DoP Ben Bernhard dreht Dokumentarfilm mit Regisseur Viktor Kossakowsky
Mit der Kamera am Mast
von Gisela Wehrl,
Der russische Regisseur Victor Kossakovsky macht in seinem Kinodokumentarfilm „Aquarela“ das Wasser zu seinem Protagonisten. Dafür begab er sich mit Kameramann Ben Bernhard auf gefährliche Dreharbeiten in sieben verschiedene Länder. Gleichzeitig wurden die beiden zu Pionieren in „High Frame Rate“.
„Wir drehen mit Kinoanspruch für den größtmöglichen Screen an den entlegensten Ecken der Welt“, das ist für den Berliner DoP Ben Bernhard die größte Herausforderung bei allen Dreharbeiten mit Victor Kossakovsky. Denn bei der Bildqualität gibt es für den russischen Ausnahme-Regisseur keine Kompromisse, nach der Deutschlandpremiere bei DOK Leipzig betont er: „Wir müssen beweisen, dass eben nicht jeder mit einem Mobiltelefon einen Kinofilm machen kann.“ Für seinen Mit-Kameramann Bernhard bedeutet das: „Natürlich könnte man wie manch anderer eine GoPro auf den Segelmast hängen, aber nein, bei uns kommt da eine ALEXA Mini an den Mast!“ Von den gefrorenen Wassern des russischen Baikalsees über eine spektakuläre Segelreise über den Atlantik, nach Miami inmitten des wütenden Hurrikans „Irma“ bis zu den mächtigen „Salto Ángel“-Wasserfällen in Venezuela ist Wasser dabei die Hauptfigur von „Aquarela“ und ist in jedem einzelnen Frame zu sehen.
KOSSAKOVSKYS REGELN
Kossakovsky kämpft mit Leidenschaft für ein Kino, das sich auf die Kraft der Bilder einlässt. „Das Kino ist nicht dafür da, Geschichten zu erzählen“, betont Kossakovsky. „Das Kino soll den Menschen das zeigen, was sie außerhalb des Kinos niemals sehen könnten.“ Die zweite Regel seiner viel diskutierten „10 Regeln für Dokumentarfilme“ ist daher auch: „Filme nicht, wenn du etwas sagen willst – sondern sage es oder schreibe es.“ Daher formuliert Kossakovsky auch nicht gerne Treatments oder Drehbücher, jene Texte also, die Fernsehsender und Förderer für die Finanzierung sehen wollen. Für „Aquarela“ schrieb Kossakovsky nur ein Zitat von Isaac Newton auf: „Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean.“ Und obwohl, und auch gerade weil Kossakovsky seine Filme nicht als Narration gestaltet, erzählt „Aqua- rela“ sehr eindrucksvoll viel über die Kraft der Natur und über die Folgen des Klimawandels: „Wenn das Wasser verschwindet, werden wir nur noch sieben Tage leben, jeder von uns“, sagt Kossakovsky.
EINBRUCH INS EIS
„Wasser kann dich einerseits töten, dir andererseits aber auch etwas ganz Wunderbares zeigen“, beschreibt er seine Faszination für das Element. Für „Aquarela“ nahm er ein Zitat aus seinem Film „¡Vivan las antípodas!“ zum Ausgangspunkt, für den Kossakovsky 2012 mit dem Deutschen Kamerapreis aus- gezeichnet worden ist, Bernhard war damals noch als Kamera-Supervisor mit dabei. Ein Mädchen erzählt ihrer Mutter, dass sie als Wasser wiedergeboren werden möchte, während die Kamera den Baikalsee zeigt. Kossakovsky wollte die kristallklare, dicke Eisschicht filmen, die den See bedeckt.
Doch dann beobachtete er, wie ein Auto ins Eis des fast 32.000 Quadratmeter großen Baikalsees einbrach. Die Fahrt über den zugefrorenen See ist verboten, warum machen es die Leute dennoch? „Ich musste Zigaretten kaufen“, hat der Fahrer geantwortet. In den zwei Wochen Dreharbeiten dort brachen neun Autos ins Eis ein. Und in einem davon ertrank einer, vor den Augen der Crew. Und ab da konnte es für Kossakovsky nicht mehr nur um die Schönheit des Wassers gehen, sondern er wollte ebenso die zerstörerische Kraft schildern. „Bring dennoch auch deine Postkarten mit nach Hause“, zog der Regisseur seinen Kameramann auf, wenn der trotzdem immer wieder auch Einstellungen drehte, die einfach nur die Schönheit des Wassers zeigten.
Die beiden teilen sich den Titel als „Director of Photography“ gleichberechtigt. Sie entwickeln gemeinsam die Vision, Bernhard ist für die praktische Umsetzung zuständig, nur selten drehen sie gemeinsam gleichzeitig mit zwei Kameras. „Manchmal stehen wir beide vor der Kamera und sehen uns an, wer denn jetzt rangehen will“, erzählt Bernhard. „Ben ist jünger. Immer, wenn ich nicht springen konnte, ist er gesprungen“, sagt Kossakovsky.
WASSER ALS TECHNIK-FEIND
Das Wasser, das für die Crew nicht ungefährlich war, ist auch der natürliche Feind jeder Technik. „Egal, ob hinterm Wasserfall, mitten auf dem See oder auf dem Segelboot, es war jederzeit die Möglichkeit, dass du samt Kamera nass wirst“, betont Bernhard: „Darauf mussten wir immer vorbereitet sein.“ Bernhard recherchierte in alle Richtungen, weil viel Equipment aus dem szenischen Bereich zu kompliziert, zu groß oder zu teuer gewesen wäre. Er probierte im Verlauf der Dreharbeiten fünf verschiedene Unterwasser-Housings durch sowie zahlreiche Formen von Spritzwasserschutz. Die Kameracrew hatte viel Equipment dabei, ein Teil eigens angefertigt. Die Kamera war mit den Wasser-Housings so eingepackt, dass der Focus Puller einen wasserfesten externen Monitor brauchte: „Wir haben Peli Cases gekauft und aufgeschnitten, Plexiglas- Scheiben reingeklebt, Videofunk reingebastelt und alles wasserdicht verpackt“, erzählt Bernhard: „Wir haben auch Unterwasser-Gimbals verwendet, um die Freiheit zu haben, die Shots zu drehen, die wir wollten“, sagt der Kameramann: „Aber wir haben auch oft gesehen, dass selbst all das ganze teure Material nicht perfekt ist und dir manchmal nicht weiterhilft.“ Am größten Wasserfall der Welt funktionierte drei Tage keine der Gimbal- und Rigging-Lösungen wie sie sollte, also bauten sie eine Seil- konstruktion, verstärkt mit Ästen.
Um für den Dreh auf dem Segelboot vorbereitet zu sein, konnte er es vorab zwei Tage im Hafen in Portugal für ein Scouting nutzen. Danach verbrachte er einige Tage in der Grip-Abteilung bei ARRI Rental, um alle Möglichkeiten durchzugehen: „Die Frage war immer, wie wir die Riggings hinbekommen, die wir haben wollen.“ Und klar war, ein landläufiger Remote Head mit Bildstabilisierung würde das Salzwasser des Meeres auf keinen Fall überstehen. „Wir haben uns gefragt, wie die Marine das macht. Die wollen auf hoher See ja auch nicht danebenschießen“, witzelt Bernhard.
So kamen sie auf die Kamerastabilisierung von „The Perfect Horizon“. Die basiert auf Technik, die eben auch Waffen im Gefecht auf hoher See ruhig hält und sonst in Blockbustern wie „Harry Potter“ oder „Tribute von Panem“ verwendet worden ist. „Wir hatten auf dem Segelschiff natürlich weder Platz noch Budget für einen ‚Perfect Horizon‘-Operator“, erzählt Bernhard, der sich deshalb beim Hersteller am Stabilisator ausbilden ließ. Auch beim sonstigen Bühnen-Equipment musste der DoP ungewöhnliche Wege gehen, weil das ebenfalls kein Salzwasser verträgt. Er verwandte viele Selbstbauten von Surf-Filmern. Trotzdem: „Jede Nacht musste jede einzelne Schraube gereinigt werden“, sagt Kossakovsky: „Außer mir hat die ganze Crew geputzt, dafür haben sie aber meine Badewanne okkupiert.“
DIE ALEXA AM MAST
Die Robustheit der ARRI-Kameras spielte bei der Wahl der Kamera für Bernhard eine entscheidende Rolle, gerade, dass die innere Einheit gegen Feuchtigkeit versiegelt ist. Zudem konnten vor fünf Jahren, als das Projekt anfing, noch nicht so viele Kamera stetig stabil in Highspeed aufzeichnen, erinnert sich Bernhard. „Und der ARRI-Sensor wird immer konstant auf gleicher Betriebstemperatur gehalten, egal ob im Eis oder der Wüste, was bei unseren Anforderungen an die Kamera ein extrem wichtiger Punkt für die Verlässlichkeit war. Außerdem geht die ALEXA mit den Highlights toll um, gerade bei Wasser“, sagt Bern- hard: „Und wir haben die Kamera mehrfach in Extremsituationen gebracht!“ Teilweise haben sich die Kameras auf 50 Grad aufgeheizt, weil die Kamera im Spritzwasserschutz eingequetscht wurde und nicht lüften konnte. „Die AMIRA und die ALEXAs haben immer funktioniert!“ Bei dem Hauptdreh, der 2016 und 2017 stattfand, kamen die ARRI ALEXA XT, ALEXA M, ALEXA Mini, die AMIRA und bei einem Block auch eine Phantom von Pille Filmgeräteverleih zum Einsatz. Die ALEXA M hat sogar drei große Stürme und 24 Tage draußen bei Wind und Wetter am Mast überlebt – gut eingepackt natürlich. Bernhard befestigte sie dort noch im Hafen, während der mehr als dreiwöchigen Fahrt hängten sie die Kamera samt Wasserschutz noch mal an den zweiten Mast. Bernhard gibt zu: „Den Leuten von ARRI habe ich das erst gestanden, als die Kamera wieder heil zurück im Rental war, wobei denen bestimmt schon klar war, dass wir solche Sachen vorhatten.“ Natürlich konnte die Crew auf hoher See nicht einfach auf den Mast klettern, um die Linse zu putzen. Bernhard entwickelte im Vorfeld ein System aus einem Kompressor und Schläuchen. Durch die Druckluft konnten die Objetive wasserfrei geblasen werden.