DoP Angus Hudson dreht für David Koepp Psycho-Horrorfilm „Du hättest gehen sollen“
Unheimlich atmosphärisch
von Timo Landsiedel,
US-Regisseur David Koepp verfilmte mit dem Briten Angus Hudson an der Kamera in der walisischen Einsamkeit eine atmosphärische Novelle des deutschen Autors Daniel Kehlmann über eine scheiternde Ehe und ein unheimliches Haus. Wir sprachen mit DoP Hudson für unser Heft 11.2020 darüber, wie er ein modernes Spukhaus inszenierte, wie kreativ die Architektur genutzt wurde und warum sogar das zweite Stockwerk fiktiv war. Als Bonus gibt es morgen ein Kurzinterview mit Regisseur David Koepp!
Daniel Kehlmann hat zwar schon reichlich Erfahrung damit, dass seine Romane in Filme verwandelt werden. Doch außergewöhnlich war da der Anruf aus Hollywood. Drehbuchlegende David Koepp wollte die 96 Seiten starke Novelle „Du hättest gehen sollen“ als Psychohorror adaptieren. Koepp hat eine beeindruckende Filmografie, schrieb er doch zuvor Drehbücher zu „Jurassic Park“, „Panic Room“ oder „Krieg der Welten“. Auch Horrorstoffe finden sich in seinem Werk, wie „Das geheime Fenster“ mit Johny Depp oder „Echoes – Stimmen aus der Zwischenwelt“ mit Kevin Bacon.
Mit Bacon wollte Koepp schon lange ein Psychodrama machen. Bacon las Kehlmanns Roman und Koepp optionierte über Universal Pictures die Novelle. Zur Zeit der Vorproduktion wohnte David Koepp mit seiner Familie in London. So kam es, dass Produzent Jason Blum von der Horrorschmiede Blumhouse entschied, dass in Europa gedreht würde.
Ferienjob 1981
So stieß DoP Angus Hudson zum Projekt. Hudson hatte sein filmisches Erweckungsmoment am Londoner Leicester Square, wo er im Alter von 15 Jahren „Apocaplypse Now“ auf der großen Leinwand sah. An der Schule hatte der Brite wenig Interesse. „In den folgenden Jahren habe ich erfolgreich hinbekommen, durch alle meine Prüfungen zu fallen – und zwar spektakulär“, sagt Hudson. Seine Mutter arbeitete zu der Zeit in der Werbung und besorgte ihm einen Ferienjob als Runner beim Studio Lambert, einem der größten britischen Werbestudios der 1980er Jahre. Am Ende der Sommerferien flehte er seine Mutter an, dort bleiben zu dürfen. „Man könnte sagen, ich arbeite immer noch in meinen Ferienjob von 1981.“ Hudson lernte so bei Studio Lambert die Kamera-Basics, machte Praktika in Rentals und lernte 1989 als Camera Operator einer Action Unit von „Air America“ DoP Roger Deakins kennen, der ihm wertvolle Tipps für die Belichtung gab. „Roger war sehr freundlich und großzügig“, berichtet Hudson. Das ermutigte den jungen Schärfeassistenten, Deakins zu bitten, sein Fürsprecher für die Aufnahme an der National Film School zu sein. Deakins sagte zu, doch vergeblich. „Selbst mit Roger Deakins als meinen Bürgen lehnte mich die National Film School ab“, sagt Angus Hudson. Heute kann er darüber lachen. „Ich doziere da aktuell immer wieder. Das muss ich denen eigentlich mal erzählen!“
Hudsons erste Arbeit als DoP war die indische Komödie „Hari Om“. Zwischen den DoP-Werken folgten immer wieder Arbeiten als DoP von Second Units oder B-Camera an Großprojekten, wie „Edge of Tomorrow“, „Assassin’s Creed“ oder „Star Wars – Die letzten Jedi“. Hudson sprach im Mai 2018 bei David Koepp vor, der sich sehr schnell für den Briten entschied. Beide verstanden sich auf Anhieb gut. Die Vorproduktion begann im September 2018. David Koepp arbeitete nebenher noch an kommenden Steven-Spielberg-Projekten und hatte viel zu tun. Angus Hudson hatte dadurch große Freiheit, zusammen mit Szenenbildnerin Sophie Becher eine konkrete Visualität für Stimmungen, Farben und die Motive zu entwickeln. Die beiden hatten bereits zusammengearbeitet und tickten ähnlich, was ihre Vision anging. Becher hatte das Hauptmotiv, das sogenannte „Life House“ ins Spiel gebracht. Das hochmoderne Ferienheim wurde von Star-Architekt John Pawson konstruiert und steht im Ort Llanbister in der walisischen Provinz Radnorshire. Die Inneneinrichtung ist von hellem, warmem Minimalismus geprägt, den Szenenbildnerin und Kameramann faszinierend fanden und von dem nahezu alle ihrer Entscheidungen inspiriert waren.
Inspirierende Architektur
Die Dreharbeiten begannen im Oktober 2018. Gedreht wurde in Wales, die Innenaufnahmen fanden im Studio in London statt. Dort entstand der komplette, noch erweiterte Grundriss des Hauses. Erweitert deshalb, weil Koepp ein zweites Stockwerk erfand, um die Optionen der räumlichen Verwirrung noch steigern zu können. „David hatte sich in die Idee verliebt, in das Finale die große Treppe im Foyer einzubauen“, so Angus Hudson. „Visuell eine sehr gute Idee!“ Das hieß allerdings auch, dass sich Sophie Becher bei der kompletten Neukonstruktion des zweiten Stockwerks in Architekt John Pawson hineinversetzen musste.
Eine Herausforderung war es, das echte Motiv mit dem nachgebauten Inneren im Studio und dem komplett neu erfundenen zweiten Stock visuell verschmelzen zu lassen. Manche Szenen wurden auch im Original-Motiv gedreht, wenn zum Beispiel aus einem der großen Fenster in den Garten geblickt wurde. So gibt es Szenen, in denen Kevin Bacon durch die echte Tür in das echte Motiv kommt, im Umschnitt durch das falsche Foyer geht, in einen echten Korridor am Original-Motiv abbiegt und in ein aus wiederverwendeten Wänden gebautes Zimmer im Studio tritt.
„Es war sehr gut geplant, aber wir wussten nie genau, wie das im Schnitt aussehen würde“, sagt Angus Hudson. Das heißt, an jedem Motiv drehte das Team das nötige Material, doch Hudson war im fertigen Film selbst überrascht, welche Einstellungen zusammengesetzt wurden. Das jedoch war auch die Idee für die zweite Hälfte des Films, in der der Protagonist zusehends die Orientierung im Haus – und auf den unterschiedlichen Erzählebenen – verliert. „Das unterstützte also die Geschichte absolut hervorragend.“
Angus Hudson schoss auf einer ARRI ALEXA Mini und bereitete für die Dreharbeiten zusammen mit dem Coloristen Rob Pizzey von GoldCrest eine LUT vor, die er dann mit ans Set nahm. An der ALEXA nutzte Hudson Panavision-P-Vintage-Objektive. „Ich mag ein Bild, das sich weicher anfühlt, nicht zu crisp“, so Hudson. Der DoP drehte ein paar Objektivtests ohne LUT mit unterschiedlichen Objektiven, darunter Canon K35, und zog auch bereits Filter hinzu, mit denen er die klaren, hellen Farben im Inneren betonen konnte. „Ich habe auch Anamorphoten in Erwägung gezogen, wollte aber, dass der Film purer und sauberer wirkt, nicht episch“, sagt Hudson. „Außerdem wollte ich auf keinen Fall die Linearität der Architektur gefährden.“
P-Vintage-Objektive
Hudson zeichnete in ARRIRAW bei 2.8K auf. Er setzte auch bei der Beleuchtung auf ein weiches Licht, da die großen Fensterflächen am Originalmotiv im grauen walisischen Herbstwetter ohnehin sehr weiches Available Light schufen. Daher wählte Hudson für den gesamten Film einen Ansatz, der über sehr weiches Licht funktionierte. Dennoch wollte er ein bisschen Plastizität und Kontrast hinein bringen, da viele der Räume fast weiß waren. „Die P-Vintage sind ein sehr schön gematchtes Set mit Glas aus den 1970ern, ich habe noch einen Tiffen Pearlascent benutzt, um die Highlights ein klein wenig mehr strahlen zu las- sen, sie weicher zu machen.“
Die P-Vintage-Objektive bestehen aus rehoustem ZEISS-Glas, die Hudson die von ihm gewünschte Weichheit bei etwas besserer Kontrastperformance bei hell erleuchteten Fenstern und hellen Wänden erlaubten. „Um die Architektur zu zeigen, habe ich eher weitwinkeliger gearbeitet, als ich es vielleicht sonst mache, eher 50er, 35er oder 18er genutzt, als näher dran zu verdichten“, so der Kameramann. [13668]