Mitte September kommt “Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm” von Joachim Lang in die Kinos. Noemi Hampel hat das Sounddesign zum Film gemacht. Hannah Baumgartner hat sie für unser Heft 6/2018 in Berlin getroffen und dabei erfahren, warum Autos aus den 1950er Jahren ihre Spezialität sind.
(Bild: SWR)Welche Vorgaben hat die Story von “Mackie Messer” für dein Sounddesign gemacht?
Brecht wollte die Dreigroschenoper ursprünglich verfilmen lassen, hatte sich aber mit den Produzenten überworfen und durch den Kriegsbeginn kam es nicht mehr dazu. Der Film ist eine Mischung aus Dokumentaranteilen und Spielfilmsequenzen: der Streit zwischen Brecht und den Produzenten eher dokumentarisch im Vordergrund, und fiktional, wie Brecht sich die Verfilmung damals vorgestellt hatte. Dadurch spielt der Film einmal im Berlin der 1920er / 1930er Jahre, und dann wiederum in der Dreigroschenoper, zur Jahrhundertwende in London.
Wie hat sich denn die Welt vor 100 Jahren angehört?
Sich in eine Klangkulisse einzufühlen ist wichtig. Man muss sich zurechtfinden. Also habe ich für die 1920er Jahre recherchiert: welche Autotypen gab es, wie klangen die? Bei Youtube gibt es Videos von Liebhabern, die da mit ihren Oldtimern und Autos fahren, wo man sich Autosounds anhören kann. Oder: wie klang die Schreibmaschine, die Telefonklingel? Im Prinzip mache ich etwas ähnliches, was die Requisite am Set macht: tonale Requisiten sammeln.
Ist dir ein realistisches Abbild der 1920er Jahre gelungen?
Bei manchen Filmen ist es gar nicht wichtig, wie realistisch die Töne klingen. Beim Dreigroschenfilm zum Beispiel gibt es Szenen, die im London der Jahrhundertwende spielen. Die sind teilweise dermaßen überzogen, dass ich das auch im Ton gemacht habe: man hört da mal eine Nachtigall oder einen heulenden Wolf, so Farbtupfer im Ton, die das Bild noch unterstreichen. Die Berliner Szenen sind relativ realistisch, fast neutral gehalten, nicht so sehr farbig vom Ton her. Aber die Londoner Töne sind fast wie eine Zirkusaufführung! Es gibt viele Töne, viel mehr im Surround, viel übertriebener, richtig knallig sozusagen. Alles ist einfach ein bisschen überzogen und auf keinen Fall realistisch – wie Brecht es vielleicht auch gewollt hätte.
Was war sonst noch außergewöhnlich?
Beim Dreigroschenfilm gibt es sehr viel Dialog – der Film sollte satt klingen, aber es gibt kaum Stellen ohne Dialog. Das war eine Herausforderung, den Film voll und laut klingen zu lassen, ohne dabei den Dialog, der oft sehr, sehr leise ist, zu stören. Ich höre ganz viel mit dem Bauch. Wie klingt so eine Atmosphäre, hat sie etwas Düsteres, etwas Fröhliches – das können Töne wirklich ausdrücken. Außerdem analysiert man die Realität, was gibt’s für hohe Frequenzen, was sind die tiefen Frequenzanteile? So setze ich auch meine Atmosphären wieder zusammen. Ich bediene alle Frequenzbereiche, spare dabei allerdings den Sprachbereich etwas aus. Wenn ich viel Krach haben will in einer Szene, die auch viel Dialog enthält, dann nehme ich eher die tiefen Frequenzen und drapiere um die Wörter herum noch einzelne Geräusche, damit der Dialog nicht verdeckt wird.
Wie gehst du generell vor? Wie funktioniert Sounddesign?
Ich fange mit einer leeren Session an, baue meistens erst die Atmos, probiere aus und schaue, dass ich vom Ton her eine schöne Atmosphäre bekomme, die auch ausstrahlt, was der Film für den Moment sagen will. Wenn das eine düstere Szene ist, dann versuche ich das natürlich auch zu unterstreichen. Und bei romantischen Szenen gestalte ich die Atmosphäre auch ein bisschen heller.
Das klingt einfacher, als es wahrscheinlich ist. Wie genau gestaltest du denn diese Atmosphären?
Die Atmos sind das Grundgerüst: Erst einmal das Rauschen. Auch in jeder Innenszene hast du dieses Raum-Rauschen, welches den Raum ausmacht. Oder Wind, den zähle ich auch mit zum Grundrauschen. Und dann kommt alles andere noch dazu: Blätterrascheln, Meeresrauschen, Verkehrsrauschen. Das sind auch Atmosphären, aber bereits konkretere als das Grundrauschen. Diese Rausch-Atmos lasse ich im dreidimensionalen Raum langsam wandern, damit kein statisches Rauschen entsteht, sondern sich die Atmosphäre ein bisschen bewegt und es organisch wirkt, so wie eine Wolke. Wenn eine Atmosphäre aus mehreren Elementen besteht, platziere ich auch die im Raum, lasse sie durch den Raum wandern und filtere sie auch währenddessen, so dass dieses Grundrauschen eine wirklich organische, lebendige Masse wird. Und dann gibt es noch die Ebenen mit den Einzelgeräuschen, die man punktuell wahrnimmt, eine Hupe, eine Vogel, ein Auto, einzelne Töne, die dem gesamten Bild Farbe verleihen. Und auch Szenen unterstreichen können: Zum Beispiel so eine Gesprächspause, so eine peinliche Stille, die kannst du natürlich still lassen, du kannst aber auch inmitten diese Stille ein kleines Geräusch setzten, die unterstreicht dann die Stimmung dieser Stille nochmal. Man kann mit kleinen Geräuschen ganz irre Effekte erzielen. [5193]
Lesen Sie übermorgen den zweiten Teil des Interviews mit Noemi Hampel.