Der Dokumentarfilm „Making Waves – The Art of Cinematic Sound“ feiert die Arbeit der Tonleute, von der Aufnahme über die Effekte hin zur Mischung. Der liebevolle Tribut an den Ton lässt neben zahlreichen Profis aus den Sound-Departments prominente Regisseure wie Steven Spielberg oder Christopher Nolan zu Wort kommen. Im Interview hat Regisseurin Midge Costin, die selber Ton an der University of Southern California unterrichtet, in unserer Ausgabe 1-2.2020 erklärt, warum Sound wichtig ist.
Der Ton führt beim Film meist ein Schattendasein. Das zeigt sich gern schon in der Produktion: Am Set ist der Tonmeister oft derjenige, der am wenigsten Zeit für seine Tätigkeit bekommt, und etwaige Probleme müssen in der Postproduktion ausgebügelt werden. Aber auch beim fer- tigen Film achtet man weit mehr auf die Bilder und die Schauspieler als auf die Tonebene – höchstens die Musik wird wahrgenommen, das restliche Sounddesign findet so gut wie nie Erwähnung. Warum führt der Ton so ein Schat- tendasein? „Ich habe mich mit jemandem vom Brain & Creativity Institute an der USC unterhalten, und er hat mir
erklärt, dass Bilder andere Teile des Gehirns treffen“, erklärt Midge Costin. „Beim Ton reagiert quasi unser Rep- tiliengehirn, es trifft uns emotional und wir reagieren, aber wir sind uns dessen nicht bewusst. Auf gewisse Weise hilft uns das, weil man sich dadurch beim Film nicht manipuliert fühlt. Wir können so viel machen, und die Leute denken nicht darüber nach.Und deshalb wissen sie auch gar nicht, dass es uns gibt.“
Midge Costin arbeitete in den 1990er Jahren an einigen der größten Hollywood-Produktionen als Sound Editor und Dialogue Editor mit. Dazu gehören Produktionen wie „Armageddon“, „The Rock“, „Con Air“, „Crimson Tide“ oder „Swing Kids“. Ursprünglich wollte sie reguläre Schnittmeisterin werden, aber um ihren Abschlussfilm zu finanzieren, hat sie sich – wie sie es augenzwinkernd ausdrückt – „herabgelassen“ und einen Job als Sound Editor angenommen. „Ich habe herumüberlegt, wie ich die Stimmung setzen soll – und dann habe ich verstanden, dass das wichtig ist, und ich habe angefangen, über Ton in Bezug auf die Geschichte nachzudenken“, erinnert sie sich und bezeichnet sich lachend als „born-again sound person“. Ihr erster großer Hollywood-Job war „Tage des Donners“ mit Tom Cruise: Sie war für das Motorenge- räusch eines gegnerischen Fahrers verantwortlich. Später unterrichtete sie selber an der USC. „Die Leute, die zu meiner Zeit Ton unterrichtet haben, waren eher Techniker. Ich liebe es, wenn der Ton Teil der Geschichte und der Figuren wird und Stimmungen und Tonfall setzt.“
Costins Sound-Dokumentation „Making Waves – The Art of Cinematic Sound“ war ein Langzeitprojekt: Neun Jahre arbeitete sie an dem Film. „Wir haben 2010 angefangen und die ersten drei Jahre haben wir Videos gemacht mit Interviews und Filmen, ähnlich dem, wie ich unterrichte. PBS und BBC waren an einer Serie interessiert – aber wir haben so lange gebraucht, dass die Leute, mit denen wir gesprochen hatten, schon im Ruhestand waren“, grinst sie. Die meisten Interviews fanden zwischen 2013 und 2016 statt, aber das kleine Budget bremste das Projekt aus. „Ich habe darauf bestanden, selbst die Praktikanten und die Produktionsassistenten zu bezahlen – das waren meine Studenten, und man muss Studenten bezahlen. Also haben wir alle bezahlt außer uns selber.“ Im August 2017 starteten Costin und ihre Mitstreiter, Autorin und Produzentin Bobette Buster und Produzentin Karen Johnson, eine Crowdfunding-Kampagne über Kickstarter, bei der über 1.000 Unterstützer insgesamt über 130.000 US- Dollar für die Fertigstellung des Films spendeten. Im April 2019 hatte der fertige Film endlich seine Premiere beim Tribeca Film Festival.
Die New-Hollywood-Revolution des Filmtons
Die erste Stunde der Doku zeichnet nach, wie sich der Filmton über die Jahre entwickelt hat – von den Live-Begleitungen von Stummfilmen, bei denen Musiker und teils auch Geräuschemacher im Kino anwesend waren, über die ersten Tonfilme hin zu technischen Errungenschaften wie Surround-Sound. Murray Spivacks Arbeit als Sounddesigner am ersten „King Kong“ im Jahr 1933 wird als Meilenstein hervorgehoben, weil er für die Geräusche der Kreaturen verschiedene Techniken einführte, die heute noch im Einsatz sind – zum Beispiel die Verwendung rückwärts abgespielter Tierlaute. Auch Orson Welles findet mit „Citizen Kane“ Erwähnung: Er verwendete Techniken, die er beim Radio gelernt hatte, und setzte sie im Film ein, um beispielsweise die Räumlichkeiten greifbarer zu erzählen.
Ein großer Fokus der Geschichte liegt auf dem New-Hollywood-Kino der 1970er Jahre. „Daher auch ,Making Waves‘“, erklärt Costin. „Die Dinge anders machen.“ Ben Burtt wird ausführlich für seine wegweisenden Arbeit an „Krieg der Sterne“ gewürdigt, für die er durch Kalifornien zog, um die verschiedensten Klänge zu sammeln. In einem sehr herzigen Segment wird erzählt, wie die Stimme des Wookies Chewbacca von einem kleinen Bären stammt, den der Sounddesigner mit Brot anlockte. Auch die Arbeiten von Walter Murch erhalten viel Raum, vor allem sein an der Psychologie der Hauptfigur orientierter Ton für „Apocalypse Now“ – an einer Stelle sagt einer seiner Kollegen, Murch sei gewissermaßen der Vater aller Sounddesigner. Barbara Streisand ist mit ihrem Musikdrama „A Star Is Born“ von 1976 vertreten, für dessen Soundtrack sie eine Million US-Dollar ausgab. Kino war bis zu diesem Zeitpunkt noch in Mono, und Streisand wollte, dass ihr Film so gut klang, wie es Platten dank moderner Stereotechnologie schon lange taten. Später werden noch die digitalen Neuerungen besprochen: Gary Rydstrom erzählt beispielsweise von seiner Arbeit für Pixar, Dane A. Davis erklärt einen Digitalisierungseffekt für „Matrix“. Rydstrom ist neben Murch und Burtt der dritte Fokus des Films. In einem Segment bespricht er zum Beispiel seine faszinierend detaillierte Arbeit an der Eröffnungsszene von Steven Spielbergs „Der Soldat James Ryan“.
Bei der Fülle an Material blieb natürlich im Schnitt der 90-minütigen Doku einiges außen vor, aber Costin meint, die Interviews seien allesamt transkribiert und gut archiviert: „Über die erste Generation an Tonleuten findet man kaum etwas, das wurde kaum dokumentiert. Ich dachte mir, die zweite Generation muss man jetzt festhalten. Ich kann mir vorstellen, wenn jemand eine Serie machen wollte, wäre es einfach, zu vielen Themen mehr ins Detail zu gehen.“ [11434]