Wir stellen die Preisträger des 29. Deutschen Kamerapreises vor
Beim 29. Deutschen Kamerapreis wurde die fünfteilige Dokuserie “Berlin putzt! Dreckige Zeiten” gleich zweimal ausgezeichnet. Thomas Lütz erhielt den Preis für seine Kameraarbeit. Wir haben ihn in Ausgabe 9/2019 zu der Reihe befragt, die in der Basis Berlin Filmproduktion entstand.
Wie hast du deine Arbeit vorbereitet?
Im Grunde ergaben sich viele Parameter der Dreharbeiten aus dem Konzept heraus. Wir hatten vor, interessante und unterhaltsame Geschichten über das Putzen in Berlin zu erzählen. Mehr noch wollten wir unseren Helden des Alltags dabei zuschauen und ihren Geschichten zuhören. Um das zu erreichen, war es erforderlich, geeignete Protagonisten zu finden, nach spannenden Orten zu suchen und letztlich auch für uns zu definieren, wie weit wir den Begriff des Putzens eigentlich fassen können, um möglichst facettenreiche Geschichten zu erzählen. Rückblickend fand ich diese Phase des Projekts gerade als Kameramann äußerst spannend und befriedigend. Ich habe nicht immer die Chance, in der Frühphase einer Produktion Teil der Ideen- und Stoffentwicklung zu sein, halte es aber eigentlich für eine gute Idee, da so manches Luftschloss im Drehplan gar nicht erst errichtet wird, um dann später, im Laufe des Drehs, wie ein Kartenhaus einzustürzen.
Wie war dein visuelles Konzept?
Ich muss gestehen, ich habe kein visuelles Konzept zu Papier gebracht, was nicht bedeutet, dass ich keines hatte. Es liegt eher daran, dass es unser aller Wunsch war, innerhalb der kurzen Zeit eines Drehtages eine Vertrautheit und Nähe zu unseren Protagonisten aufzubauen, wie man es sonst wohl nur nach einigen Tagen Dreh erreicht. Somit richteten sich eigentlich alle konzeptionellen Gestaltungswünsche nach der Situation am Drehtag aus. Natürlich hatte ich die Ambition “Berlin putzt” anders, vielmehr besser aussehen zu lassen als bisherige Projekte von mir. Jedoch war es mir viel wichtiger auf gängige Muster wie Establishing-Shots, gesetzte Interviews, Unterbrechungen und Inszenierungen zu verzichten. Unterm Strich habe ich mir als visuelles Konzept die Freiheit genommen, eine Reportage mit den Mittel des Dokumentarfilms zu drehen.
Wie viel Zeit habt ihr für den Dreh und mit den Protagonisten verbracht?
Insgesamt hatten wir von August bis Oktober 2017 ungefähr 45 Drehtage. Genau lässt sich dies nicht mehr sagen, da ich so manche Tage einfach durch die Stadt stromerte, immer auf der Suche nach schönen Müllhaufen und spontanen Putzanwandlungen der Stadtbewohner. Die Grundstruktur von “Berlin putzt” fußt auf fünf Protagonisten mit bis zu sechs Episoden und in der Regel drei bis vier Drehtagen. Dazu kommen viele Einzelgeschichten und Orte mit jeweils einem, maximal zwei Drehtagen. Ursprünglich planten wir mit vier Teilen à 45 Minuten, woraus im Laufe der Postproduktion ein Fünfteiler wurde. Wir hatten schlussendlich das Glück zu vieler guter Geschichten und der Sender war ebenso erfreut darüber wie wir und ließ uns eine zusätzliche Folge fertigstellen.
Konntest du die Motive vor dem Dreh besichtigen? Wie hast du dich auf die unterschiedlichen Orte eingestellt?
Ein schöner Aspekt der Arbeit zu “Berlin putzt” war der Heimspielfaktor. Ich konnte die Stadt, die ich sehr mag und glaube, gut zu kennen, aus neuen Perspektiven filmen. Von daher aber kannte ich viele der geplanten Drehorte bereits, freute mich jedoch auf die Neuentdeckung durch den Perspektivwechsel. Lediglich beim Berliner Olympiastadion gab es einen Vorabtermin, jedoch eher aus Sicherheitsgründen, da wir planten, mit unseren Industriekletterern im Stadiondach zu hängen und mit einer Kameradrohne durchzufliegen. An den meisten Orten aber waren wir gut beraten, auf die notwendigen Instruktionen unserer Protagonisten am Drehtag zu hören, diese zu befolgen, um damit auch eine Vertrauensbasis zu schaffen.
Wie frei warst du in der Bildgestaltung?
Man kann es nicht anders sagen: Ich hatte eine sehr große Freiheit bezüglich der Bildgestaltung. Zumindest, was meine Herangehensweise an die Dreharbeiten angeht. Der Grund dafür ist aber sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass ich als Mitinitiator des Projektes einen anderen Zugang dazu hatte. Dennoch gab es Einschränkungen. Aber die waren gewollt. Der Plan war, mit unseren Protagonisten Schritt zu halten, auf Augenhöhe. Nur ungern wollte ich für die Kamera gut funktionierende Prozesse unterbrechen, nichts wiederholen lassen. Unseren Helden das Gefühl geben, wir begleiten sie, bei dem was sie tun. Werden dadurch bestenfalls unsichtbar oder gewohnt. Ich finde, dass sich das sehr auszahlt. Für mich stellte sich eher die Frage, wie man technisch dahin kommt, authentische Situationen, mit sich gut fühlenden Protagonisten so zu filmen, dass es am Ende im Schnitt mmer noch authentische Situationen bleiben. Die Antwort für mich ist eine Mischung aus Gelassenheit und Schnelligkeit unter gelegentlicher Zuhilfenahme von Technik wie Gimbals, Actioncams und Coptern. Ich war mir aber auch stets bewusst, dass ich gewisses Risiken eingehe, wenn ich zu Recht etablierte Reportageregeln vernachlässige und damit Probleme im Schnitt kreiere. Umso mehr freue ich mich, dass der Schnitt und unser Editor Carsten Piefke ebenfalls ausgezeichnet wurden!
Hast du dich zu irgendeinem Zeitpunkt auch mit Carsten Piefke besprochen?
Carsten und ich kennen uns seit “fernOst – Von Berlin nach Tokyo” und hatten somit bereits auch schon die monatelange, wie ich finde, sehr gute Erfahrung gemacht, wenn der Schnitt parallel zu den Dreharbeiten erfolgt. Glücklicherweise ticken Carsten und ich auch in vielen Dingen gleich, das macht die Arbeit mit ihm für mich sehr angenehm. Ich fürchte, mit meiner Art, an die Dreharbeiten heranzugehen, habe ich wohl auch das eine oder andere Schnittproblem billigend in Kauf genommen. Letztlich wohlwissend, dass Carsten schon zuvor viel zu oft bewiesen hat, dass er eigentlich so ziemlich alles gerettet kriegen würde. Für mich ein tolles Gefühl. Aber natürlich haben wir uns vor und während den Dreharbeiten abgesprochen. Mit dem Resultat, dass das Bemühen um Authentizität wesentlich wichtiger ist, als den vermeintlich sicheren Weg einer konventionellen Reportage zu gehen. Im Grunde hätte er also ahnen können, was da auf ihn zukommt. Aber ich fürchte, wenn man es schafft, dass Protagonisten selbst entscheiden, was sie wie und wo vor der Kamera tun, entsteht als Beifang eine gehörige Materialflut, welche auch noch, sei es aus Mangel an klassischen Schuss-Gegenschuss-Auflösungen oder Rettungsbildern, schwerer zu schneiden ist, als das von vergleichbaren, “kontrollierten” Dreharbeiten. Das wohl größte Problem für Carsten Piefke waren dabei wohl die Episoden, welche überwiegend mit Gimbal gedreht wurden. So sehr ich auch versuchte es zu vermeiden, die Verlockung von spontanen Plansequenzen, welche durch das System ja ohne weiteres möglich sind, ist gewaltig. Leider aber auch mit gewichtigen Konsequenzen für den Schnitt. Man muss halt auch erst mal dazwischenkommen, wenn alles im Fluss bleibt und nicht neutralisiert wird.
Was bedeutet die Auszeichnung mit dem Deutschen Kamerapreis für dich?
Ehrlich gesagt, bin ich immer noch hochgradig überrascht. Deshalb aber nicht minder erfreut. Aus meiner kleinen TV-Nische geblickt, erlag ich wohl dem Trugschluss, dass dafür nur optisch opulente Hochglanzproduktionen in Frage kämen. Dass dem nicht so ist, freut mich ungemein. Auch die Begründung der Jury fand ich sehr schön, da sie vollkommen richtig beschreibt, was wir eigentlich bewirken wollten. Ein befreundeter Regisseur, üppig dekoriert, meinte mal zu mir, dass man Preise blöderweise erst dann bekommt, wenn man sie eigentlich nicht mehr braucht. Von daher kann ich mich wohl glücklich schätzen, ich bin jetzt 42. Der Kamerapreis kommt nicht zur Unzeit und herzlich willkommen ist er auch. Mal sehen, was er so kann.
Woran arbeitest du gerade?
Aktuell stecke ich mitten im Dreh zu einem Fünfteiler über Fontane von Johannes Unger und mit Fabian Hinrichs. Im Anschluss stürze ich mit dem geliebten Team von “Berlin putzt” auf einen möglichen Nachfolger, dieses Mal wohl über die Schrulligkeiten, Abgründe und Untiefen der Liebe in Berlin.