungen durch die komplette Halle möglich waren, einschließlich Höhenänderungen bei den Fahrten. Zusätzlich standen eine Railcam mit Gyrohead und ein Speed Dolly mit teleskopischer Höhenverstellung bereit.
Für zusätzliche Augmented-Reality-Effekte wurden drei der verwendeten Kameras getrackt. So konnten große Bauten wie eine Brücke virtuell in die Rotterdamer Ahoy-Arena gebracht werden. Dabei wurden die ergänzenden Inhalte über das NEP-Surreal-System bereitgestellt. Die darzustellenden Inhalte werden bei diesem System mithilfe des Unreal Engines generiert. Die Verantwortung der gesamten Content-Produktion lag beim diesjährigen ESC beim Hamburger Unternehmen Gravity, das neben dem für die größten Casting-Shows der Welt arbeitet. Verantwortlicher ist Falk Rosenthal. Für ihn begann die Arbeit bereits ein halbes Jahr vor dem Finale – eine stressige Zeit. So mussten für die Delegationen aller teilnehmenden Länder innerhalb von einer Woche die komplette Bühnen-Performance inklusive des Zusatz-Contents erarbeitet werden.
Bildmischung
Beim diesjährigen ESC wurden die Bildmischung und Cue- Steuerung über das System CuePilot gesteuert. Das ist grundsätzlich nichts Neues, denn darauf setzt man beim ESC schon seit Jahren. In CuePilot wurde vor den Live-Shows jede einzelne Darbietung vorbereitet und ähnlich wie in einem Schnittprogramm angelegt. Dafür wurde das komplette Kamerapersonal mit Tablets ausgestattet, auf denen sie sehen konnten, welche Einstellung sie als Nächstes einrichten mussten und wann sie im Programm sein würden. Daher konnte auch jederzeit so geschnitten werden, dass die zwei Steadicam-Operatoren nie im Bild zu sehen waren. Jeder Abgang und jede Einstellung nach den Steadicam-Bildern waren vorherbestimmt.
Die reinen Schnitte werden dann auch von CuePilot an den Videomischer weitergegeben, der diese dann ausführt. Daher rührt auch die fast schon einem Musikvideo ähnelnde Produktionsweise des ESC. Neu hinzugekommen ist die Möglichkeit, auch LED-Wände über CuePilot zu triggern. So konnte neben der Hintergrund-LED-Wand mit 12 Metern Höhe auch der Inhalt des Bodens der Haupt-Stage angesteuert werden. Dadurch wurde etwa auch ermöglicht, unter den Füßen der Künstler und sonstigem Bühnenpersonal entsprechende Positions-Marken und Zeit-Informationen für die Auftritte anzuzeigen. Außerdem konnten so die Inhalte der LED-Wände genau mit den Live-Schnitten korrespondieren. [14816]