DoP Richard Eckes stellt Idee einer Gimbal-Cam vor
Gutes Wackeln, schlechtes Wackeln
von Redaktion,
Richard Eckes ist DoP und war rund 20 Jahre lang Steadicam-Operator bei zahlreichen Kinoproduktionen, TV-Filmen und -Serien und in der Werbung. Seit die Gimbals den Markt erobern, vermisst er die konsequente Umsetzung der Stabilisierung der Handkamera. Also erarbeitete er ein Kurzkonzept. Für Hersteller war es nicht interessant. Nun stellt der DoP es hier vor, um mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.
Bildgestaltung sollte in der Regel der Geschichte beziehungsweise dem Inhalt des jeweiligen Beitrags dienen. Zur Umsetzung wählt man das beste verfügbare, technische Instrument mit gleichem Ziel. Auf diesen gemeinsamen Nenner könnten sich vielleicht alle Filmschaffenden einigen. So weit so gut. Aber wie beurteilt der Otto-Normal-Zuschauer die fertigen Produkte?
Zum Thema Kameraarbeit äußern sich Konsumenten eher selten explizit – und wenn, dann werden je nach dem überwiegend die „tollen Bilder“ oder die „nervende Wackelkamera“ erwähnt. Hat ein von unruhigen bis verrissenen Bildern gereizter Rezipient bloß keine Ahnung? Hat er einen schlechten Geschmack und erkennt die Kunst nicht? Oder ist er ganz einfach selber Schuld, weil er zu nah am Bildschirm sitzt? „Warum machen die das so?“ oder „Muss das so sein?“ Wie auch immer, der Betrachter ist genervt und das hat seine Gründe.
Über den Einsatz der sogenannten Handkamera mit ihren „lebendigen“ Bilderwelten wurde schon viel und kontrovers diskutiert, besonders heftig zum Beispiel im Rahmen der Dogmawelle. Über Geschmack lässt sich streiten, jedoch möchte ich an dieser Stelle über eine – wenn auch unscharfe – Grenze sprechen, an welcher bildliche Aufzeichnungen ihre „Das-geht-noch-als-Kunst-durch“-Ebene verlassen und tendenziell in die Bilderschrott-Tonne gehören.
Sei es nun aus bildgestalterischen Gründen oder bloß aufgrund mangelnder Zeit: Immer wieder sind selbst Dialogszenen mit wenig hektischem oder stressbeladenem Inhalt derart zappelig fotografiert dass kaum ein Einzelframe physikalisch scharf ist und man zum Beispiel der Mimik des Schauspielers nicht folgen kann. Aber ist dies letztlich nicht Herz und Seele der allermeisten Filme und Beiträge? Wie viele Leute stehen am Set-Monitor und sehen nicht, was sie sehen?
Bedenkt man den Produktionsaufwand und die Mühe beim Schnitt sowie Grading – verrissene Schauspieler-Porträts sind letztendlich ebensowenig zu retten wie Vorbeifahrten an Architektur. Daran ändern auch 4K (oder mehr) und HDR nichts.
Trägt die geringe Bildwechsel-Frequenz die alleinige Verantwortung? Wäre HFR die Lösung?
Gamefreak-Look
Die geringe Anzahl von 24 oder 25 Bildern pro Sekunde bewirkt einen eher subtil wahrnehmbaren „Judder“ und „Strobing“-Effekt als vielleicht wichtigstes, elementares Überbleibsel vom Look der klassischen Filmkameras. Die hiermit verbundene Bewegungsunschärfe ist jedoch besonders beim Handkamera-Einsatz mit tendenziell längeren Brennweiten ein wahrer Stolperstein. Eine Veränderung der üblichen Belichtungszeit (Bildrate : 2 – entspricht der 180-Grad-Umlaufblende von Filmkameras) nach oben oder unten stellt auch keine Pauschallösung dar: Bei kürzerer Belichtungszeit entstehen schärfere Einzelbilder und mehr „weggelassene Zwischenzeit“ und bei verlängerter Belichtungszeit wiederum mehr Bewegungsunschärfe und weniger „Realitätsverlust“. Jede Variante hat Ihren eigenen Look und gehört damit auch zum kreativen Rüstzeug des Bildgestalters. Ist der Effekt jedoch unerwünscht, könnte die Erhöhung der Bildrate Abhilfe gegen (übermässiges) Juddern und Verwaschen bieten.
Regisseur Ang Lee wählte für sein 3D-HFR-Projekt „Billy Lynn ‘s Long Halftime Walk“ 120p, weil das menschliche Auge bei dieser Bildfrequenz keine Einzelbilder mehr erkennen/trennen kann. Die erste mir bekannte Person, die den Film in 120p/3D sehen konnte, meinte sinngemäss: „Das sah schrecklich aus – vielleicht schön für Gamefreaks …“
Als ganz besondere bildgestalterisches Element wurde bei diesem Projekt ein synthetischer Shutter zur kontrollierten Generierung von Bewegungsunschärfe mittels der True Motion Software genutzt. Wie auch immer: Eine Erhöhung der Framerate kostet (Chip-)Empfindlichkeit und vergrössert das Datenvolumen.
Auge zu und durch?
Ganz unabhängig von der Problematik, wie immer weiter wachsendes Datenvolumen erfasst, verarbeitet und an den Zuschauer gebracht werde kann, wäre ein verbessertes Handkamera- Werkzeug vielleicht ein guter Ansatz für „lebendige, atmende Bilder“ bei 24 und 25 fps: Durch mehr Kontrolle bei Wacklern und Schlägen während der Aufzeichnung von Bewegtbildern. Schließlich ist es nicht durchgehend eine rein kreative Entscheidung des Operators, wie sehr seine Kamera zappelt – allzu oft ist es physikalisch ganz einfach nicht besser möglich. Im Rahmen einer „Das machen wir alles aus der Hand“-Umsetzung ist die Wahl der Brennweite und die Bewegung des Bildgestalters auf welchem Untergrund auch immer eben nichtunabhängig vom bildlichen Ergebnis.
Die GimbalCam
Ich stelle mir ein eine handliches Handkamera-System vor, welches auf Basis bereits existierender Achsen-Stabilisationstechnik eine Art Kamera-Gimbal-Symbiose bildet. Mit schnell verstellbarer Stiffness und Griffen neben dem Kamerabody, in die Hände des Operators konstruiert, ähnlich dem Gimbal-System Helix von Letus. Schlank, leichtgewichtig und schnell justiert, als Einheit entwickelt komplett vom Kamerahersteller.
Der grundlegende Trick: Jedes Objektiv ist rund und beleuchtet den Kamera-Chip, welcher sich gimbal-stabilisiert in der Objektiv-Achse dreht. Nur die Pan- und Tilt-Stabilisierung werden ähnlich dem üblichen Doppelgriff-Zubehör montiert oder eben nicht. Netter Nebeneffekt: Diese Kamera bietet ohne Außen-Gimbal eine blitzschnelle Nach-und/oder Fein-Nivellierung des Bildes (z.B. nach Korrektur der Stativ-Position auf unebenem Grund) und ist optimal geeignet für beispielsweise seegangfreie Steadicam-Einsätze. Mitchell-Mount-Nutzer würden sie lieben.
Gerade die optische Achse verursacht erheblichen mechanischen Aufwand und/oder Beschränkungen durch Ring- und/oder L-förmige Aussen-Konstruktionen. Die Einsparung an Gewicht kommt dem tragbaren Kamera-Gewicht zugute. Die Schwingungsanfälligkeit durch L-Träger fällt weg und damit auch die allzu enge Längen-Begrenzung vom Kamerabody mit Objektiv. Die beiden Griffe befinden sich im Standardbetrieb direkt in Kamerahöhe, um einen Blick von Bauch- bis Kopfhöhe (und deren Wechsel im ON) zu gewährleisten. Die beiden Motoren sind sehr großzügig dimensioniert, damit das Fein-Trimmen nicht zur Zeitfalle wird und das System-Delay je nach Wunsch des Bildgestalters auch sehr steif, also „sehr schnell folgend“ eingestellt werden kann. Gleichzeitig ermöglicht eine programmierbare „Stiff“-Taste am Griff eine Fast-Feststellung der Motoren für schnelle Schwenks im ON. Der Kamera-Body sollte aus naheliegenden Gründen entsprechend leicht und kurz ausfallen. Die ARRI ALEXA Mini zum Beispiel zeigt, dass dies auch im High End- Bereich möglich ist.
Da Zeit (auch) Geld ist und zuweilen der primäre Grund für eine Umsetzung per Handkamera, bietet die GimbalCam vielleicht eine gute Symbiose zwischen trägem Schweben und zappeliger Unmittelbarkeit.
Die Leistungsfähigkeit marktüblicher Gimbals hat sich herumgesprochen. Die Nachteile beim praktischen Einsatz als Handkamera-Werkzeug jedoch ebenso. Ein Verzicht auf die Aussenstablilisierung der optischen Achse spart viel Material/Gewicht zu Gunsten des Kamerabodys und der Motoren. Der Justier-Aufwand verringert sich erheblich. Denkbar ist nun auch eine Schnell-Verschiebung plus Feintriebe für das Balancieren der Achsen, so wie es bei Steadicam-Systemen Standard ist.
Das GimbalCam-System kann im szenischen Bereich mit Festbrennweiten und Leichtzooms genauso Anwendung finden wie bei Dokumentationen und News. Im Rahmen der Leistungsfähigkeit der Motoren kann bei hohem Kameragewicht und besonders langen Tragezeiten eine Stützweste wie zum Beispiel die Exhauss Exoskeleton Vest gute Dienste leisten. Gleichzeitig kann mit solchem Zubehör die Kontrolle der Auf- und Abbewegungen erleichtert werden.
Folgende Features sind für die GimbalCam naheliegend:
Schärfenzieheinrichtungs-Empfänger in Kamerabody integriert
Funkvideo integriert oder integrierbar (Baustein?)
Rotation des Kamera-Chips möglichst rund 230 Grad oder mehr (180 + 2×25 für Hoch-, Normal-und Tief-Modus)
„Stiff“-Taste für Wechsel zu schnellen Schwenks und „rauheren“ Bewegungen im ON
Schnellanpassung zum Beispiel nach Objektivwechsel per Regler oder Tasten direkt am Gerät möglich.
Neben den „Ready-to-use”-Einstellungen jede Achse getrennt programmierbar
Remote per App und Fernsteuerung (Stativbügel als Zubehör)
Aussenmotoren möglichst flach mit grosszügigem Radius
Luxus wäre ein waagerechter Träger in der Weite verstellbar
Sofern realisierbar, optionale externe Stromversorgung über Akkugürtel
Leider war der QR-Code im Artikel in unserer aktuellen Ausgabe defekt – aber trotzdem: diskutieren Sie mit – hier in den Kommentaren zum Artikel!