Der Einsatz von Algorithmen nimmt auch in der Film- und TV-Branche langsam Fahrt auf. Auch in Deutschland testen erste Startups, wo und wie Software Produzenten und Distributoren unterstützen kann. Einer der Early Mover bei dem Thema ist Jannis Funk mit seinem Startup Cinuru. Film & TV Kamera sprach für die Ausgabe 12/2018 mit ihm über die Chancen und Grenzen der Algorithmen im Filmgeschäft.
Jannis, was kann eure Software Cinuru? Wie und wo wird sie eingesetzt? Wir sammeln und analysieren Daten aus der Kino-Loyalty-App Cinuru, die beim Endkunden auf dem Smartphone installiert ist. Zusammengefasst lautet der Deal: Du erzählst uns etwas über deinen Filmgeschmack und dafür bekommst du passende Filme empfohlen. Im Grunde ersetzt die Cinuru App die klassische Pappkarte, auf die ich beim Kinobesuch einen Stempel bekomme.
Kinos bekommen so einen digitalen Kanal zu ihrem Publikum. Sie müssen keine generischen Newsletter mehr verschicken und können genau die Leute ansprechen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Interesse an genau den Filmen haben, die sie spielen. Filmverleiher bekommen ein Tool, mit dem sie ihr Marketing besser kontrollieren können. Kommen meine Trailer an? Haben die Leute, die ich erreichen wollte, den Film auf ihre persönliche Merkliste gesetzt? Haben sie ihn dann auch besucht? Wir haben bisher einige Tausend Downloads der App, starten jetzt mit zehn Kinos und haben hoffentlich 35 bis Ende des Jahres.
Für Streamingdienste ist die Auswertung der Nutzungsdaten für die Programmplanung und Kundenbindung bereits länger im Einsatz. Bekannt wurde die algorithmenbasierte Prognose des Erfolgs von House of Cards bei Netflix. Wie wichtig sind algorithmische Verfahren für deren Geschäft? Netflix hatte von 2006 bis 2009 einen Wettbewerb ausgeschrieben und eine Million US-Dollar als Preisgeld für eine Lösung ausgesetzt, die ihren Algorithmus bei der Genauig- keit um zehn Prozent schlägt. Das ist einem internationalen Wissenschaftlerteam erst nach drei Jahren gelungen. 2013 hat Netflix veröffentlicht, dass 75 Prozent seiner Angebote auf algorithmische Empfehlungen zurückgehen. 2015 haben sie als Experiment – das wurde auch in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht – einem Teil ihrer User das Empfehlungssystem abgeschaltet, um zu sehen, ob diese Gruppe häufiger ihr Abo cancelt. Das war tatsächlich der Fall und mit Zahlen hinterlegt hat Netflix festgestellt, dass der Algorithmus Verluste von ca. einer Milliarde US-Dollar pro Jahr verhindert – damals mehr als ein Zehntel des Gesamtumsatzes.
Wie fein ist euer Algorithmus justiert, wie tief fragt er meine Vorlieben ab, wie genau kann er meinen Filmgeschmack erfassen?
Das hängt vor allem davon ab, wie oft du die App benutzt. Wir arbeiten auf der Basis von Empfehlungsalgorithmen. Es gibt explizite und implizite Datenpunkte. Explizit bedeutet, du erzählst mir aktiv wie dir der Film gefallen hat, wie du ihn bewertest, wie du ihn auf einer Fünf-Sterne-Skala oder mit Daumen hoch/Daumen runter einordnest. Implizite Datenpunkte sind Informationen wie: Du hast dir den Trailer angeschaut, auch zu Ende angeschaut. Oder: Du hast den Film wirklich besucht. Die Forschung zu dem Thema zeigt, dass man zwischen 30 und 50 Datenpunkten braucht, um eine verlässliche Voraussage machen zu können.
Algorithmen, die den Geschmack der Zuschauer abfragen und analysieren und Empfehlungen aussprechen oder Produktionsentscheidungen unterstützen, sind eine Seite. Die andere Seite sind Algorithmen, die kreative Jobs erledigen sollen. Etwa das Drehbuchschreiben. Was denkst du darüber? Ich habe dazu eine sehr differenzierte Meinung. Zunächst: Was bedeutet es überhaupt, wenn man sagt “der Computer ist kreativ?” Nehmen wir zum Beispiel das Sunspring-Projekt von Oscar Sharp. Bei dem hat das Programm Benjamin das Drehbuch für einen Sci-Fi-Kurzfilm geschrieben, der dann auch realisiert und auf Festivals gezeigt wurde. Solch eine Produktion finde ich vor allem interessant als Ausgangspunkt für eine kreative Auseinandersetzung – darüber kann man dann diskutieren.
Aber für die Bewertung von Drehbüchern sind eigentlich ganz andere Dinge ausschlaggebend. Zum Beispiel die Logik des Charakters: Wie glaubwürdig verhalten sich die Figuren? Kann man sich mit ihnen identifizieren? Wie realistisch sind die Kausalitäten der Handlung und der dargestellten Ereignisse? Bei diesen Dingen sind Maschinen noch total schlecht. Den Ereignissen eine Kausalität zu geben, sich in Figuren hineinzuversetzen und menschliches Verhalten zu emulieren – nichts anderes macht ja ein Drehbuchautor – darin sind Computer noch nicht gut. Und das wäre auch eine völlig überzogene Erwartung.
Lars von Trier hat mit einem Automavision genannten Verfahren Kamera und Schnitt durch eine Software steuern lassen. Die wählte dann nach einem Algorithmus etwa den Bildausschnitt und später die Szenen für die Montage aus. Was hältst du davon?
Ich kenne da noch ein weiteres Beispiel, neben Sunspring. Die Software Unfinished, mit der der bildende Künstler Roman Lipski neue Variationen seiner Bilder simulieren lässt, um sich damit wiederum für die eigene Arbeit zu inspirieren. Das finde ich – wie gesagt – interessant als Ausgangspunkt eines künstlerischen Prozesses. Aber dann gehe ich in die kreative Auseinandersetzung mit solchen Lösungen oder mache sie zum Teil meines künstlerischen Gestaltungsprinzips – und übernehme sie nicht 1:1.
Ein anderes Beispiel ist die Software Scriptbook aus Belgien. Die verspricht, auf der Basis einer durch Algorithmen gesteuerten Analyse, das Kassenpotenzial eines Drehbuchs realistisch vorauszusagen. Könnte nicht ein Algorithmus zumindest die grobe Vorlage für einen eher schematischen Genrefilme abliefern?
Nicht einmal das kann ich mir vorstellen. Wobei wir hier über das Abstraktionslevel reden müssten. Wenn der erwartete Output des Algorithmus ein fertiger Film, oder ein fertiges Drehbuch bis auf den Text herunter sein sollte, dann glaube ich nicht daran. Ein Drehbuch funktioniert ja nur zu einem geringen Teil auf der Ebene der Sprache. Wichtigeres liegt darunter, in der Geschichte selbst. Die „Größe des Eisbergs“ des Drehbuchs ist für den Computer gar nicht sichtbar.
Den Rest des Interviews können Sie in unserem Heft 12/2018 lesen.
ALGORITHMEN BEIM FILM
Cinuru generiert über eine, auf den Smartphones der Ki- nobesucher installierte App, Nutzerprofile zum Filmgeschmack. Diese werden mit Transaktionsdaten von der Kinokasse kombiniert. Kinos und zukünftig auch Verleiher bekommen Hinweise darauf, wie ihre Marketingmaßnahmen ankommen und können Filme personalisiert bewerben. Kinogänger bekommen persönliche Empfehlungen. Entstanden im Umfeld der Filmuni Babelsberg und inzwischen als Ausgründung unterwegs. https://cinuru.com/
Die non-kommerzielle und werbefreie Movielens-Lösung wird von GroupLens, einer Forschungseinheit an der University of Minnesota, betrieben. In der Community kann man Filme detailliert und in vielen verschiedenen Parametern bewertet und bekommt umgekehrt personalisierte Filmempfehlungen.
Moviemod ist eine Bewertungssoftware, mit der die Industrie fertiggestellte aber noch nicht veröffentlichte Filmprojekte bewertet lassen kann. Der Algorithmus generiert Ergebnisprognosen und unterstützt Marketingstrategien.
Scriptbook ist eine AI-Firma, die Stakeholder im Filmbusi- ness unterstützen will. Ihre gleichnamige Software bietet ein System zur automatisierten Script-Analyse für einen wirtschaftlichen Forecast des Projekts. Die Firma wirbt damit, dass ihre Lösung akkurate Prognosen zum kom- merziellen Erfolg des Projekts an der Kinokasse und bei der Filmkritik leisten kann.
Benjamin, der angeblich erste automatische Drehbuchautor, ist eine Softwarelösung, mit der 2016 das mutmaßlich erste komplett maschinengeschriebene Script für den Sci-Fi- Kurzfilm “Sunspring” erstellt wurde. Der Algorithmus wurde mit einem Dutzend Sci-Fi-Drehbücher gefüttert.