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Wir stellen die Preisträger des 33. Deutschen Kamerapreises vor (1)

Sich in das Bild versenken

Auch in diesem Jahr stellen wir Ihnen die Gewinnerinnen und Gewinner des Deutschen Kamerapreises im Interview vor. Wir beginnen mit Susanne Schüle, die für ihre Kameraarbeit bei „Europa Passage“ in der Kategorie Doku Kino ausgezeichnet wurde.

Susanne Schüle beim Dreh von Europapassage
Foto: privat

Susanne Schüle wurde 1967 in Neckarsulm geboren. Nach einer Ausbildung zur Fotografin studierte sie an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg Kamera und schloss mit Diplom und Auszeichnung ab. Seit dem Studium arbeitet sie als freischaffende Kamerafrau und erhielt Stipendien der Akademie Schloss Solitude Stuttgart, der DEFA Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Künstlerinnenförderung des Senats von Berlin. Seit 2009 unterrichtet sie als Professorin an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf im Fach Kinematographie für dokumentarische Medien. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Förderpreis des Kunstpreises Berlin 2000, verliehen von der Akademie der Künste, 2001 mit dem Preis für die beste Kameraführung beim internationalen Dokumentarfilmfestival in Leipzig, 2003 mit dem Adolf-Grimme-Preis und 2015 mit dem Preis für die beste Kamera auf dem Docuart Festival in Bukarest. Die von ihr fotografierten abendfüllenden Kinodokumentarfilme gewannen auf internationalen Filmfestivals zahlreiche Auszeichnungen. Susanne Schüle lebt in Berlin und ist Mitglied der Deutschen Filmakademie und der Cinematographinnen, einem Netzwerk deutschsprachiger Kamerafrauen.

Ich gratuliere ganz herz­lich zum Deutschen Kame­rapreis in der Kategorie Doku Kino. Was hat es für dich bedeutet, dass du die­se Auszeichnung bekommen hast?
Es freut mich natürlich sehr, dass ich für einen Film ausgezeichnet wurde, den ich selbst sehr gerne gemacht habe. Es freut mich aber auch, dass so die Art des Films gewürdigt wurde, der ja sehr offen in seiner Herangehensweise ist, der einen wichtigen Beitrag liefert, Menschen zu porträtieren, über die wir so wenig wissen. Es ist toll, dass diese Art von freier Form bei einem wirklich beobachtenden Kino-Dokumentarfilm, der nicht mit fertigen Konzepten startet, sondern mit einer Haltung, die den Menschen begegnen und sehen will, was wirklich ist, einen Preis bekommt – und eben auch die Art der Kameraarbeit.

Wie habt ihr diese Haltung entwickelt?
Andrei Schwartz, den Regisseur von „Europa Passage“, kenne ich schon sehr lange. Wir arbeiten über 20 Jahre zusammen und in dieser Zeit habe ich fast alle seine Filme gedreht. Andrei ist ein Mensch, der sehr, sehr lange an seinen Themen arbeitet. Über Jahre hinweg nimmt er Kontakt auf zu den Protagonisten und erzählt mir dann darüber. So bin ich von Anfang an involviert. Ich weiß, was ihn beschäftigt und was er plant. Und so hatte er mich vor fünf Jahren angesprochen, ob ich Lust hätte, an diesem Film teilzunehmen. Das war dann gar keine Frage, weil ich genau weiß, wie er über Dokumentarfilm nachdenkt und wie er dokumentarisch arbeitet, und dass wir da absolut den gleichen Geschmack und die gleiche Haltung haben und auch das Gleiche wollen.

Ihr musstet euch also gar nicht besonders vorbereiten oder absprechen?
Wir haben im Vorfeld viel über die Protagonisten und Protagonistinnen gesprochen, was sind die Konflikte, was sind wichtige Punkte? Andrei beschreibt mir die Leute ganz genau und dann lerne ich sie auch persönlich kennen. Das ist unsere Art des Vorbereitens, so dass ich weiß, was beschäftigt die Menschen, in welchem Milieu leben sie? Was sind die Themen und worum wird es letztendlich im Film gehen? Daraus kann ich dann ableiten, wie ich drehen will. Wir wollten möglichst nah an die Menschen ran. Wir wollten dort sein, wo sie auch sind.

Das bedeutet, ich muss Technik haben, mit der ich nachts draußen drehen kann, wo fast kein Licht ist. Ich wollte natürlich auch sein, wo sie schlafen, also unter der Brücke, im Dreck, wo es auch kalt sein wird, wo es feucht ist. Ich hatte meine Kamera, mit der ich eigentlich überall drehen kann und zusätzlich ein kleines Akkulicht dabei, das dann ein Assistent getragen hat oder auch der Regisseur. Das war‘s. Es war ja auch klar, dass es überhaupt keinen Sinn macht, die Drehorte auszuleuchten, denn darum geht es ja in „Europa Passage“ genau nicht. Wir wollen erzählen, wie die Menschen wirklich leben.

Filmstill aus Europa Passage

Filmstill aus Europa Passage
Balance zwischen Nähe und Distanz: Filmstills aus „Europa Passage“ (Fotos: Susanne Schüle)

Welche Kamera und Objektive hast du eingesetzt?
Ich habe mit meiner eigenen Canon C300MK II und Canon Foto-Optiken gedreht, die finde ich sehr gut und sie sind sehr leicht, so dass ich die Möglichkeit habe, die ganze Zeit aus der Hand zu drehen. Das war wichtig, denn „Europa Passage“ ist fast komplett aus der Hand gedreht, außer den Landschaften. Ich schärfe selber und habe im Sucher die Kontrolle, um zu sehen ob das Bild auch wirklich scharf ist. Das alles ermöglicht mir überhaupt, lange Einstellungen zu drehen, mit den Leuten überall hin mitzugehen, mich im Raum zu drehen, wie ich es für nötig empfinde. Alles, was ich drehe, muss irgendwie auch verwendbar sein, Belichtung und Kadrage müssen immer stimmen. Insofern brauche ich Technik, die fast so etwas wie an meinem Körper angewachsen ist.

Du sagst, alles, was du drehst, müsse stimmen. Das bezieht sich ja sicher nicht nur auf technische Aspekte.
Für mich fühlt sich das Drehen an wie ein völliges Hineinbegeben in die Situation. Im allerbesten Fall ist es wie Trance, so dass ich eigentlich auch gar nichts anderes mehr mitbekomme und nur das sehe und höre, was ich drehe. Natürlich reagiere ich, wenn es von rechts oder links noch Signale gibt, aber eigentlich schaue ich direkt das Bild an und versenke mich darin. Deswegen kann ich auch nicht mit einem Monitor arbeiten. Ich schaue immer durch den Sucher. Ich weiß, dass die junge Generation von Kameraleuten gern auf einen Monitor schaut, aber ich brauche dieses Abgeschirmte des Suchers, so dass ich wirklich alles andere ausblenden kann. Falls etwas anderes wichtig wird, habe ich dafür den Regisseur oder die Regisseurin und vielleicht auch einen Tonmenschen oder meinen Assistenten, die mir dann schon Zeichen geben.

Ich sehe meine Rolle darin, mich in die Situation hineinfallen zu lassen, so dass ich schnell und genau spüre, was im Bild passiert, auch an Mimik und Gestik, so dass ich sofort reagieren kann – und das ist ganz unbewusst. Wenn ich später das Material sehe, wundere ich mich oft, woher ich wusste, was passieren würde, dass jemand aufstehen wird oder sich vielleicht ein Konflikt anbahnt? Dazu muss man wissen, dass ich bei „Europa Passage“ die Sprache nicht verstanden habe und daher nicht wusste, worüber die Leute reden. Ich gucke mit allen Sinnen. Das versuche ich zumindest. Und dann ärgert es mich auch, wenn mich jemand antippt. Vielleicht war ja der Grund dafür gar nicht so wichtig, aber es wirft mich aus der Situation und bin dann erst mal nicht mehr synchron. Ich finde es entscheidend, eins zu werden mit dem Geschehen an sich, mit der Beziehung zwischen den Figuren, nicht nur zu gucken, sondern zu spüren. Die ganze Zeit ein wirk- liches Interesse an den Menschen vor der Kamera zu haben und neugierig zu bleiben.

Das ist ja dann offenbar auch eine Qualität, die sich direkt in deine Bilder übersetzt. Die Jury beim Deut­schen Kamerapreis hat gelobt, dass es hochkonzentrierte Bilder seien und dass du sehr genau wüsstest, wie Nähe und Distanz auszutarieren sind.
Ich kann gar nicht so genau sagen, wie die Bilder entstehen Meine Erfahrung hilft mir, aber ich denke beim Drehen nicht über die Bilder nach. Ich mache sie einfach. Manchmal muss ich auch um die Bilder kämpfen, bin mit dem Lichteinfall nicht zufrieden, sehe rechts oder links noch Störendes im Bild und dann versuche ich mich zu drehen und hoffe, dass der Regisseur sich mitdreht und auch auf das Licht achtet, wenn er in ein Gespräch mit den Menschen kommt. Sein Blickkontakt ist entscheidend für die Lichtführung und durch die Art und Weise, wie ich mich positioniere gestalte ich das Bild. Ich liebe es, im Moment zu arbeiten.

Ich glaube schon, dass Regisseure und Regisseurinnen das an mir schätzen und mich vielleicht auch deswegen für ihre Projekte aussuchen. Ich arbeite oft mit den gleichen zusammen und mit ihnen habe ich diese Basis für diese Art des Arbeitens, nämlich dass man sich nicht an dem Konzept festhält, sondern dass man gemeinsam auf eine Reise geht. Es besteht ein großes gegenseitiges Vertrauen, dass es erst ermöglicht, mit einem ganz offenen, neugierigen Blick auf Protagonisten und Protagonistinnen zuzugehen. [15375]

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