Der dreifache Oscar-Gewinner Walter Murch gestaltete durch seine wegweisende Arbeit Klassiker des New Hollywood wie „Apocalypse Now“ und „The Conversation“. Auf dem SoundTrack_Cologne-Festival sprach Werner Busch mit ihm für unser Heft 10.2022 über den Beginn seiner Karriere, seine Pionierleistungen im Sounddesign und sein neues Buch.
Mr. Murch, Sie gehören unzweifelhaft zu einer goldenen Generation von amerikanischen Filmschaffenden. Die erste, die mit dem Fernsehen aufgewachsen ist und in den 1960er-Jahren die Möglichkeit hatte, an einer der drei großen Filmuniversitäten in den USA zu studieren. War es unausweichlich, damals jemandem wie George Lucas zu begegnen? Ich traf ihn 1965, zu Beginn meines Studiums an der USC in Los Angeles, als wir in einem Labor Fotografien entwickelten. Ich hantierte mit den Chemikalien, ohne ganz genau zu wissen, was ich da tat, als eine Stimme von hinten plötzlich sagte: „Du machst das falsch!“ Das war ein Kommilitone namens George Lucas und er hatte tatsächlich recht, ich machte etwas falsch. Wir mochten dieselben Filme und freundeten uns schnell an.
Ich interessierte mich an der Filmschule schon stark für die Bereiche Sound und Editing. Und gerade beim Ton war ich so ziemlich der Einzige dort, der sich damals dieser Fachrichtung widmen wollte. Deshalb wurde ich für alle Studierenden zur Person to-go-to, wenn sie die Tonspur ihrer Filme erstellten. George gewann ein Stipendium bei Warner Bros. und konnte dort sechs Monate arbeiten. Auf dem Studiogelände wurde er schnell auf einen anderen, jungen und bärtigen Mann aufmerksam, weil der gerne ein Megafon nutzte, um seine Regieanweisungen zu geben. Das war Francis Coppola, der gerade das Musical „Finian‘s Rainbow“ drehte. Die beiden „Beards“ hatten sofort einen guten Draht zueinander und gründeten 1969 die Produktionsfirma American Zoetrope.
„Zoetrope“ sollte schnell zu einem der Eckpfeiler des New Hollywood werden.
Ja, aber es war ein schwieriger Start. Einer der ersten Filme war „THX 1138“, für den ich zusammen mit George Lucas das Drehbuch schrieb, außerdem nahm ich Geräusche auf und mixte sie zu einer Sound-Montage. „THX“ zog viele Filmleute an, die ähnlich tickten wie wir, aber er verkaufte nur wenige Tickets. Unsere nächsten Spielfilm-Projekte, die wir mit Warner Bros. machen wollten, begeisterten dort plötzlich niemanden mehr. Darunter waren „Apocalypse Now“ und „The Conversation“. Es sah also so aus, als wären all unsere Träume schon nach zwei Jahren begraben. Zum Glück bekam Francis ein Angebot aus Hollywood, bei einem Mafia-Film Regie zu führen, „The Godfather“. Doch Francis hatte dazu überhaupt keine Lust. Ich erinnere mich an ein Dreiergespräch zwischen uns, in dem George Francis überzeugen wollte. Er sagte: „Tu einfach, was sie dir sagen, mach keinen Ärger. Take the money and run“. Zoetrope brauchte dringend das Geld und das Prestige. Und man muss es Francis hoch anrechnen, dass er nicht nur den Job übernahm, sondern sich in einen langen Kampf mit den Executives stürzte, um seine Version von „The Godfather“ zu liefern. Wie wir alle wollte er das amerikanische Kino europäisieren.
Mit dem gewaltigen Erfolg von „Der Pate“ öffneten sich vermutlich wieder einige Türen.
Durch den Erfolg des Films konnte Francis als nächstes sein Herzensprojekt „The Conversation“ drehen. Kein Studio hatte er den Film zuvor machen wollen, allen schien das Drehbuch „zu theoretisch“. Da es um einen Mann geht, der Menschen unter anderem mit Tongeräten überwacht, war der Filmton enorm wichtig – und somit auch ich. Ich konnte einige völlig neue Verfremdungseffekte einsetzen, die man beispielsweise in der Eröffnungsszene auf dem belebten Platz in der Stadt hört, da wir Digitalsound modulierten. Das war Anfang der 1970er-Jahre etwas ganz Besonderes. Wir konnten für „The Conversation“ auf die Forschungsarbeit der Universität von Utah zurückgreifen, die mit digitalem Ton experimentierten.
Woher kam Ihr persönliches Interesse an Tönen und Sounddesign?
Ich erinnere mich, dass ich seit meiner Kindheit ständig Radio gehört habe. Mit neun Jahren bekam ich ein Aufnahmege- rät geschenkt und habe in den nächsten Jahren besondere Töne in meiner Umgebung aufgenom- men. Ich bin in New York aufge- wachsen. Eines Tages schaltete ich das Radio ein und hörte eine Sendung, die wie meine Aufnah- men klang. Es war experimentelle Musique concrète, die viel mit Alltagsgeräuschen arbeitet, eine Aufnahme von Pierre Schaeffer und Pierre Henry. Das habe ich dann natürlich wiederum mit meinem Aufnahmegerät aus dem Radio mitgeschnitten. Ich war völlig fasziniert davon, dass Erwachsene dasselbe machten wie ich mit meinem Gerät als Teenager. Bis heute stelle ich mir die Tonspur eines Kinofilms oft wie eine Musique-concrète-Komposition vor. Auch mein allererster Job war bei einem Radiosender im Musikarchiv.
Wie hat es Sie dann zum Film verschlagen?
Durch meine Familie gab es keinen Bezug zum Filmgeschäft. Mein Vater war Maler, er gestaltete kommerzielle Magazincover. Er war zwar mit Jackson Pollock und anderen expressionistischen Malern befreundet, aber sein Stil war realistisch. Ich habe mich immer für Wissenschaft interessiert und an einem Punkt meines Lebens wollte ich Meeresforscher oder Geologe werden. Ich habe dann aber Kunstgeschichte, romanische Sprachen und Französisch studiert. Meine Professoren konnte ich davon überzeugen, dass ich nach Europa gehen sollte und so war ich 1963 auf einmal in Paris, als die Nouvelle Vague mit Godard und Truffaut ihren Höhepunkt hatte. Dort habe ich mich mit dem Virus „Kino“ angesteckt. Und ich habe dort meine Frau Aggie kennen- gelernt, eineinhalb Jahre später waren wir verheiratet und sind es bis heute. Alle guten Dinge in meinem Leben kamen von diesem Trip nach Frankreich. [15260]