Mitinhaber Wolfgang Bäumler zur Firmengeschichte von Vantage Film
Charakter statt Auflösung
von Gerdt Rohrbach,
Im oberpfälzischen Weiden findet Vantage Film technische Lösungen für ganz eigene Looks. Wolfgang Bäumler, einer der beiden Inhaber, hat Gerdt Rohrbach für unser Heft 9.2023 erzählt, was es damit auf sich hat.
Schon recht früh hatten sich die Kindheitsfreunde Peter Märtin und Wolfgang Bäumler mit dem Film-Virus infiziert. Schuld daran war der Großvater von Peter, denn er hatte seinem Enkel eine Super-8-Kamera geschenkt. Schon bald war das kleine Format zum Drehen den beiden nicht mehr gut genug: Es musste eine 16-mm-Beaulieu her. Nach der Schule durchlief Wolfgang Bäumler eine Feinmechaniker- und Maschinenbauerlehre, was ein Segen für das Film-Hobby war. Denn was sich die beiden nicht von ihrem zusammengekratzten Taschengeld kaufen konnten, bauten sie sich selbst zusammen: Stative mit Kurbelkopf, einen Jib-Arm oder auch einen Dolly. Von Anfang an war den beiden beste Qualität wichtig und an Erfindergeist mangelte es ihnen nie. Schließlich suchten sie Kontakt zu Profis in München. Um zusätzliches Einkommen zu generieren, aber auch um Erfahrungen zu sammeln, jobbten sie als Assistenten bei verschiedenen Kameraleuten, unter anderem als Unterwasser-Operator, und lernten auf diese Weise nicht nur die Technik, sondern bekamen auch mit, wie die Menschen am Set ticken – Erfahrungen, die auch heute noch wichtig sind.
Als Fans des großen Kinos verfielen sie darauf, einen Kurzfilm in Cinemascope zu drehen. Glücklicherweise lernte Peter Märtin zu dieser Zeit einen lettischen Kameramann kennen, der ihnen ein anamorphotisches Objektiv aus sowjetischer Produktion zur Verfügung stellte. Wolfgang Bäumler nahm es auseinander, reinigte es und studierte genau, wie das Objektiv funktionierte. Ihren ersten Film, den sie damit belichteten, zeigten sie auch gleich den ihnen bekannten Kameramännern in der Vorführung des Bavariastudios, die sie für eine Stunde gemietet hatten. Das Feedback war großartig: Die Kameraleute wollten direkt erfahren, mit welchen Optiken die Bilder entstanden waren, die sie so unglaublich fanden.
Gab es außer dem „großen Kino“ noch andere Gründe für Ihre Begeisterung für Anamorphoten?
Die Anamorphoten lieferten uns eine Bildästhetik, die wir damals sehr geliebt haben. Die kannten wir natürlich auch aus dem Hollywood-Kino, aber nicht nur. Was ich sehr geliebt habe, waren französische Spielfilme, einer davon war „Letztes Jahr in Marienbad“, ein anamorphotischer Schwarz-Weiß-Film, Wahnsinn! Das waren Bilder, die mich einfach gefesselt haben, und die die Geschichte perfekt transportierten. Gerade in Deutschland war die Kultur des Bildermachens zugunsten des reinen Geschichtenerzählens verloren gegangen. Im Autorenkino waren die Bilder zweitrangig, die Geschichte stand im Vordergrund. Dabei muss aber eine Geschichte durch Bilder transportiert werden, und das war nicht da! Ich habe mir in meinem jugendlichen Leichtsinn eingebildet, dass ich das mit meinen Anamorphoten besser zeigen kann, weil sie eine Geschichte anders erzählen können. Damals habe ich mit einem Kameramann oft gestritten, denn er war ein Verfechter des Formats 4:3, goldener Schnitt – ich widersprach. „Ich sehe doch in die Breite! Ich sehe nicht vertikal. Mein Bildfeld ist horizontal. Meine zwei Augen sind schließlich auch horizontal angeordnet.“
Was bedeutete das für Sie als Jungunternehmer? Wir erkannten hier Potenzial für die deutschen Filmemacher. So ist neben unserer Leidenschaft für den Film auch unsere Leidenschaft für die Technik stärker in den Vordergrund getreten und wir beschlossen, Anamorphoten zu bauen. Was braucht man dazu? Als Erstes braucht man eine Optik-Berechnung, das konnten wir nicht. Man braucht eine Konstruktion um die Optik herum, das konnte ich. Man braucht eine Fertigung, die hatte ich zur Not. Der Vater meines Geschäftspartners Peter Märtin hatte ja eine Maschinenbaufirma, da standen Drehmaschinen, Fräsmaschinen und Bohrmaschinen und mit denen konnte ich umgehen. Somit haben wir die ersten Optiken komplett selbst gebaut.
Wo bekamen Sie das Glas her?
Wir suchten und fanden einen jungen Mathematiker. Und dann ging das los. Von ihm wurden die ersten vier Optiken gerechnet. Wir haben unser ganzes Geld zusammen- gekratzt und haben die ersten Gläser fertigen lassen. Damit haben wir die ersten Prototypen gebaut, und als die fertig waren, mussten wir sie natürlich testen. Aufgrund der technischen Beschaffenheit dieser Objektive konnten wir unsere Arriflex 2C nicht verwenden, also brauchten wir eine andere Kamera. Wir kauften dann in München eine gebrauchte ARRI 35-3 und mit dieser Kamera begann unser anderer Geschäftszweig: die Vermietung. Nachdem wir unsere ersten Tests mit den Anamorphoten gefahren hatten, lag die Kamera herum. Wir hatten aber noch zwei Optiken aus unserer Arriflex-2C-Zeit. Damals rief uns ein Freund, ein Steadicam-Operator aus Prag an. Er hatte auch schon zu Zeiten des Eisernen Vorhangs viel in Deutschland gedreht und wollte unsere ARRI 35-3 mieten. Das war für uns natürlich eine tolle Möglichkeit, unsere Kamera, für die wir ja viel zahlen mussten, zu finanzieren.
Irgendwann kam aus Prag die Frage, ob wir einen ZEISS-Satz besitzen würden, oder dieses und jenes. Schnell haben wir erkannt, dass das ein gutes Geschäft ist, weil Prag ja auch so nahe liegt. Mit dem Verleih unserer Kameras konnten wir natürlich die Anamorphoten kombinieren. Damals hatten wir das Glück mit Igor Luther, dem Kameramann der „Blechtrommel“, einen Film zu drehen. Igor lernten wir damals über Münchner Kontakte kennen. Er rief uns an und fragte uns, ob wir die sind, die neue Anamorphoten haben und wollte sie gleich testen. In München haben wir zusammen mit Luther den Test gedreht, und gingen dann ins ARRI-Kino. Nach der Vorführung stand Igor auf, ging raus, hatte sich eine Zigarette angezündet, sah mich an und sprach von einem Wunder. Er hatte damals den ersten Film mit unseren Optiken gedreht: „Das Bett“. Das war eine tschechische Produktion, ein kleiner Film, der nicht sehr bekannt geworden ist, aber ein sehr schöner!
Können Sie beschreiben, was ein anamorphotisches Filmbild für Sie so einzigartig macht?
Da ist schon einmal die Breite, damit kann ich Räume ganz anders definieren. Ich kann Tiefe erzeugen. Durch die reduzierte Schärfentiefe kann ich auch Handlungsebenen leichter aufzeigen, ich kann sie abgrenzen und ich kann durch den Effekt des anamorphotischen den Eindruck von 3D erzeugen, ohne dass es tatsächlich 3D ist. Ich erzeuge eine Bildwirkung, die dem räumlichen Erleben nahekommt, weil ich in diesem einen Objektiv zwei Brennweiten habe und damit auch zwei Nodal Points. Damit erzeuge ich eine Tiefe, die ich mit einer sphärischen Optik nicht bekomme. Mit der Breite kann ich etwas ganz anderes erzählen, was ich in einem 4:3-Bild mit Schnitten bewerkstelligen müsste. Bei einem breiten Bild muss ich weniger schneiden, weil ich meine Protagonisten anders positionieren kann. Somit sind viel ruhigere Einstellungen möglich.
Sie fördern auch Nachwuchskräfte. Demnächst wird wieder einer von ihnen zu Vantage kommen, weil er einen Ihrer Anamorphoten für Super 16 testen will.
Da sind wir übrigens die einzigen, die für Super 16 Anamorphoten bauen. Diese Anamorphoten sind auch der Grund, warum unsere 16-mm-Filmkameras immer noch sehr gut gemietet werden. Wenn ich das Gefühl der achtziger Jahre bekommen will, Körperlichkeit auf der Leinwand sehen will, muss ich in 16 mm drehen. Das 16-mm-Material ist mittlerweile so gut, dass es sich mit dem 35-mm-Material der neunziger Jahre messen kann. Nachwuchskräfte sind natürlich als Kunden der Zukunft überaus wichtig. Außerdem ist es sehr spannend, ihre frischen und unverbrauchten Ideen in technische Lösungen umzusetzen. [15366]