Indie-Projekt über das tibetische Exil auf der RED Epic Dragon
Mit Herzblut in den Himalaya
von Redaktion,
DoP Amin Oussar drehte für Regisseur Marvin Litwak dessen Herzensprojekt „PAWO“ in Indien und Tibet auf der RED Epic Dragon. Warum ein deutscher Student einen Film über das tibetische Exil machte und wie anders die Arbeit am anderen Ende der Welt sein kann, darüber berichten sie in unserem Heft 6/2018.
Es geschah in Delhi, Indien, am anderen Ende der Welt. Am 26. März 2012 übergoss sich der Exiltibeter Jamphel Yeshi mit Benzin und setzte sich in Brand. Der junge Mann war 27, als er sich selbst tötete. Er wollte ein Zeichen setzen gegen die seit mehr als 60 Jahren andauernde Besetzung Tibets durch China. Marvin Litwak, Film/Regie-Student an der Ruhrakademie Dortmund, erfuhr davon aus einem Spiegel-Artikel. Litwak, zum Zeitpunkt der Geschehnisse selbst gerade 25, fragte sich, was einen Gleichaltrigen dazu bringt, sich auf solch grausame Weise umzubringen. Er recherchierte und stellte sich noch mehr Fragen. Warum wissen wir hier in Deutschland viel zu wenig von der Besetzung Tibets? Über die Geschichte, über die Menschen und über das Leid und die Not?
Für ihn war rasch klar: Er wollte einen Film darüber ma chen, Jamphel Yeshis Geschichte erzählen – aber nicht als Dokumentation. Es sollte ein Spielfilm entstehen, der die Situation der Tibeter fühlbar macht. “Ich wollte den Zuschauer anders ergreifen und ihn nachfühlen lassen, was es bedeutet, sein Heimatland verlassen zu müssen”, so Litwak. Keine fünf Wochen später saß Litwak im Flieger nach Ladakh. Die indische Provinz im Himalaya, die wegen ihrer tibetischen Kultur und der Gebirgslandschaft oft als “Klein-Tibet” bezeichnet wird, sollte als filmischer Ersatz für Tibet dienen, denn die chinesischen Behörden hätten die geplanten Dreharbeiten in Tibet selbst niemals genehmigt. Diese Reise war für Litwak neben der Vor- recherche vor allem aus einem Grund wichtig: “Ich als deutscher Junge komme jetzt da runter und erzähle eine tibetische Geschichte. Wollen die das überhaupt? Wie sehen die Tibeter das?” Die Befürchtung erledigte sich schnell. Schon bei diesem ersten Besuch erhielt Litwak von vielen Seiten Unterstützung, die ihn ermutigte, das Filmprojekt tatsächlich anzustoßen.
“PAWO” = HELD
Einer dieser Unterstützer war Sonam Tseten. Der tibetische Filmemacher war über zwei Dokumentarfilmer vor Ort kontaktiert worden, die ursprünglich Litwak ihre Hilfe angeboten hatten. Leider waren sie selbst zeitlich verhindert. So stellten sie stattdessen den Kontakt zu Tseten her. Litwak erzählte ihm vom Konzept und hatte einen Mitstreiter – einen der wichtigsten, wie sich herausstellen würde. Denn als Deutscher sprach Litwak kein Tibetisch und konnte somit später die Laiendarsteller nicht adäquat führen.
Litwak modellierte seine Geschichte um die Hauptfigur Dorjee nach dem Schicksal Jamphel Yeshis. Er sprach mit Freunden und Verwandten und besuchte sogar dessen ehemalige WG. Der Titel sollte “PAWO” sein, das tibetische Wort für Held.
Kurz nach der Rückkehr hatte der Regisseur bereits die erste Drehbuchfassung fertiggestellt. Diese legte er seinem DoP Amin Oussar auf den Tisch. Mit Oussar hatte er schon sein Abschlussprojekt „Klowinski“ umgesetzt. Zudem haben beide die gemeinsame Produktionsfirma Das Department, mit der sie Image- und Werbefilme umsetzen. Der Kameramann war gerade in seinem letzten Jahr an der FH Dortmund. Oussar erinnert sich an das erste Lesen des Buchs: “Die Vorstellung war sofort da, es war spannend. Ich habe gleich Ideen gehabt, wie ich dies und das machen wollte. Darum war es auch logisch, dass ich direkt mit Marvin mal hinfliege und mir das angucke.”
Dieser Recherchedreh fand Anfang 2013 statt. Oussar nahm eine Canon EOS 5D Mark III mit, um einen Teaser-Trailer zu drehen: Einerseits, um damit hier in Deutschland auf die Suche nach finanzieller Unterstützung zu gehen, andererseits, um zu verstehen, wie die Dreharbeiten vor Ort funktionieren.
Denn es gab genügend Herausforderungen zu meistern. Das war dem kleinen Team aus Deutschland bewusst. Alle arbeiteten auf Rückstellung, bekamen einen kleinen Betrag, um die Miete zahlen zu können. Neben Litwak und Oussar flogen aus Deutschland Johannes Suntrup als Kameraassistent, Markus Limberger als Tonmeister, Benedict Drolshagen als Oberbeleuchter und Dustin Steinkühler als Produktionsleiter mit. Line-Producer vor Ort war Tenzin Khepakh.
Da war zum einen die Witterung. Das Team musste in den 32 Drehtagen sowohl 40 bis 50 Grad im Schatten in Delhi aushalten, als auch die Kälte von 4.500 Metern Höhenluft ertragen. Der Aufenthalt in den Bergen war für Litwak anstrengend, Höhenkrankheit inklusive. Glücklicherweise war er genau zum ersten Drehtag wieder einsatzbereit.
Litwak hatte entschieden, vor Ort mit Laiendarstellern zu arbeiten. Für ihn war wichtig, echte Menschen zu zeigen, die alle von der dargestellten Problematik betroffen sind. Also ließ er extra die Schauspieltrainerin Kathleen Renish einfliegen, damit diese die fünf Darsteller in einem zwei- wöchigen Crashkurs coachte. Hier war auch die Sprachbarriere problematisch, da Litwak als Regisseur nicht verstand, was die Tibeter vor der Kamera sagten. Co-Regisseur Sonam Tseten erarbeitete auf Grundlage des englischen Drehbuchs vorab mit den Darstellern die Szenen auf Tibetisch. “Ich habe dann auf ihre Mimik, auf ihr Spiel geachtet und darauf, dass man das Ganze schneiden konnte”, erklärt Marvin Litwak.
RED EPIC DRAGON 6K
DoP Amin Oussar wählte als Werkzeug die 2014 vor dem Dreh neu erschienene RED Epic Dragon 6K mit EF-Mount. Der mittlerweile in der IPP2 behobenen Problematik, dass im RED-Farbraum Hauttöne unter bestimmten Lichtumständen nicht wie gewollt erscheinen, war sich Oussar bewusst. “Aber als DoP hat man verschiedenste Mittel in der Toolbox, um das zu korrigieren”, sagt Oussar. Er habe gute Ergebnisse mit IR-Cut-Filtern, Polfiltern und individuellen Weißabgleichen gemacht.
Er wollte mit viel Auflösung arbeiten, um größtmögliche Optionen in der Postproduktion zu haben. Zudem wählten die beiden Kreativen 2,39:1 als Seitenverhältnis, das sie aber am Set und in der Post abcachten. Ein Dreh auf Anamorphoten wäre mit dem vorhandenen Budget nicht machbar gewesen. Stattdessen wählte Oussar einen 24–105-mm-Zoom von Canon sowie eine ZEISS-ZF2-Festbrennweite 35 mm. Beide sind vergleichsweise klein, was für das unauffällige Arbeiten wichtig war. “Die Objektive habe ich mir extra von Duclos Lenses in den USA umbauen lassen, die hatten clicklose Blende und einen guten Schärfering”, sagt DoP Oussar. Um auf der Straße nicht als Filmteam wahrgenommen zu werden, riggte Oussar die RED nicht auf, trug sogar den V-Mount-Akku am Gürtel, damit noch mehr der optische Eindruck einer Fotokamera erweckt würde. Perfekt wurde die Mimikry schließlich durch die Sonnenblende auf dem Objektiv.
Nur einmal geriet das Team ins Schwitzen. Das war nicht einmal während des Drehs. Beim Flug nach Ladakh wurde Amin Oussar von der Security aufgefordert, seinen Rucksack zu öffnen. Darin war die RED Epic und alles, was dazu gehörte. Marvin Litwak: “Der Sicherheitsbeamte sagte mit finsterer Miene: ‘Aufmachen! Aufmachen!’ Dann klemmte der Reißverschluss und die Situation wurde immer nervöser.” Oussar öffnete schließlich den Rucksack und das Team dachte, jetzt sei alles vorbei. Doch der Beamte schien sich für die große Kamera nicht zu interessieren. Er schaute auf seinen Monitor, fasste in die vordere Tasche und zog einen kleinen Schraubenzieher hervor. “Den dürfen sie nicht mitnehmen”, sagte er. Das Team versicherte ihm, das sei überhaupt kein Problem.
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Den zweiten Teil des Berichts zur Entstehung von “PAWO” gibt es morgen.
Ambitioniertes und gelungenes Projekt der hervorragenden Filmer Oussar und Litwak