Fragen nach der Handschrift, nach der Art und Weise, wie ein Kameramann Bilder gestaltet, sind für die Befragten nicht immer einfach zu beantworten. Oft filmt man nicht nach einer starren Methode, sondern nach dem, was der Stoff an Bildern verlangt. Manchmal entdeckt man über diese Fragen etwas, was man zwar intuitiv spürt, aber sich selten bewusst macht oder gar ausspricht, so im Gespräch, das Gerdt Rohrbach für unsere Ausgabe 7–8.2021 mit dem Hamburger Kameramann Marius von Felbert führte.
Gibt es so etwas wie deine Handschrift, dein Alleinstellungsmerkmal?
Mein Ansatz ist es, keinen erkennbaren Stil, keine erkennbare Handschrift zu haben. Wenn ich ein Drehbuch zu lesen beginne, so versuche ich da gestalterisch erst einmal völlig frei heranzugehen. Ich will mich so durch das Drehbuch in spirieren lassen. Die Geschichte ist der Ausgangspunkt für die gesamte Gestaltung. Für mich ist eine gute Kameraarbeit eine Arbeit, die in der Geschichte aufgeht, so wie die Arbeit jedes anderen gestalterischen Gewerks auch. Das Szenenbild, das Kostümbild, das Maskenbild sollten aus der Geschichte heraus entwickelt sein. Schöne Bilder sind kein Selbstzweck.
Wann ist eine Geschichte für dich eine gute Geschichte? Ich finde es toll, wenn es eine Geschichte schafft, mich so wohl emotional abzuholen und gleichzeitig auch noch intellektuell anzusprechen. Wenn also eine Geschichte beide Ebenen erreicht und wenn sie es schafft, mir eine neue Sichtweise auf ihr Thema zu vermitteln, dann finde ich eine Geschichte gelungen. Ich erinnere mich an „A Ghost Story“ von Regisseur David Lowery. Diese Geistergeschichte wird aus der Perspektive eines trauernden Gespensts erzählt. Dieser Geist möchte unbedingt zurück in die Welt der Lebenden. Er sieht seiner Frau zu, die ihr Leben weiterlebt und sich immer weiter von ihm entfernt. Das Ganze wird mit langen, ruhigen Einstellungen in 4:3 erzählt. Das ist eine Gespenstergeschichte, die ich total spannend finde, weil sie eine sehr ungewöhnliche Erzählperspektive einnimmt.
Wie geht es weiter im kreativen Prozess?
Ich lese den Stoff ein zweites und drittes Mal. Dabei ent stehen die ersten Bilder in meinem Kopf. Dann geht es in den Austausch mit der Regie. Ich will erst einmal wissen, wie sich die Geschichte für sie anfühlt. Wo sieht sie die Schwerpunkte in der Geschichte? Was würde sie gerne herausarbeiten? Bei diesem ersten Austausch über „Look und Feel“ ist die gemeinsame Kenntnis anderer Filme hilf reich: Das fühlt sich so an wie bei diesem oder jenem an deren Film. Wenn die gestalterischen Abstimmungen dann feiner werden, kann man gut mit Filmstills arbeiten, aber auch mit bildender Kunst oder Musik, Letzteres besonders, wenn es um die Energie einer Szene geht. Über diese Prozesse nähert man sich einander an und findet erzählerische und gestalterische Schnittmengen. Diese sind dann die erste Basis, von der aus man weiterarbeiten kann. Dabei geht es nie darum, wer Recht hat, sondern was das Beste für die Geschichte ist.
Welche Rolle spielt der Drehort, das Motiv? Der Drehort macht wahnsinnig viel aus. Ich versuche, bei der Produktion das Okay dafür zu bekommen, dass wir, wenn wir die Drehorte gefunden haben, dort die Auflösung machen. Bei den Locationtours sind immer viele Leute da bei, zum Beispiel die Aufnahmeleitung, das Licht, die Regie, der Oberbeleuchter. Jeder hat 100 Fragen, man huscht durch das Motiv und macht schnell Fotos mit dem Handy. Man hat dann am Abend viele Motive angesehen, aber man war nicht richtig da. Deswegen finde ich es wichtig, in die Motive zu gehen und dort aufzulösen, denn dann entsteht eine Beziehung zu dem Ort. Ich beginne dann den Ort zu spüren und ich spüre auch, wie die Geschichte in diesen Ort passt. Was müssen wir verändern? Welche Inspiration übt der Ort noch auf uns aus? Bei „Schlaf“ hatten wir den großen Vorteil, dass wir uns in unserem Hauptmotiv, das früher einmal eine RehaKlinik war, zur Auflösung uneingeschränkt bewe gen konnten und der Drehbuchautor Thomas Friedrich zu diesem Zeitpunkt noch mit im Prozess war. So konnten wir das Buch optimal auf die Geschichte anpassen. Das war ein großer Luxus, den man nicht oft hat.
Wie hat das geistige Aroma des Ortes in „Schlaf“ deine Bildgestaltung beeinflusst?
Das, was ich spürte, war eine Schwere und eine Leere. Ich habe versucht, das auch mit in die Bilder zu nehmen. Der Hotel-Kosmos war sehr reduziert. Es gab wenig persönliche Gegenstände in den Räumen, da stand nichts auf dem Flur herum, alles war sehr klar und frei.
Ein Element, das mir aufgefallen ist, ist die Draufsicht auf ein Ensemble von Personen. Da liegt der Hotelbesitzer Otto mit dem Rücken auf dem Fliesenboden und die Hauptfigur Mona kauert in einer Art Embryostellung neben ihm. Das Ganze ist senkrecht von oben aufgenommen. Was war deine Motivation zu diesem Arrangement? Das haben wir mehrfach so gestaltet, zum Beispiel in der Szene, in der Otto gefesselt im Bett liegt. Dabei ist er zu nächst zugedeckt und man sieht die Fesseln nicht. Nun tritt seine Frau ans Bett und schlägt die Bettdecke weg. Erst jetzt sieht man seine Fesseln. Wir haben uns damals überlegt, wie wir so etwas am besten zeigen können, wie es am besten aussieht. So kamen wir auf die Idee, mit der Kamera von oben drauf zu gucken. Wir haben gemerkt: Das passt! Und wir kamen in der Folge zu dem Schluss: Das setzen wir noch einmal ein. Dieses Gestaltungsmittel entstand also während des Drehprozesses. Bei der von dir angesprochenen Szene, in der die beiden Menschen so ruhig nebeneinander in der Küche schlafen, passiert auf der Traumebene ganz viel. Auf dieser Ebene versucht Trude, Mona als Medium zu nutzen, um Otto dazu zu bringen, sich selbst zu töten. Mona wehrt sich aber dagegen. In der Realitätsebene liegen sie komplett ruhig nebeneinander und trotzdem bekämpfen sie sich. Die Draufsicht, die diese Ruhe transportiert, ist nur Schein. Der friedliche Schlaf ist nur ein Scheinfriede. [14668]