Tim Fehlbaum und Moritz Binder über ihre Oscar-Nominierung für das beste Original-Drehbuch von „September 5“
„Wir gucken, was passiert“
von Timo Landsiedel,
Variety“ und „Hollywood Reporter“ sagten Chancen voraus: „September 5“ und dessen Drehbuchautoren Regisseur Tim Fehlbaum und Moritz Binder wurden dann tatsächlich für den Oscar in der Kategorie Original-Drehbuch nominiert, gingen jedoch leer aus. Wir sprachen mit den beiden in unserer Ausgabe 3.2025 darüber, wie das Skript entstand und was ihnen die Anerkennung aus Hollywood bedeutet.
Foto: Jürgen Olczyk (Bild: Jürgen Olczyk)
Herzlichen Glückwunsch, lieber Tim, lieber Moritz, ihr seid für den Oscar in der Kategorie Bestes Original Drehbuch nominiert, zudem für weitere Preise wie für den PGA Award und habt gerade den Bayerischen Filmpreis für „September 5“ bekommen. Habt ihr schon Platz auf dem Regal geschaffen für das, was noch kommen mag? Moritz Binder: Ich glaube, ehrlich gesagt, wir haben noch nicht mal ein Regal! Ich glaube, das ist für uns wirklich ganz zutiefst ehrlich eine große Überraschung, diese Reise, die der Film genommen hat. Wir sind gestartet mit einem Film, auf den wir Lust hatten, den wir in der Recherche gefunden haben. Man kann wirklich sagen, aus der Ideenfindung heraus ist es erst ein internationaler Film geworden. Das war nicht als solcher angelegt. Und dann hat er seine Reise genommen. Er hatte Premiere in der Nebensektion von der Nebensektion in Venedig. Es war jetzt nicht absehbar, was für eine Reise der nimmt. Und wir sind auf der einen Seite total glücklich und geehrt und überrascht und auf der anderen Seite genießen wir es einfach, da es keine Agenda gibt. Unser Erwartungsmanagement ist einfach: Wir gucken, was passiert und freuen uns über alles. Wir freuen uns vor allem, dass der Film im Kino ist und die Leute reingehen, weil das ist ja das, wofür man es macht. Tim Fehlbaum: Vor allem ist es erst mal eine Nominierung, wo auch die Konkurrenz sehr stark ist. Da muss man sich erst mal durchsetzen, um Platz zu machen für einen Preis!
Die Oscarnominierung ist ja etwas, was auch gerade in der Welt da draußen unfassbar groß gefeiert wird. Was ist daran denn für euch als Filmemacher tatsächlich relevant? Moritz Binder: Diese Nominierung kommt jetzt insofern zu einem guten Zeitpunkt, weil der Film im Kino ist! Ich glaube, und weiß, dass ich auch für Tim spreche, dass wir das nicht als persönliche Nominierung unserer zwei Personen sehen oder auch mit Alex David als Co-Autor. Wir sind uns schon klar, dass die Leute trotzdem den Film schauen und den Film als Geschichte bewerten und die wenigsten nur das Buch lesen. Das heißt, es ist schon eine Nominierung für alle, die da beteiligt waren, vor oder hinter der Kamera. Das ist der Balsam für die Seele oder das Wohltuende, dass man sagt: „Okay, wir als Team haben jetzt diese Nominierung geholt.“ Andererseits, dass es einfach vielleicht noch mal dafür sorgt, dass Leute von dem Film hören, jetzt noch mal in einem anderen Kontext sagen: „Ah, das klingt interessant. Den schaue ich mir an!“ Es wäre natürlich toll, wenn das den Effekt hätte. Tim Fehlbaum: Dem würde ich zustimmen. Es ist natürlich eine Form der Anerkennung, die hoffentlich jetzt noch mehr Leute dazu animiert, den Film im Kino zu schauen.
Im Rausch der Berichterstattung: Regisseur und Co-Autor Tim Fehlbaum (Foto: Jürgen Olczyk)
Lasst uns ins Drehbuch einsteigen. Wie begann dieser Weg für euch? Es war ja noch gar nicht klar, dass es dieses Kammerspiel wird. Wann gab es die erste Idee, sich mit 1972 und den Vorfällen in München zu beschäftigen? Moritz Binder: Ich war beim Urknall nicht dabei. Als Tim, [die Produzenten] Phillip [Trauer] und Thomas [Wöbke] auf mich zukamen, gab es schon eine Idee, zu dem Tag etwas zu machen. Aber es war noch die Idee, sehr faktenbasiert, recherchestark zu sein. Tim Fehlbaum: Letztendlich war es ein Gespräch in der Recherche, das den entscheidenden Funken initiiert hat, das rein aus der jetzigen Perspektive zu erzählen – als wir mit Geoffrey Mason gesprochen haben. Das ist die Figur, gespielt im Film von John Magaro, die damals als junger Rookie für ABC gearbeitet hat und live miterlebt hat, wie sie diesen Wechsel gemacht haben, in einem 22-stündigen Marathon von der Sport- zur Krisenberichterstattung. Danach haben wir zum ersten Mal gesagt, eigentlich könnte man den Film rein aus deren Perspektive erzählen. Moritz Binder: Man muss sagen, der Geoffrey ist ein sehr guter Geschichtenerzähler. In diesem ersten Gespräch dachten wir noch, es wäre ein Gespräch mit einer Quelle, mit einem Augenzeugen. Je mehr er erzählt hat und der Zoom-Call immer länger wurde, haben wir gemerkt: So eine Perspektive auf die Geschehnisse haben wir noch nie erzählt bekommen. Vielleicht ist genau das unser Film! Dann hat sich das aus einer breiten Recherche vom Anfang entwickelt, durch einen Moment mit Reporterglück, würde man als Journalist sagen. Also jemanden kennenzulernen, der einem eine Geschichte erzählt, wo man sagt: „Ach, das ist der Film!“
Erzählen, was belegbar ist: Autor Moritz Binder (Foto: Lars Nitsch)
Gab es dann noch mal eine Hürde, die Produzenten davon zu überzeugen, da auch mitzugehen? Tim Fehlbaum: Nee, im Gegenteil! Wir haben da ziemlich schnell eine gleiche Vision gehabt. Fand ich auch interessant. Es war eigentlich sofort klar, als wir da mal den Schritt gemacht haben, dass das in der Begrenzung sehr viel fokussierter ist und uns sehr viel klarer ist, um was es geht. Und auch sofort klar war, dass man sich dadurch abhebt von anderen Filmen, die es dazu gibt und auf eine Art natürlich auch auf Produktionsseite reizvoll war, weil es sehr viel eher zu realisieren war.
In welche Richtung war es denn vorher gegangen, also vor dieser Fokussierung? Moritz Binder: Die Prämisse, die mich auch gereizt hat, als Tim, Thomas und Philipp an mich herangetreten sind, war zu sagen, wir erzählen alles, was belegbar ist. Es gab ja bereits Verfilmungen, aber hier wird nichts interpoliert, hier wird keine Dramatik hinzugefügt, die es nicht gab. Und da ich ja eigentlich vom Dokumentarfilm komme und vorher auch Fernsehjournalist war, war das für mich ganz toll, dass ich wusste: Okay, ich kann jetzt Akten wälzen, Bücher lesen, darin Aspekte entdecken.
Und dann hatten wir uns festgelegt. Wir konzentrieren uns auf den Krisenstab, auf die Polizei, auf die Medien, auf die Ordnungskräfte vor Ort und erzählen den Nahostkonflikt nur am Anfang, solange es belegbar war. Wie sind die Mitglieder von „Schwarzer September“ da aufs Gelände gekommen und so weiter. Das war unser erster Ansatz, der war multiperspektivisch, aber nur belegbar. Und das war ein sehr breites Buch. Das hatte natürlich auch eine große Spannung, weil man immer zwischen den Perspektiven schalten konnte. Das war schon fast so ein Erleichterungsmoment, als wir Geoffrey kennengelernt haben und gesagt haben: „Ah, super! Jetzt haben wir für das Gefühl vielleicht sogar auch noch die Perspektive.“ [15530]