DoP Kai von Westerman über seine Arbeit bei der „Maus“
Pingpong mit der Kamera
von Redaktion,
Wenn ein DoP seine Kamera zur Seite legt und stattdessen zur Feder greift, dann hat das oft einen besonderen Grund, und dass Kai von Westermans Buch „Herr Maiwald, der Armin und wir“ genau in dem Jahr erscheint, in dem „Die Sendung mit der Maus“ ihr 50-jähriges Jubiläum begeht, ist sicher kein Zufall. Gerdt Rohrbach hat für unser Heft 11.2021 mit dem Buchautor und Kameramann der „Maus“ gesprochen und war gespannt auf das, was hinter den Sachgeschichten steckt.
Du hast mit deinem neuen Buch „Herr Maiwald, der Armin und wir“ nicht zum ersten Mal das Metier gewechselt. Kann der Schriftsteller auf etwas zurückgreifen, was ein Kameramann auch können muss?
Es ist eigentlich umgekehrt: Der Kameramann greift auf das zurück, was der Schriftsteller beherrschen muss. Kameraleu- te sind Erzähler. Selbst wenn wir Nachrichten produzieren, sind wir Erzähler. Ich habe früher mit Schreiben begonnen als mit Filmen. Bevor ich mit einer Super-8-Kamera drehte, habe ich versucht, ein Drehbuch zu schreiben – ob das ein brauchbares Drehbuch war, sei mal dahingestellt!
Wenn du mit Schreiben beginnst, hast du dann schon ein Konzept?
Nein, man steht immer wieder vor Themen, bei denen man nicht weiß, was da auf einen zukommt. Da ähneln sich dann Filmen und Schreiben sehr. Beim Schreiben sitze ich manchmal sehr lange vor dem weißen Blatt und wenn ich dann endlich etwas geschrieben habe, bin ich oft erstaunt, wo ich am Ende gelandet bin. Wenn ich einzelne Abschnitte habe, fängt der Text an, sich zu formen. Und so ist das auch beim Drehen. Ich war mit Herrn Maiwald auch in Kambodscha. Natürlich hatte er das vorab besichtigt, aber er sagte mir zu Beginn unserer gemeinsamen Reise: „Ich glaube kaum, dass das, was ich gesehen habe, genau so noch mal vor der Kamera passieren wird. Wir müssen nehmen, was kommt.“
Siehst du neben den eben angeführten Gemeinsamkeiten auch wesentliche Unterschiede zwischen der Arbeit eines Kameramanns und der eines Autors? Das Schreiben findet ja im stillen Kämmerlein statt. Wenn du mit der Kamera ausrückst, bist du unter Leuten.
Der große Unterschied zwischen Drehen und Schreiben ist, dass ich beim Schreiben Zeit habe, mir zu überlegen, was ich machen will, und ich habe einen minimalen technischen Aufwand. Bei einem aktuellen Buchprojekt, an dem ich schon sehr lange sitze, habe ich lediglich eine dicke Kladde vor mir, in die ich per Hand hineinschreibe. Beim Drehen habe ich immer einen gewissen technischen Aufwand, ich habe eine Kamera. Wenn ich alleine arbeite, muss ich mich auch noch um den Ton kümmern. Und ich glaube auch, dass man mit Worten, und das verbindet Erzählen wieder mit der Kameraarbeit, Bilder in den Köpfen des Publikums erzeugen kann.
In diesem Jahr feiern wir das 50-jährige Jubiläum der „Sendung mit der Maus“. Kernbeiträge sind die Sachgeschichten. Was macht denn den Charakter dieser Sachgeschichten aus und wie unterscheiden sie sich von Filmen, wie sie zum Beispiel bei FWU – Film in Wissenschaft und Unterricht – zu finden sind? Wenn FWU-Filme zum Beispiel von Bergbau handelten, so erfuhr man etwas darüber, wie hoch die Fördermenge war, wie viele Arbeiter dort tätig waren und so weiter. Die Sachgeschichten sind fokussierter. Das gilt auch für mich als Kameramann. Die Sachgeschichten fordern von mir die Konzentration auf eine klitzekleine Sache, zum Beispiel auf eine Büroklammer. Manchmal denkt man bei derartigen Aufnahmen auch: „Ui, Schwarzbrot! Schon hundertmal gesehen!“ Wenn ich mir vornehme, ich muss das jetzt so ansehen und drehen, als hätte ich das vorher noch nie gesehen, dann wird‘s wieder interessant. Erfahrungen von früheren Aufnahmen eines ähnlichen Vorgangs sind natürlich hilfreich. Ich muss mich aber immer wieder zurückfallen lassen in diesen neugierigen Blick.
Lernt man denn auch etwas über Menschen, wenn von Sachen die Rede ist?
Die Teebeutelfalt- und Befüllmaschine ist ein fantastisches Stück Ingenieurskunst, bei der man merkt, wie viel Kreativität ein Maschinenbauer an den Tag gelegt hat. Als ich das erste Mal in Dänemark zur Geschichte „Stangenei“ vor einer Eier-Aufschlag-Maschine stand – eine Riesenmaschine, in der in einem Affentempo ein Ei in zwei Hälften geschlagen und dann Eiweiß und Eidotter voneinander getrennt werden – da wurde mir bewusst, dass jemand Hausfrauen, Köchinnen und Köchen bei ihrer Arbeit stundenlang zugesehen hat. Die Person hat genau beobachtet, wie diese Köche ein Ei am Pfannenrand aufschlagen. Mit welcher Geschwindigkeit? An welcher Stelle genau? Und dann hat sich dieser jemand überlegt, wie er diese Handbewegungen aus der Drehbewegung eines Elektromotors heraus nachbauen kann. Da bekommt man auf einmal ein ganz anderes Gefühl für die Dinge und für das, was dahintersteckt.
Ist dein neuestes Buch nicht auch so eine Sachgeschichte, in der die Arbeit des Erzähler-Teams von Sachgeschichten erzählt wird?
Mein neues Buch ist keine Sachgeschichte, aber es erzählt, welche Haltung hinter den Sachgeschichten steckt. In diesem Fall ist dies Herr Maiwald. Es handelt von seiner Art und Weise, Sachgeschichten zu drehen, aber es ist keine Biografie. Ich versuche damit zu erklären, wie unsere Zusammenarbeit funktioniert. Einmal merkte Armin, dass ich noch an einem Fehler, den ich begangen hatte, kaute. Er sagte mir dann: „Vergiss das einfach! Der Fehler ist zwar auf dem Film, aber es ist noch gar nicht gesagt, ob ich das nicht doch verwenden kann. Vergiss den Fehler, sonst kannst du dich nicht auf die nachfolgende Arbeit konzentrieren!“ Damit hat er mich in diesem Moment enorm weitergebracht. [14908]