Beim Edimotion Festival für Filmschnitt und Montagekunst wurde die Editorin Gisela Zick für ihr Lebenswerk mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Wir sprachen mit ihr in unserer Ausgabe 11.2023 über prägende Zusammenarbeiten, das Bücherlesen und die Gefahren der Routine.
Deine erste lange fiktionale Montagearbeit ist der Tatort „Tote reisen nicht umsonst“ von Regisseur Rolf von Sydow. Seine Fernsehpremiere hatte der Film im September 1980 als Produktion des SR. Er spielt im Grenzgebiet zwischen dem Saarland und Frankreich und ist unter anderem deshalb so interessant, weil er in Teilen mehrsprachig erzählt ist und in beiden Län dern gedreht wurde. Wie ist die Zusammenarbeit an diesem Filmprojekt entstanden? Ich habe meine Ausbildung beim Saarländischen Rundfunk begonnen, in der Abteilung „Aktuelles und Dokumentationen“, wollte aber unbedingt auch mit Spielfilm zu tun haben. Ich habe häufig beobachtet, wie eine bunte Gruppe von Menschen gegen Abend zum Sichten von Mustern gegangen ist. Diese „Gruppe“, erschien mir so verlockend, da wollte ich hin. Ich bekam dann die Chance, bei einem Spielfilm im Schneideraum zu assistieren. Die Arbeitsweise war noch komplett anders als heute. Wir mussten mit weißer Tusche bei allen sechzig Bildern auf die Perforation die Klappennummer schreiben und die laufenden Nummern von Bild und Ton, um zuerst das Material überhaupt synchron zu haben. Danach durfte ich mit dem Regisseur Rolf von Sydow selbst einen Spielfilm schneiden.
Wiederkehrende Zusammenarbeiten mit Menschen aus der Branche scheinen sich seitdem durch deine Karriere zu ziehen. Dazu gehören zahlreiche Regiepersonen, Kameraleute und Redaktionen. Am prägendsten ist wohl deine häufige Zusammenarbeit mit Andreas Kleinert. Wie ist das entstanden? Wir haben uns 1996 in München kennengelernt. Er machte einen Essayfilm „Denk ich an Deutschland“. Den haben wir zusammen geschnitten. Ich habe ihn zum Avid-Schnitt überredet und er war dann von den Möglichkeiten ganz begeistert.
Du warst schnell begeistert von den Chancen, die der digitale Schnitt bietet. Was bedeuten für dich die technischen und künstlerischen Möglichkeiten des Digitalen in der Filmmontage? Frank Strecker hat mich eines Tages mitgenommen in den Schneideraum, in dem er am Avid an einem Projekt gearbeitet hat. Als ich das zum ersten Mal gesehen habe, das war magisch! Ich wusste, das will ich unbedingt lernen. Vorher war das Einrollen und Ausrollen von Filmstreifen in Kästen jeden Tag so mühsam. Die neue Technik hat viele Vorteile geboten. Man konnte mehrere Versionen einer Szene machen, das war super. Mittlerweile sind die Vorteile des Digitalen aber so überbordend geworden. Es ist erstaunlich, was man alles machen kann. Zum Beispiel all die Effekte! Es ist schön, wenn man sie benutzen kann, wenn es Gründe für sie gibt.
Du arbeitest gerade an einem Film, der sich mit Franz Kafka beschäf tigt. Liest du dich dann während dessen auch noch einmal in Literatur von Kafka ein? Wie war das bei Thomas Brasch und der Arbeit an „Lieber Thomas“? Ja, bei Thomas Brasch habe ich mir viele Bücher gekauft, auch die ganze Lyrik. „Vor den Vätern sterben die Söhne“ war zum Beispiel interessant.
Welche Auswirkungen hat das dann für die Montage und vor allem für die Entwicklung der Filmfigur? Er reicht man auf diese Art und Weise dann eine tiefere Verbindung zu Filmcharakteren? Ich glaube schon, dass einem der Mensch näher kommt. In „Lieber Thomas“ fand ich eher besonders, dass im Drehbuch die Zeit aus dem Ost-Blickwinkel erzählt wurde. Das war für mich enorm interessant, denn ich bin ja im Westen sozialisiert worden. Wir hatten keine Verwandten dort. Ich fand interessant, wie Brasch die Mauer sah: Wir sind doch auf der richtigen Seite der Mauer. Die Mauer hat Recht. Thomas Brasch wäre sicher in der DDR geblieben, wenn er veröffentlicht worden wäre. Er wollte nicht weg.
Du standest schon als Achtjährige im Jugendfunk vor der Kamera und hast auch selber als Studioregisseurin gearbeitet. Du kennst also die verschiedensten Perspektiven auf die Filmarbeit aus der Praxis. Was bedeutet das für deine Arbeit als Editorin? Andreas Kleinert sagte zu mir: Du guckst nicht wie eine Editorin, du guckst wie eine Regisseurin. Das kann sein, denn das ist alles, womit ich je zu tun hatte. Ich habe ja viele Jahre als Regie-Assistentin gearbeitet. Alles fließt mit in die Montagearbeit ein. Und ich gucke natürlich auch so auf die Schauspieler. Ich habe viel Respekt vor diesem Beruf.
Hat das damit zu tun, dass du durch deine unterschiedlichen Tätigkeiten nachvollziehen kannst, wie das Material am Set entstanden ist? Dieses „sich zurücknehmen“, was ja auch zum Beruf der Editorin gehört, wie gehst du damit dann in der Zusammenarbeit um? Es geht immer um die Sache, die Geschichte, das Beste daraus zu machen. Ich bin dazu da, dem Regisseur, der Regisseurin zu helfen, ihren Film zu machen. Es muss harmonisch in der Zusammenarbeit gemeinsam zum Ende kommen. Man muss schon eine Haltung zu dem Thema und den Menschen haben, die darin spielen.
Die Zusammenarbeit zwischen Regie und Filmmontage ist eine sehr besondere und auch sehr intensive Kollaboration. Muss man in der Weltsicht einer Meinung sein zwischen Regie und Editorin? Wie klopfst du das ab und wie findest du deine Einschätzung?
Bevor man anfängt, muss man sich kennenlernen. Man muss über das Leben sprechen, wie man die Welt sieht. Und das kann auch manchmal schiefgehen. Man muss schon vorher versuchen rauszufinden, ob es passen kann.
Im Jahr 2005 warst du zum Beispiel mit dem Kinospielfilm „Milchwald“ nominiert bei Filmplus, heute Edimotion. Der Film ist eine Zusammenarbeit mit Regisseur Christoph Hochhäusler. Welche Erinnerungen hast du an den Festivalbesuch in Köln?
Gott sei Dank war Christoph auch da. Er hat mich dort unterstützt. Der Schnitt des Films war sehr umstritten. Christoph weiß ganz genau, was er als Regisseur will und was er nicht will. Ich habe oft zu ihm gesagt: „Du brauchst mich gar nicht, du kannst das selber machen.“ Mir hat die besondere Art gefallen, wie er auf die Optik in seinem Film geblickt hat. Wenn beispielsweise jemand den Kopf auf ein Kissen legt und wieder wegnimmt, dass man dann sieht, wie sich das Kissen langsam wieder zurückformt. Solche Details waren ihm ganz wichtig.
Um noch einmal zum Herzstück zurückzukehren und damit zu dem, was allem zu Grunde liegt, dem gefilmten Material: Kannst du deinen Blick auf die Szenen und Muster etwas beleuchten? Wie näherst du dich bei der Sichtung eines Projekts an? Sortierst du dann beispielsweise direkt schon während des Sehens im Kopf einzelne Elemente?
Ich gucke mir die Muster täglich an, ich gucke mir auch vorher an, was sie drehen wollen und bilde mir da schon eine Meinung. Ich gucke aber auch noch einmal genau jede Klappe an, wenn ich die Szene schneide. Es kann passieren, dass ich etwas nicht richtig erkannt habe, was der Regisseur sich vorgestellt hat, oder etwas gesucht wird, was es gar nicht gibt. Wenn er zum Beispiel wollte, dass zwei Figuren miteinander flirten, dann wird gesucht, ob man etwas findet, wo sie vielleicht flirten oder was man so deuten könnte. Dann kann es passieren, dass ich das beim ersten Sehen gar nicht so ernst genommen habe, dass da geflirtet wurde. Meistens wissen die Regisseure sehr exakt, was gedreht wurde.
Du hast im Band „Filmschnitt: Bekenntnisse“ beschrieben, dass du immer begründen kannst, warum du einen Schnitt setzt und dass das auch mit der Filmarbeit mit Hark Bohn zu tun hat? Worauf beziehst du dich in dieser Erinnerung? Ja, wir haben in den 1970er Jahren bei einem gemeinsamen Projekt ein Dreivierteljahr lang geschnitten, das war ja noch im normalen Filmschnitt, am Schneidetisch. Gernot Roll war verantwortlich für die Kamera. Ich erinnere mich, dass es keine einzige Kamerafahrt gab, nur stehende Bilder. Wenn ich sagte: „Ach, das wäre schön, wenn wir jetzt hier schneiden!“, fragte Hark Bohm mich „Warum?“ Meine Antwort war: „Ach, ich fühle es jetzt.“ „Was fühlst du denn da? Kannst du mal deinen Verstand einschalten? Und kannst du mir mal erklären, warum wir da schneiden sollen?“ Dann habe ich mir Mühe geben müssen, es zu präzisieren und das tue ich bis heute.
Somit kommen wir wieder auf den Kopf und das Herz zurück. Das sind die beiden Energiezellen und Kräfte, aus denen anscheinend deine Arbeit besteht. Die Arbeit verbindet das Technische mit dem Emotionalen. Worauf achtest du, um dabei die Balance zu finden?
Man muss ja auch fühlen, was die Menschen erleben in den Szenen. Und man muss sich das auch noch merken, wenn man es dann später fünfzig Mal gesehen hat. Man muss sich das alles merken und fühlen, weiterhin fühlen. Es ist wichtig, dass Kopf und Herz wirklich in Verbindung sind.
Wie erreicht man das aber dann konkret? Immerhin muss man sich vor Augen führen, dass in der Monta ge immer auch mit erlernten Sehgewohnheiten, mit etablierten Erzählformen und Erwartungen des Publi kums zu rechnen ist. Wie nutzt oder vermeidet man eine gewisse Routine? Routine muss man ausschließen. Bei einen Film mit Götz George gab es einige Autofahrtszenen durch die Stadt. Die Figur, die Götz spielte, war in einer besonderen Stimmung. Ich konnte die Stimmung für meine Autofahrt nicht finden, wusste nicht, wie ich schneiden soll, um das Besondere zu finden. Dabei hatte ich schon sicher an die hundert Autofahrten in meinem Leben geschnitten. Ich bin im Raum immer auf und abgegangen und dachte nach. Ich rief eine Freundin an, fragte um Rat. Mir war klar, ich muss etwas im Material finden, was für diese Lebensphase, in der er sich jetzt befindet, passend erscheint. Ich suchte nach etwas, bei dem sich etwas verdichtet, auch im Kopf der Figur. Das waren dann zum Beispiel Lichter unter den Brücken und an den Schnellstraßen und ähnliche Bilder. Das klingt jetzt so banal, war aber gut.
Essenzieller Teil der Montagearbeit ist sicherlich das Probieren und das Präsentieren von erzählerischen Möglichkeiten, die dann getestet werden. Wie pro bierst du unterschiedliche Varianten?
Ich muss ausprobieren. Es war früher schön, wenn man eine Assistenz hatte. Es ist hilfreich, etwas zu zeigen. „Nein, der oder die, ist doch eben über die Straße gegangen oder Ähnliches. Das geht so nicht oder das geht anders besser.“ Am Schneidetisch verengt sich manchmal der Blick auf das, was sich jetzt gerade vor einem bewegt. Deshalb zeige ich das Material gerne anderen Leuten.
2022 wurde dir der Deutsche Filmpreis für die Montage von „Lieber Thomas“ verliehen. In deiner Dankes rede betonst du, wie viel Spaß die Arbeit an dem Film gemacht hat. Was machte denn so großen Spaß?
Ich liebe es, in den Szenen die feinen Stellen zu suchen und das dann zusammenzubasteln. Da können die Szenen noch so schwierig sein und die Herausforderung für das, was man erzählen will, noch so groß. Das mache ich für mein Leben gern. Deshalb habe ich auch noch nicht aufgehört, weil ich diese Arbeit so liebe. [15388]