Stefan Söllner von ARRI Solutions über Konstruktion und Farbmanagement der DarkBay Virtual-Production-Stage
So entstand das Volume für „1899“ (2)
von Timo Landsiedel,
Für die Netflix-Serie „1899“ baute ARRI Solutions eine der größten Virtual-Production-Stages Europas. Stefan Söllner, Head of Technology ARRI Solutions, hat uns für unser Heft 1–2.2023 geschildert, wie die Konstruktion lief und wie das Farbmanagement funktioniert.
Die Konstruktion
Die Umbauten am Produktionsstudio in Babelsberg begannen im Januar 2021. Hier gab es zwei Hauptbaustellen. Die erste war der Boden der Studiohalle. In der Planung Ende des Jahres war sich die Crew bewusst geworden, dass eine verlässliche Basis für LED-Wand und Plattform erforderlich war. „Wir haben in der halben Bühne den alten Holzfußboden entfernt und ein neues Fundament gegossen, weil der Holzboden das Gewicht der Plattform nicht getragen hätte“, erklärt Söllner. Das Timing musste sehr genau stimmen, denn die 800 Quadratmeter Beton mussten trocknen, bis sie belastungsfähig waren. Das durfte den Rest des Baus nicht aufhalten.
Daran anschließend wurde die Drehplattform gebaut. Das übernahm Gerd Nefzer mit seinem Team von Nefzer Special Effects. Der Drehteller hatte 21 Meter Durchmesser. Baran Bo Odar und Nik Summerer brauchten eine Fläche, auf der ein großes Set sowie die wichtigsten Mitglieder der Crew Platz finden – und die Kamera dennoch Bewegungsfreiheit hatte. Die zweite große Baustelle zog sich fast durch die ganze Konstruktion. Das war die Elektrotechnik auf dem Gelände des Studio Babelsberg. „Wenn wir alles, was am Ende im Studio steht, auf Vollgas laufen lassen, brauchen wir fast 900.000 Watt“, erläutert Stefan Söllner. „Das funktioniert dann aber auch.“ Ein weiterer großer Faktor war die Klimatisierung. „Die Wand ist im Prinzip eine große Heizung“, scherzt Stefan Söllner. „Das muss entsprechend abgeführt werden.“ Die Crew entschied, für das erste Jahr keine feste Klimaanlage zu installieren, da deren Bau den Zeitrahmen gesprengt hätte. So wurde die Kühlung für die Dreharbeiten von „1899“ über mobile Lösungen gewährleistet.
Im Februar 2021 begann die Konstruktion der LED-Wand aus 1.470 ROE-Ruby-2.3- Einheiten. Produzent Klausing hatte die Bestellung von Faber A.V. bereits im Herbst angestoßen, ARRI hatte dann übernommen. Trotz engem Zeitrahmen verlief der Bau laut Söllner flüssig. „Der Aufbau der LED- Wand lief so verlässlich. Faber hat gesagt, die steht innerhalb von 14 Tagen und die waren nach 13,5 Tagen fertig“, sagt der Projektleiter. Parallel zur Wand wurden die Komponenten geliefert und aufgebaut, die zu deren Betrieb in der Brain Bar und im Serverraum nötig sind. Ab Mitte März wurde die LED-Wand kalibriert und es begannen die ersten Tests. Diese Tests wurden im April fortgeführt. Zudem wurde letzte Hand angelegt an Details im Studio. Im April startete dann auch die Szenenbildabteilung mit den ersten Setbauten für die Dreharbeiten. Diese konnten plangemäß am 3. Mai 2021 für „1899“ beginnen.
Technische Daten
Studiogröße: 56 m x 30 m, Deckenhöhe 14 m
LED Volume (Ellipse): 367 m², 7 m Höhe, ROE Ruby 2.3
LED Deckensichel: 253 m²
LED Gates: 96 m², vier separate, bewegliche Wände
ARRI SkyPanel Decke: 162,5 m², mehr als 70 S60-C, mehr als 50 ARRI Orbiter
Serverraum: 22 Lenovo P620 und 44 NVIDIA RTXA6000
Tracking: Vicon Motion System und TrackMen
Drehscheibe: 21 m Durchmesser, bis 25 t Tragkraft
Farbworkflow
Laut Söllner ist es wichtig, sich im Vorfeld Gedanken über das Farbmanagement im Zusammenspiel der LED-Wand mit der Kamera zu machen. Söllner rät, die Workflows so auszurichten, dass der gewohnte Postproduction-Farbworkflow beibehalten werden kann. „Der Trick ist dabei, dass man das Material für die LED-Wand und das ganze Farbprocessing für die Stage so vorbereiten muss, dass man es schafft, dass die natürlichen Objekte, die vor der LED-Wand stattfinden, in ihren Farbwerten genauso dargestellt werden wie die Objekte, die auf der LED-Wand abgebildet werden.“ Das funktioniert laut Söllner nur mit einer ordentlichen Farbkalibrierung im Vorfeld. Das kreative Grading sollte nicht dafür angewendet werden müssen, etwas auszugleichen, was technisch schon hätte richtig gemacht werden können. Das schränke letztlich auch wieder kreativ ein. „Die Virtual Production soll aber ja genau das Gegenteil bewirken.“ Stefan Söllner und sein Team empfehlen, für die LED-Wall native Farbräume auszuwählen. „Es gibt natürlich die Möglichkeit, dass man einen vollständigen HDR-Workflow macht, mit einer PQ-Helligkeitsenkodierung und das Ganze in einem SMPTE ST 2084 Farbraum abbildet. Das ist aber nicht unbedingt immer die beste Lösung“, so Stefan Söllner. „Wir glauben, dass es einfacher ist, die LED-Wände in einem nativen Farbraum anzubieten. Sobald ich den Farbraum ändere und sage, ich nehme nur PQ oder REC.709, beschränke ich die Wände in ihrem Farbumfang. Der native Farbraum der Wände ist der beste.“
Projekteignung
„Es ist kaum möglich, Effekte wie Moiré, Farbverschiebungen oder andere seltsame Effekte, die mit der LED-Wand kommen, live zu bemerken und einzuschätzen“, sagt Stefan Söllner. ARRI bietet DITs hier einen Workflow an, der auf die Volume zugeschnitten ist und eine Kontrollmöglichkeit bietet. Das könnte bis hin zum Bereitstellen einer zusätz- lichen Person gehen, die sich darum kümmert, das Bild nach diesen Kriterien zu beurteilen. „So kann sofort gehandelt werden und nicht erst einen Tag später, wenn die Dailies gesichtet wurden.“
Laut Söllner gibt es zwei Grundworkflows, die man mit einer derartigen Virtual-Production-Stage gut abbilden kann. Das eine ist der vollständige 3D-Workflow, wie es bei „Mandalorian“ oder „1899“ der Fall war. Die gesamten Hintergründe liegen in 3D vor und sind über Tracking mit der Kamera synchronisiert. Der Aufwand ist immens, das Budget dementsprechend hoch. Dies eignet sich für historische Stoffe, die nicht auf fertige Motive zurückgreifen können, oder Genres wie Science-Fiction, die komplette Welten erschaffen müssen. „Die Entwicklungskosten für die StageCraft bei Industrial Light & Magic waren hoch“, so Söllner. „Aber für eine Serie baut man in einer Staffel die Hintergründe und kann diese dann immer wieder verwenden – ohne Lagerkosten.“
Wofür sich die Technologie nicht lohnt, sind einfache TV- Produktionen wie der „Tatort“. Da ist es deutlich günstiger – und auch wesentlich überzeugender – an realen Schauplätzen und Motiven zu drehen. „Genau dazwischen befindet sich noch ein Zwischending“, sagt Stefan Söllner. „Ich kann im Vorfeld qualitativ hochwertige 2D-Plates aufnehmen und die dann auf der LED-Wand abspielen.“ So könne er 24 Stunden am Tag eine Sonnenaufgangsszene auf der Zugspitze im Studio drehen. „Hier könnte sich auch für deutsche TV-Produktionen ein Markt etablieren.“ [15286]